17.07.2018

Shebikerider.ch

«Ich bin quasi als E-Bike-Influencerin unterwegs»

Andrea Freiermuth hat eine Festanstellung beim «Migros-Magazin» aufgegeben, um mit dem E-Bike nach Peking zu fahren. Im Interview spricht sie über ihre ersten Tage unterwegs als velofahrende Reporterin sowie über den Stellenabbau bei ihrer ehemaligen Arbeitgeberin.
Shebikerider.ch: «Ich bin quasi als E-Bike-Influencerin unterwegs»
Unterwegs fernab von bekannten Pfaden: Andrea Freiermuth. (Bilder: Marc Böhler)
von Marius Wenger

Frau Freiermuth, Sie werden 12'000 Kilometer mit dem E-Bike zurücklegen – wie verlief der Start?
Ich musste die Abfahrt wegen Rückenschmerzen um einen Tag verschieben. Grund für die Beschwerden war vielleicht die Anspannung. Vor längeren Reisen habe ich immer Existenzängste. Nun bin ich aber schon in Kroatien, gut eingerollt und im Entdeckermodus.

Was war Ihre Motivation für diese Reise?
Mit 45 fragt man sich, was man im Leben unbedingt noch tun möchte. Bei mir ist das Velofahren und Reisen. Ich weiss, das klingt verrückt, liegt aber vermutlich in der Familie. Schon mein Vater hat sich in jungen Jahren über Alpenpässe gequält. Später ging seine Leidenschaft in der vielen Arbeit unter.

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Warum haben Sie als Fortbewegungsmittel das E-Bike gewählt?
Fast die Hälfte aller Autofahrten, welche Herr und Frau Schweizer mit dem Auto absolvieren, sind nicht länger als fünf Kilometer. Mit einem E-Bike benötigt man für solche Kurzstrecken maximal 15 Minuten. Damit liesse sich schon sehr viel für die Umwelt tun. Zumal man weiss, dass kalte Motoren besonders viele Schadstoffe produzieren. Darum haben E-Bikes mehr Aufmerksamkeit verdient. Dafür will ich sorgen. Bisher meinte ich, es habe sich noch nie jemand mit einem Pedelec auf die Seidenstrasse gewagt. Inzwischen hat mich die Facebook-Gemeinde aber belehrt, dass da 2010 schon mal ein Franzose ein ähnliches Projekt hatte.

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Sie haben für diese Reise eine Stelle als festangestellte Journalistin gekündigt. War die Entscheidung im angespannten Berufsumfeld mit immer weniger Jobs schwierig? Hat das überhaupt eine Rolle gespielt oder war der Traum von der Veloreise einfach so gross?
Das war ein langer Prozess. Inzwischen bin ich überzeugt: Gerade wegen der schwierigen Lage ist es wichtig, dass man sich bewegt. Wer sich an eine scheinbar sichere Stelle klammert, läuft Gefahr, bei der nächsten Gelegenheit ausgemustert zu werden.

Apropos ausmustern: Vor wenigen Wochen hat Ihre ehemalige Arbeitgeberin, die Migros, einen grossen Stellenabbau kommuniziert (persoenlich.com berichtete). Auch die Marketing- und Medienabteilung ist davon betroffen. Welche Gedanken gingen oder gehen Ihnen dabei durch den Kopf?
Es tut mir wahnsinnig leid für die betroffenen Kollegen. Aus Erfahrung weiss ich, dass die Situation auch für jene, die bleiben dürfen, nicht einfach ist. Da bleiben immer Wunden zurück. Zudem rückt das «Migros-Magazin» durch die Reorganisation näher zum Marketing. Wir waren in der Vergangenheit stets stolz, dass wir aus publizistischer Sicht immer besser abschnitten als die direkte Konkurrenz, wie etwa die «Medienwoche» zeigte. Auch wenn das «Migros-Magazin» von vielen Kollegen aus der Branche belächelt wird: Es ist eine relevante Stimme für die Schweiz. Ich hoffe sehr, dass die neuen Chefs am Limmatplatz diese Verantwortung ernst nehmen.

