25.09.2008

"'Rocky' ist gar kein Boxerfilm, sondern eine Liebesgeschichte"

Heute Freitag wird Sylvester Stallone im Rahmen des Zurich Film Festival der Golden Icon Award für sein Lebenswerk verliehen. Für die meisten ist er "Rocky" oder "Rambo". Dabei gab er seine Schauspielkarriere eigentlich schon auf, bevor sie begonnen hatte und wollte nur noch Drehbücher schreiben. Im Gespräch mit Festivaldirektor Karl Spörri outet sich der Hollywoodstar als Fan von Edgar Allan Poe. Trotzdem bleibt Stallone auch "Rambo" und kündigt einen fünften Teil an. Das Interview:
"'Rocky' ist gar kein Boxerfilm, sondern eine Liebesgeschichte"

Mister Stallone, Sie schreiben Drehbücher, produzieren Filme und führen Regie. Was machen Sie am liebsten?

Das Schreiben ist bei Weitem das Intensivste und Schwierigste. Man ist sehr allein, und alles hängt davon ab. Am liebsten führe ich Regie. Produzieren ist ganz schön, aber Regie ist das Beste.

Warum haben Sie überhaupt mit dem Schreiben begonnen, wenn es doch so mühsam ist?

Ich bekam keine Arbeit als Schauspieler. Ich stand eben für einen gewissen Typ. Richard Gere und ich sprachen manchmal gemeinsam vor, als wir 22 waren. Er sah erfolgversprechend aus, ich nicht. Ich bekam keine Arbeit. Also begann ich mit dem Schreiben. Ich schaute mir verschiedene Filme an und habe dann damit begonnen. In meinen ersten fünf oder sechs Drehbüchern versuchte ich, andere Autoren zu imitieren. Das war nicht wirklich gut. Und schließlich schrieb ich ein Drehbuch zu Edgar Allan Poe. Das war das erste Mal, dass ich über etwas anderes schrieb als mich selber. Es ging um ein Thema. Ich begann mit der Recherche und fand heraus, dass das für mich stimmte.

Dann las ich in der Zeitung, dass sie Ideen suchten für eine TV-Serie namens "Touch of Evil". Ein Freund und ich beschlossen, einmal auszuprobieren, wie viele Storys wir in einer Nacht schreiben und wie viel davon wir verkaufen können. Wir kamen auf fünf Storys und verkauften am nächsten Tag drei davon. Damals realisierte ich, dass das wohl mein Ding war. Ich gab die Schauspielerei vollständig auf. Dass ich damit später wieder anfing, war reiner Zufall.

Und wie geschah das?

Ich half jemand anderem, für eine Rolle vorzusprechen; ich half ihm nur. Doch der Regisseur fragte mich, warum ich denn nicht selbst vorspräche. Er liess nicht locker. So kam ich in "The Lords of Flatbush" unter.

Was braucht es, damit Sie von einem Thema, einem Drehbuch oder einer Story begeistert sind?

Manchmal weiss man nicht, was gut ist, bevor man nicht eine Zeit lang damit gelebt und eine Beziehung dazu aufgebaut hat. Man sollte sich lange mit dem Material beschäftigen, wirklich darüber nachdenken. Manchmal beschäftigt man sich zu wenig mit dem Thema und lässt sich von ihm entführen. Dann wacht man am nächsten Morgen mit diesem Stück im Bett auf und fragt sich, wie es so weit kommen konnte. Man hat sich von den Emotionen mitreissen lassen. Man muss mit einer Story leben, sie studieren. Man sollte sich fragen, ob sie die Seele berührt, ob man sie auch ohne Gage übernehmen würde. Ist es etwas, was man tun muss? Erst dann liebt man eine Story wirklich. Und nur solche Storys sind die Arbeit wirklich wert.

Fällt Ihnen das Schreiben leicht?

Es fällt mir leicht, wenn mich das Thema gepackt hat, wenn ich es tun muss. Bei manchen Stücken hört das auch einfach auf. Etliche Stücke habe ich nur bis Seite 80 geschrieben -- dann starb das Stück. Keine Geschichte. Ein ganzes Lager von gestorbenen Geschichten. Wenn keine Leidenschaft da ist, kann man nichts dagegen tun. Ich würde dann eher jemand anderes fragen, ob er es schreiben wolle. Viele Autoren schreiben trotzdem, weil es Geld bringt. Aber dann fehlen die wirklichen Emotionen.

