22.02.2021

Serie zum Coronavirus

«Im Jammern sind die Basler Weltmeister»

Weltwoche-Autor Michael Bahnerth ist Urbasler. Was macht er ohne Fasnacht? Bahnerths Antwort darauf und an was für Projekten er sonst arbeitet in der 158. Folge.
Serie zum Coronavirus: «Im Jammern sind die Basler Weltmeister»
«Ich bin genötigt, meine ganze Kraft darauf zu verwenden, dass mir der Arsch nicht ganz auf Grundeis geht», sagt Bahnerth im Interview. (Bild: zVg.)
von Matthias Ackeret

Herr Bahnerth, eigentlich sollte jetzt die Basler Fasnacht stattfinden. Nun wurde sie zum zweiten Mal abgesagt. Welche Auswirkungen hat dies auf das Basler Selbstbewusstsein?
Im Grunde verstärkt es eine der wesentlichsten Eigenschaften des Baslers: seine Fähigkeit zu Jammern. Darin ist er Weltmeister. Es ist ja nie er selbst, der verantwortlich für seinen seit Jahren andauernden Fall in die globale und auch helvetische Bedeutungslosigkeit ist. Da ist er wie ein Kind, es sind immer die anderen: die in Bern, James Murdoch bei der Messe Basel, das Virus, die Welt als solche, und wenn gerade niemand auf den ersten Blick zur Hand zu sein scheint, die Zürcher. Aus diesem Jammern, das ist psychologisch höchst interessant, bezieht er seltsamerweise sein Selbstbewusstsein, eben weil er sich als Opfer sieht, als ein zu Unrecht ins Abseits gedrängter Unschuldiger.

Wie werden Sie die nächsten drei Tage verbringen?
Ich werde mich, den lokalen Gepflogenheiten folgend, in Selbstmitleid hüllen und trauern, dass uns die einzige Gelegenheit im Jahr zur 72-stündigen und grenzenlosen Selbstbeweihräucherung genommen wurde. Abends werde ich in die City gehen und an einem der Takeaway-Stände Unmengen von Weisswein trinken, um mich so zu fühlen, wie wir niemals waren oder sein werden: stark und unbesiegbar.

Wie ist die Stimmung in der Stadt?
Schwer zu sagen. Aktuell ist gerade Montagmorgen, die Läden zu, die Cafés ebenfalls und vermutlich laufen gerade mehr Menschen über den Friedhof als durch die Gassen und Strassen der Stadt. Ich hoffe auf den Abend, dass die Stadt wird wie dieses kleine gallische Dorf und der Weisswein wirkt wie Zaubertrank. Aber man darf sich nichts vormachen, vermutlich werden mehr Polizisten durch die Gassen laufen als frustrierte Fasnächtler. Im Grunde sollten wir uns alle als Polizisten verkleiden und einen draufmachen.

Sie selbst waren als Reporter weltweit unterwegs, nun sitzen Sie seit einem Jahr in Ihrer Wohnung im Lockdown. Welche Auswirkungen zeigt dies?
Schlimme. Früher war ich ein nettes Arschloch, dieser Tage ein unerträgliches. Ich glaube jetzt zu ahnen, wie sich Affen im Käfig, Raubtiere hinter Gittern und Fische im Aquarium fühlen könnten. Noch tigere, springe und schwimme ich hin und her, aber bald kommt wohl die Phase des Hospitalismus, in der ich dann nur noch rumsitze und mich auf einem Stuhl nach vorn und nach hinten bewege, stundenlang.

Sucht man verstärkt die inneren Werte, wenn die äusseren Reize fehlen?
Man fällt, ohne die Ablenkungen eines jederzeit zumindest potenziell verfügbaren Vergnügens, zwangsläufig auf sich selbst zurück. Und erschrickt dann doch, wie wenig man gelegentlich findet und wie wenig in einem drin steckt, was man sozusagen als Ersatz konsumieren könnte.

Ihr Chef, Roger Köppel, plädiert für eine schnelle Öffnung der Restaurants und Beizen. Was ist Ihre Meinung?
Ich möchte meinem Chef nicht zu sehr in den Hintern kriechen, zumal daraus ja gelegentlich auch ein Furz entweicht, aber ich bin ebenfalls für die sofortige Öffnung der Restaurants und Beizen, wenn auch weniger aus politischen, sondern mehr aus existenziellen Gründen. Weil sie systemrelevanter sind als etwa eine Fluglinie, die uns gar nicht mehr gehört. Der Mensch braucht diese Inseln im zähen Fluss des Seins, auf denen er sich ausruhen kann, Menschen treffen, Geschichten erzählen und so weiter. Es kann ja nicht sein, dass wir am Ende der Pandemie mehr tote Bars haben als Menschen.

Welche Projekte verfolgen Sie momentan?
Ich bin genötigt, meine ganze Kraft darauf zu verwenden, dass mir der Arsch nicht ganz auf Grundeis geht. Ich versuche, mir diese luxuriöse Halbgefangenschaft schön zu reden, was immer schlechter funktioniert leider. Ich mache jeden Tag dasselbe: Kaffee trinken, rauchen, den Kopf schütteln über den Dilettantismus und die Kontradiktionen der Mächtigen der Zeit, dass etwa Demonstrieren und Skifahren, weil Grundrecht, erlaubt sind, das Sitzen in Restaurants und Bars, was ich auch als Grundrecht empfinde, aber nicht.

Und anschliessend?
Dann bringe ich meine Tochter in den Kindergarten. Wenn es gut läuft, schreibe ich danach bis in den Nachmittag, wenn nicht, tippe ich nur, dann gehe ich ein paar Golfbälle schlagen im Basler Citygolf-Club, der, ich weiss nicht warum, offen haben darf. Danach kaufe ich Fleisch, Gemüse und Rotwein, öffne die Flasche, warte auf meine Frau, dann sprechen wir schön oder streiten schon wieder, weil bei aller Liebe der Mensch doch auch Abstand braucht. Später setze ich mich auf den Balkon und trinke Whisky, schwimme in Selbstmitleid und sage mir, morgen fängst du endlich an, dein Buch über Playboys zu Ende zu schreiben.

Was war für Sie das prägendste Erlebnis der letzten Wochen?
Ein Hole-in-One am Loch 9. Und dass die Welt diese Impferei nicht auf die Reihe kriegt. Ich hab das Vertrauen in ihre Instanzen komplett verloren. Die haben mich alle verloren, für immer. Ich mach den Rest meines Lebens jetzt nur noch in Sonderfrieden.


Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com regelmässig eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier.



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