Die meisten landen im Papierkorb. Andere hat Frank Hänecke aufbewahrt. Einige, denen das Licht zugesetzt hat oder die auf zu dünnem Papier gezeichnet wurden, hat er sorgfältig restauriert: mit digitaler Bildbearbeitung die Kontraste geschärft, Tonwerte korrigiert oder – aufwendiger – mit Photoshop-Pinsel und -Radierer Hüsli und Linien eliminiert.
«So entstehen eigentlich neue Originale, auch wenn sie nur in digitaler Form vorliegen. Aber nicht immer reicht das. Einige Miniaturen habe ich auf dem Lichtpult manuell nachgezeichnet. Jetzt erst recht sind das Rekonstruktions-Originale», schreibt der Künstler und ehemalige Journalist auf seiner Website.
Muster erkennen sei wichtig
Wer die in Sitzungen, Tagungen oder während Telefonaten entstandenen Formen betrachtet, versteht sie nicht auf Anhieb: Sie bleiben im Ungewissen, Rätselhaften und wecken dennoch Assoziationen: «Sie rufen die hirneigenen Bio-Algorithmen auf den Plan, die Muster und Figuren erkennen und erklären möchten, was das Auge so anliefert: Ist das ein Gesicht, ein Tier, eine Pflanze, ein Fabelwesen?», so Hänecke. Der Mensch habe seit Geburt ein Tool für diesen Reflex. «Die Confirmation Bias respektive die Bestätigungsneigung ist ein Phänomen, bei dem die Verwendung oder Erkennung von Mustern eine wichtige Rolle spielt – ein Feld der Kognitionspsychologie und auch der Narration», so der promovierte Medienwissenschaftler.
Auch er selber sei davon betroffen. Hänecke sagt: «Manchmal entwickeln sich Muster bewusst beim Zeichnen, ich greife immer wieder auf ein bewährtes Repertoire zurück, etwa Kreisformen, die als Augen gesehen werden können. Oder ich nutze aus der Graffiti- respektive Comic-Branche bewährte Formen, etwa um Bewegung anzudeuten».
Hänecke, seit 2000 beim MAZ, möchte, dass sich seine Werke «bereisen» lassen – von einer Ebene zur nächsten, in die Tiefe, in Bedeutungsinseln, was wiederum mit deren Entstehung korrespondiere. «Hier reihen sich Szenen aneinander, kleine ausgeschmückte Elemente, die sich zu einer Form ergänzen – hoffentlich. Darin liegt eine Herausforderung bei deren Konstruktion: Passen die Linien und Gebilde zusammen, spricht auch das Ganze noch irgendwie an?»
«Halbwegs professionelles Material»
Die Interpretation sei ein komplexer Prozess, der individuell verschieden verlaufe und der unterschiedliche Wirkungen auslöse, sagt der 62-Jährige. Manche Menschen könnten sich auf so Kleinteiliges gar nicht einlassen, es löse bei ihnen nichts oder gar Abwehr aus. Andere würden nur die Ästhetik der ganzen Form wahrnehmen, nicht aber deren Inneres.
Für die Sitzungs-Kritzeleien musste genügen, was gerade so greifbar war: Kugelschreiber, Filzstifte, Bleistifte, manchmal ein Füllfederhalter oder ein Tuschschreiber. «Erst in den letzten Jahren versuche ich, wenn immer es geht, halbwegs professionelles Material dabei zu haben, auf das ich spontan zurückgreifen kann, also zum Beispiel verschieden starke Stifte mit Tusch oder Pigma-Tinte, die nicht verblasst», so Hänecke. Früher habe er sich diesbezüglich noch keine Gedanken gemacht.
«Kritzeleien von Frank Hänecke» in der mazgalerie.ch, Murbacherstrasse 3, 6003 Luzern. Die Ausstellung dauert noch bis am 26. September 2020, Montag bis Freitag von 8 bis 17 Uhr.