Wenn man Material einkauft, das zum Beispiel am Broadway produziert wurde, dann hat der Autor viele Jahre daran gearbeitet, zwölf Jahre wie James Goldman an "The Lion in Winter". "The Lion in Winter" ist das brillanteste Drehbuch, auch wenn es gar keines ist, sondern ein Theaterstück. Da steckt so viel Leidenschaft drin. Für mich ist das Wichtigste, sich Zeit zu nehmen. Das ist wie mit der Erziehung von Kindern -- das braucht Zeit. Ich schreibe schnell, schreibe um und noch einmal um. Ich verbringe mit jeder einzelnen Zeile sehr viel Zeit; dann spreche ich mir die Zeile laut vor, um zu hören, ob sie funktioniert. Es gibt einen grossen Unterschied zwischen dem Schreiben und einem Gespräch. Jeder kann ein Gespräch führen. Aber ein Dialog findet in einer anderen Sprache statt, in einer anderen Welt.

Was fasziniert Sie an Edgar Allan Poe?

Ich denke, er ist der Prototyp des Jungen, der um seine Jugend kämpft. Darum, in einer Welt anders zu sein, die den Künstler ablehnt. Jeder, der anders sein will, muss leiden. Früher musste man wirklich leiden. Heute helfen die Medien, aus einer etwas seltsamen Person, mit seltsamer Musik, mit seltsamer Kunst, etwas Fantastisches zu machen. Damals wollte man so jemanden verbrennen. Und Poe war seltsam: Er war der Erste, der über barbarischen Horror schrieb. Er war wie Alfred Hitchcock. Er inspirierte spätere Horror-Autoren. "Frankenstein" wäre ohne seine Vorbildfunktion nicht geschrieben worden. Er war der Erste, der über das Unbewusste schrieb. Über Mord und die Tatsache, dass man dieses "Es" in sich selber nicht kontrollieren kann. Damals fanden sie das zu stark. Autoren wie Charles Dickens waren leichter zu verdauen. Poe verstörte, wie Kafka. Kafka war ganz sicher stark von Poe beeinflusst. Ich fand Poe einfach interessant. Ich habe mir nie eingebildet, dass seine und meine Arbeit ähnlich seien. Er ist ein Genie, ein wirkliches Genie. Seine Sprache ist sehr poetisch. Ich möchte seine Storys spielen. Das funktioniert ähnlich wie bei *Rocky*. Frauen hassen zwar das Boxen, aber "Rocky" ist gar kein Boxerfilm, sondern eine Liebesgeschichte.

Gibt es ausser Poe noch andere Autoren aus dieser Zeit, die Sie bewundern?

Damals gab es einige der grössten Autoren -- Charles Dickens, Henry Wadsworth Longfellow, Herman Melville mit "Moby Dick" und "Billy Budd", Joseph Conrad, Rudyard Kipling, John Dos Passos, Sinclair Lewis. Es gibt so viele aus dieser Zeit, und ihre Geschichten funktionieren immer noch. Unglaubliche Stoffe. Wer kann heute noch so schreiben? Ich denke, wir werden von Generation zu Generation weniger belesen und visueller.

Warum das?

Weil wir heute mehr Möglichkeiten haben. Das wäre auch vor 200 Jahren passiert, wenn man damals schon Computer gehabt hätte. Wenn es Kinos gegeben hätte, hätte es diese Autoren nicht gegeben mit ihren unglaublichen Geschichten. Damals hatte man eine Kerze, ein Schreibpult und sein Gehirn. Keine Ablenkungen. Keine Autos, kein Lärm, keine Musik. Die Menschen waren konzentrierter, auch die Autoren. Man denke nur: kein Telefon. Nichts. Zero. Sie wurden dazu erzogen, sich ihre Bilder selber zu machen. Dabei waren sie sehr produktiv, sie schrieben auch ohne Computer sehr viel. Heute behaupten alle, dass man zum Schreiben einen Computer brauche. Das ist ganz einfach nicht wahr, wenn es um kreatives Schreiben geht. (Sylvester Stallone schreibt alle seine Manuskripte von Hand; Red.)

Welches sind die nächsten grossen Projekte, an denen Sie arbeiten?

Zurzeit arbeite ich an einem Skript mit dem Titel "The Lion’s Game", das auf einem Buch von Nelson DeMille beruht -- sehr interessant. Danach werde ich etwas mit Poe machen. Und mit dem neuen Rambo bin ich schon zu 25 Prozent durch. Er kommt zurück nach Amerika -- fast wie im klassischen Western. Auch das Mädchen kommt zurück. Irgendwie realisiert er, dass man ohne Liebe, ohne Emotion gar nicht leben kann. Es gibt im Film natürlich auch viel Action, nur ein bisschen anders als sonst. Mehr sage ich dazu nicht!

(Interview: Karl Spörri / Bild: Kulturmagazin "Du")

Das vollständige Gespräch zwischen Sylvester Stallone und Karl Spörri, Direktor des Zurich Film Festival, ist in der Oktober-Ausgabe des Kulturmagazins "Du" zu finden


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