Linards Udris, der Digital News Report zeigt, dass das Interesse der Schweizer Bevölkerung an Nachrichten nach einem starken Rückgang seit 2020 erstmals wieder leicht zugenommen hat. Ist das ein Zufallsergebnis oder gibt es dafür eine Erklärung?
Kleine Veränderungen im Vorjahresvergleich würde ich grundsätzlich vorsichtig interpretieren. Dass die Zahlen 2024 ein leicht steigendes Interesse ausweisen, kann auch am normalen Fehlerbereich liegen. Aber ja, es ist auch nicht ganz ausgeschlossen, dass das Interesse tatsächlich ganz leicht angestiegen ist, weil wir Anfang Jahr, als die Umfrage stattfand, einen auch medial hoch intensiven Abstimmungskampf um die 13. AHV-Rente hatten. Der hat die Menschen nicht nur nachweislich mobilisiert, sondern hat vielleicht auch das Interesse an Nachrichten etwas verstärkt.
Gleichzeitig hat auch der Anteil jener Menschen zugenommen, die oft oder manchmal aktiv auf Nachrichten verzichten. Beobachten wir eine Polarisierung zwischen News-Interessierten und News-Vermeidern?
Nein, das würde ich nicht sagen. Es gibt viele Menschen, die sozusagen dazwischen liegen. Ausserdem vermeidet rund ein Drittel der Menschen, die sich sehr für Nachrichten interessieren, trotzdem die Nachrichten manchmal oder oft aktiv. Das heisst, in diesen Fällen ist es ein bewusstes Ausklinken zwischendurch, oftmals weil die Informationsflut zu gross ist. Wenn News zwischendurch mal vermieden werden, ist das ja nicht unbedingt schlecht.
Wann wird es dann problematisch?
Eher dann, wenn die Nachrichtenvermeidung viel grundsätzlicher wird und jemand gar nicht mal bewusst und aktiv Nachrichten vermeidet, sondern sie schlichtweg im Alltag kaum nutzt. Das ist dann eher das, was wir als News-Deprivation oder Unterversorgung bezeichnen würden. Diese sogenannte News-Deprivation hat in der Schweiz zugenommen, aber gleichzeitig hat die Gruppe der Intensivnutzer nicht zugenommen. Von dem her keine Polarisierung, sondern insgesamt eher eine wachsende Gruppe von Menschen, die wenig Nachrichten nutzen.
«Viele Frauen fühlen sich von der Berichterstattung in den Medien nicht genug repräsentiert»
Was auffällt: Frauen interessieren sich weniger für Nachrichten als Männer. Was sind die Gründe dafür?
Die Schweiz ist keine Ausnahme. Das Interesse an Nachrichten – und an Politik, die einen grossen Teil der Nachrichten ausmacht – ist bei Männern höher als bei Frauen. Welche Gründe nun genau den Ausschlag geben, ist nicht abschliessend geklärt, auch weil das News-Interesse abhängig ist von weiteren und vielleicht auch wichtigeren Faktoren wie Alter, Bildung oder Einkommen. Die Forschung zeigt unter anderem, dass sich viele Frauen von der Berichterstattung in den Medien nicht genug repräsentiert fühlen.
Liegt es auch an der Berichterstattung?
Tatsächlich ist auch in Schweizer Medien der Anteil Frauen empirisch klar in der Minderheit, das wissen wir aus Inhaltsanalysen. Und viele Frauen fühlen sich von den Themen und der Art der Berichterstattung nicht angesprochen. Sie erleben Nachrichten lieber in der Form, dass sie sie im Freundeskreis erhalten – denn was wir empirisch sehen, ist, dass Frauen öfter als Männer über Nachrichten in ihrem Freundeskreis, also im geschützten Rahmen, sprechen. Schliesslich wird in der Forschung auch angeführt, dass weiterhin Frauen den Grossteil der Reproduktionsarbeit leisten, Frauen also weniger Zeit und Kapazität haben, um sich mit News zu beschäftigen.