«Das ‹Migros-Magazin› rückt durch die Reorganisation näher ans Marketing»

Haben Sie den «richtigen Zeitpunkt» zum Gehen erwischt oder wurden mit dem Stellenabbau bei der Migros Ihre Sorgen bezüglich Jobsuche nach der Reise grösser?
Klar weiss ich, dass es eine Herausforderung sein wird, wieder eine Festanstellung zu finden. Aber es ist ja nicht so, dass ich jetzt einfach ein Jahr auf der faulen Haut liege. Ich bin quasi als E-Bike-Influencerin und velofahrende Reporterin unterwegs – und bin überzeugt, dass ich mir dabei viele Kompetenzen aneigne, die mich für den Arbeitsmarkt fit halten.

Während der Reise betreiben Sie den Blog shebikerider.ch sowie einen Facebook- und Instagram-Kanal. Weshalb?
Diese Kanäle sind meine Spielwiese. Ein Experimentierfeld, das für mich als klassische Printjournalistin extrem attraktiv ist. Im Alltag hatte ich bisher leider zu wenig Zeit, die Möglichkeiten auszutesten, die die Digitalisierung dem Journalismus bietet. Das will ich jetzt nachholen. An Zeit wird es mir nicht fehlen, aber nach einer Woche unterwegs zeichnet sich bereits ein anderes Problem ab: schwache WiFi-Verbindungen. Die Upload-Geschwindigkeit wird mich wahrscheinlich noch öfters zur Verzweiflung bringen.


Wen wollen Sie über diese Kanäle erreichen?
Hauptsächlich potenzielle E-Bike-Fahrer und Reisebegeisterte.

Wollen Sie mit dem Blog Geld verdienen oder nur die Daheimgebliebenen unterhalten und an der Reise teilhaben lassen?
Natürlich wäre es super, wenn sich der eine oder andere Content-Sponsor finden liesse. Das könnten auch fahrradbegeisterte Privatpersonen sein. Ich biete drei Pakete mit unterschiedlichen Leistungen an: Titan, Karbon und Stahl. Wer Titan wählt, erhält ein exklusives Angebot und wird sicher auch im Buch erwähnt, das ich im Anschluss an meine Reise mit dem Buch- und Onlineverlag «buch&netz» plane. Ich habe mir kurz überlegt, via Patreon.com private Sponsoren zu akquirieren. Aber das Portal funktioniert eigentlich bloss für Englischsprachige, und etwas Vergleichbares im deutschsprachigen Raum habe ich nicht gefunden.

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Ihre Reise wird von verschiedenen Firmen gesponsert. Sie sind also wirklich schon Influencerin...
Die Unterstützung beschränkt sich auf Materialsponsoring. Den grössten Beitrag hat die Firma Biketec geleistet, die mir den Flyer gestellt hat. Und wenn ich die Leute dazubringen kann, vom Auto aufs E-Bike umzusteigen, dann bezeichne ich mich gerne als «Influencerin».

Geht es nach der Reise zurück zum «klassischen Journalismus» oder beginnt mit der Reise auch ein neuer Abschnitt des Arbeitslebens – zum Beispiel eben als Influencerin?
Ich weiss es nicht. Nur so viel: Die Rückkehr in die Schweiz wird ein weiterer spannender Teil meiner Reise.



Andrea Freiermuth hat die Fragen schriftlich beantwortet.



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Kommentare

  • Reto E. Wild, 18.07.2018 15:46 Uhr
    Ich bin stolz auf meine ehemalige Arbeitskollegin und «Sitznachbarin» Andrea Freiermuth, die immer einen Schritt weiter denkt. Sie ist beweglich und lebt ihren Traum, und sie verdient meinen grössten Respekt!
  • Robert Weingart , 17.07.2018 20:05 Uhr
    Dazu braucht es Mut und Selbstbewusstsein. Hut ab. Und natürlich viel Glück!
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