Das grösste Vertrauen geniessen in der Schweiz die Medien der SRG. Selbst wer sich politisch als rechts stehend verortet, vertraut SRF, RTS & Co. Wie kommt das?
Die Resultate sind etwas differenzierter. Tatsächlich vertrauen Linke und Menschen in der Mitte den Angeboten von SRF und RTS mehr, als es Rechte tun. Aber: Wenn man sich in den Daten nur die Rechten anschaut, dann sieht man eben auch, dass von allen Medien auch sie den Angeboten von SRF und RTS mehr Vertrauen schenken als anderen Medien. Das Vertrauen auf der rechten Seite ist also vielleicht nicht ganz so hoch wie auf der linken Seite, aber es ist da. Dazu passt: Auch das Publikum von SRF und RTS ist laut den Daten im Digital News Report politisch sehr gemischt zusammengesetzt. Und aus Inhaltsanalysen zu Volksabstimmungen wissen wir, dass SRF und RTS politisch sehr ausgewogen berichten.
«Im Onlinebereich haben sich die Menschen daran gewöhnt, dass Informationen gratis sind»
Zu den meistgenutzten Medien zählen die Onlineangebote von 20 Minuten und SRF/RTS, für deren Nutzung keine unmittelbaren Kosten anfallen. Ist das auch eine Erklärung dafür, weshalb die Zahlungsbereitschaft für Onlinenachrichten in der Schweiz weiterhin recht tief ist?
Es kommt darauf an. Im Onlinebereich haben sich die Menschen daran gewöhnt, dass Informationen gratis sind. Dazu haben verschiedene Medienhäuser beigetragen. Was wir aber auch sehen: Die bisherige internationale Forschung zeigt, dass in Ländern, in denen im Onlinebereich öffentliche Medien, wie die SRG, stark genutzt werden, die Zahlungsbereitschaft sogar höher ist. Es gibt also eher Hinweise darauf, dass Service-public-Medien private Medien stärken. Welchen Einfluss nun echte Gratisangebote von privaten Medien wie 20 Minuten oder Watson darauf haben, dass Leute nichts bezahlen für Abo-Medien mit Paywalls wie zum Beispiel NZZ oder Tages-Anzeiger, dazu braucht es weitere Forschung.
Bei der Nutzung der Kanäle liegt das Radio als Informationsquelle weit abgeschlagen hinter News-Sites, Fernsehen, Social Media und sogar Print zurück. Ist das der Anfang vom Ende dieses einst so bedeutenden Nachrichtenkanals?
Ganz so weit abgeschlagen ist das Radio mit 28 Prozent News-Nutzung mindestens einmal pro Woche nicht; Print liegt mit 34 Prozent auch nicht viel höher. Aber ja, das Radio ist von den untersuchten Medienkanälen für News tatsächlich der am wenigsten wichtige. Das war schon 2016 so, seitdem wir die Zeitreihe im Digital News Report für die Schweiz haben.
Auch ältere Social-Media-Plattformen wie YouTube und Facebook schwächeln als Newsquelle. Liegt das am Verhalten der User oder befeuern die Plattformen selbst diese Entwicklung mit der Zurückstufung journalistischer Inhalte?
Das ist vermutlich eine Kombination von beidem. Die Plattformen unterscheiden sich voneinander in ihren Angeboten und darin, was man dort tun kann. Deshalb splittert sich das Publikum ein Stück weit auf, denn die Menschen haben unterschiedliche Präferenzen. Von Meta wissen wir, dass Facebook und Instagram journalistische Inhalte zurückstufen möchten. Wie stark sie das aber bereits getan haben und ob sie das nur in bestimmten Ländern machen – zum Beispiel in Australien, wo sich Meta und Medienhäuser über das Leistungsschutzrecht streiten – ist unklar.
«Wenn sich Menschen für Nachrichten interessieren und sie nutzen, ist das natürlich positiv»
Gleichzeitig nimmt die News-Nutzung auf neueren Plattformen wie Instagram, Telegram und TikTok zu. Ist das ein Zeichen der Hoffnung?
Wenn sich Menschen für Nachrichten interessieren und sie nutzen, ist das natürlich positiv. Offenbar fühlen sich vor allem junge Menschen von diesen Angeboten besser angesprochen. Ein grosses Fragezeichen bleibt aber. Auf diesen Plattformen konsumieren die Leute laut eigenen Angaben Nachrichten nicht unbedingt von professionellen Medien, sondern von Persönlichkeiten oder Influencern.
Die Interaktion mit Nachrichten, also Kommentieren und Teilen auf Social Media, nimmt in der Schweiz seit 2016 kontinuierlich ab. Woran liegt das?
Auch hier liegt die Schweiz im internationalen Trend. Die Gruppe der aktiven Nutzerinnen und Nutzer scheint sich auch hier zu beschränken auf Männer und Personen an den politischen Rändern. Das kann ein Hinweis darauf sein, dass viele Menschen, darunter Frauen und Leute ohne starke politische Meinungen, vor allem das Nachrichtenumfeld auf Social Media negativ erleben und sich dort nicht exponieren möchten. Aber es ist auch so, dass die Leute auf Social Media immer weniger in Berührung kommen mit News, beziehungsweise diese auch immer seltener aktiv aufsuchen. Und wer News nicht nutzt, kann sie auch nicht teilen und kommentieren.
Gleichzeitig kommentieren und teilen vor allem jene News, die sich selbst politisch klar rechts oder links verorten. Das ergibt dann ein ziemlich verzerrtes Bild der öffentlichen Meinung. Was können Redaktionen dagegen unternehmen?
Redaktionen könnten versuchen, die Diskussionen stärker zu moderieren, damit sich mehr Leute wohlfühlen und sich so mehr Leute einschalten. Ausserdem sollten Redaktionen vorsichtig sein bei dem Aufnehmen von Themen und dem Meinungsbild auf Social Media. Nur weil zum Beispiel auf X oder Instagram eine Diskussion tobt, heisst das nicht, dass das breiter interessiert. Denn auch auf Social Media schalten sich eher Leute mit pointierten politischen Haltungen ein.
Auch wenn der Eindruck punktuell ein anderer sein mag: Insgesamt gesehen, lässt sich in der Schweiz keine Polarisierung des Publikums feststellen, so wie das etwa in den USA der Fall ist. Wie schnell kann das auch hierzulande auseinanderdriften?
Schnell vermutlich nicht. Die Entwicklung in den USA zeigt, dass es sich um längere Prozesse handelt. Die aktuelle Polarisierung des Publikums in den USA liegt ja nicht unbedingt an sozialen Medien, sondern am Kabelfernsehen, das sich in den 1990er-Jahren unter anderem wegen Fox News politisch aufgeladen hat.
«Mit Blick auf diese schwierigen Voraussetzungen ist ein Platz im Mittelfeld nicht schlecht»
Im internationalen Vergleich bewegen sich die Befunde zur Schweiz alle im Mittelfeld. Ist das Glas halb voll oder halb leer?
Eine schwierige Frage, die man am besten bei einem Glas Bier bespricht. Im Ernst: Die Schweiz ist ein kleines mehrsprachiges Land mit kleinen Medienmärkten, was die Finanzierung des Journalismus ziemlich schwierig macht. Gerade mit Blick auf diese schwierigen Voraussetzungen ist ein Platz im Mittelfeld nicht schlecht. Aber es braucht angesichts der negativen Entwicklungen sicher mehr Anstrengungen, damit es auch in Zukunft genügend viele und starke, von vielen Menschen genutzte professionelle private und öffentliche Medien in der Schweiz gibt.