23.10.2023

Wahlen 2023

So haben die Medien den Wahlsonntag gemeistert

Vier profilierte Stimmen aus Medien, Wissenschaft, Kommunikation und Strategieberatung kommentierten die Wahlberichterstattung von Schweizer Medien: Was warum gefiel und was weshalb weniger.

«Man hätte auch mal die eigene Bubble verlassen können»

«Mein allgemeiner Eindruck der Berichterstattung an diesem Wahlsonntag: Die Leistung der Medien war grundsätzlich solid, ausgewogen und professionell. Ob Moderatorinnen, Korrespondenten oder Politexperten – sie alle bewegten sich auf der Höhe ihrer Aufgabe. Ich fühlte mich gut informiert und abgeholt. Das Angebot war reichhaltig. Allerdings hätte ich mir noch etwas mehr Überraschung und Innovation gewünscht.

Positiv aufgefallen ist mir ein Element von Schweizer Fernsehen SRF: Der Liveblick hinter die Livesendung. Reporterin Katharina Locher war mit der Kamera unterwegs und ermöglichte aufschlussreiche Einblicke in die Regie, ins Rechenzentrum oder in den Newsroom. Das wirkte authentisch und transparent. Ich halte das für ein gutes Mittel, um einem breiten Publikum zu zeigen, was es braucht, um eine solche Sendung zu stemmen und wie ein Medium funktioniert. Wichtig in einer Zeit, in der der klassische Journalismus unter Druck ist.

Fernsehen SRF spielte all seine Stärken aus und zeigte, dass es über viel Personal mit grossem Fachwissen verfügt. Auch formal bot der Sender Attraktives, sei es das Studio, die Grafiken, als auch zahlreiche schön gemachte Hintergrundberichte. Die Vielfalt der Schauplätze und das breite Korrespondentennetz waren ein weiteres Plus. Die Sender CH Media rund um TeleZüri konnten bezüglich reiner Newsleistung, der Aktualität und der Einordnung der Resultate mit SRF mithalten.

Weniger überzeugt hat mich dagegen Blick-TV. Nicht inhaltlich – Moderatorin Sylwina Spiess etwa oder auch Politikchefin Sermîn Faki machten einen guten Job –, aber formal und auch punkto Aufwand fand ich die Leistung enttäuschend. Klar, Ringier hat jüngst bekannt gegeben, die Nachrichtensendungen einzustellen, aber für einen solch wichtigen Tag für die Schweiz wie heute hätte man mehr Aufwand betreiben können, ja müssen. Positiv bei Blick TV fiel mir Politologe Claude Longchamp auf.

Überhaupt die Politexperten: Ob Hannes Britschgi (TeleZüri), Lukas Golder (SRF) oder Sarah Bütikofer (20 Minuten) – sie alle trugen mit ihrem grossen Wissen und ihrer Einordnungsleistung dazu bei, dass man als Zuschauer bei diesem Wahlberichtsmarathon dranblieb und so viel, auch so viel Neues, über unsere Demokratie erfuhr.

Gefehlt hat mir die Interaktion mit jenen, die für die Entscheidung sorgten, jene, die wählten. Das (Wahl-)Publikum blieb – mit wenigen Ausnahmen – aussen vor. Warum zum Beispiel nicht Reaktionen via Social Media in der Sendung aufnehmen oder Wählerinnen und Wähler im Studio oder auf der Strasse befragen? Damit hätte man zwischendurch auch etwas die Medien/Politik-Bubble verlassen können.»




«Positiv überrascht hat mich die Elefantenrunde auf Blick TV»

Sarah Genner, Digitalexpertin, Dozentin und Verwaltungsrätin

«Da ich am Sonntag im Ausland unterwegs war und mich dennoch über die Wahlen in der Schweiz informieren wollte, suchte ich nach Medien, die kurz, knapp und kompetent informieren. Fündig wurde ich beim Teletext. Für News im Allgemeinen und bei Wahlen ein unterschätztes Medienangebot. Die App kommt sehr übersichtlich daher, die Texte sind kurz und knackig und funktionieren ganz ohne Clickbait und redaktionelle Selbstinteressen.

So gut sich Teletext für den schnellen Überblick eignet, so schnell stösst er an Grenzen für vertiefte Analysen. Besonders hilfreich fand ich dafür die Infografiken in der NZZ-App, die trotz beschränktem Platz auf dem kleinen Bildschirm übersichtlich den aktuellen Stand vermittelten. Ein Pluspunkt: Die absoluten Zahlen stehen im Vordergrund. Medien fokussieren meines Erachtens bei Wahlen zu stark auf relative Unterschiede anstatt auf absolute Zahlen.

Auch die SRF App bot ein attraktives Nutzungserlebnis: Die erste Hochrechnung war sehr übersichtlich dargestellt und auch die Karte mit den kantonalen Ergebnissen wirkte sinnvoll umgesetzt.

Positiv hat mich die Elefantenrunde auf Blick TV überrascht. Der frühe Zeitpunkt, kurz nach der ersten Hochrechnung um 16 Uhr, liess nicht allzu viel Substanz erwarten ausser einem Aufwärmen für die ‹richtige› Elefantenrunde um 18 Uhr bei SRF. Doch das Blick-TV-Setting funktionierte überraschend gut; es wirkte auf mich besser und edler, als ich erwartet hatte. Das Publikum dürfte aber SRF deutlich mehr erreichen mit dem Original, das zudem am Fernsehen und Radio gleichzeitig ausgestrahlt wurde.

Was die Arbeit der Medien diesmal erleichtert haben dürfte, aber der Berichterstattung auch etwas die Spannung nahm, war das erwartbare Ergebnis der Wahlen. Klassische Medien bewirtschaften Themen wie Klima oder Migration über viele Monate und vor vier Jahren kamen daher grüne Parteien in den Genuss. Diesmal ist Migration das grosse Thema und daher war es ein Leichtes, das Wahlergebnis vorauszusagen: SVP wird zulegen, Grüne verlieren. Und so ist es dann auch herausgekommen.»




«Twitter war mal der schnellste Newsticker»

«Als engagierte Wahlkämpfer waren meine Kolleginnen, Kollegen und ich schon ab 12 Uhr in kribbeliger Spannung, doch die Medien gaben da natürlich noch nicht mehr her als aufgeregte (und nichtssagende) erste Interviews (TeleZüri) und Behind-the-scene–Beiträge (SRF). So blieben die wichtigsten Informationsquellen am frühen Nachmittag die offiziellen Webseiten der kantonalen Statistikämter. Hier war und ist der ungekrönte Leader das statistische Amt des Kantons Zürich mit seinen legendär-präzisen Hochrechnungen, die jedoch am Sonntag länger als üblich auf sich warten liessen. Vorpreschen konnte hier die NZZ, die bereits um 12.30 Uhr eine eigene Hochrechnung vorlegte.

TeleZüri analysierte mit Politjournalist-Urgestein Hannes Britschgi schon früh kompetent die Zürcher Wahlen und erklärte bereits um 14 Uhr den zweiten Wahlgang der Zürcher Ständeratswahlen. Das Grafik-Team hatte zwar seine liebe Mühe, Fotos und Namen passend zueinander einzublenden, das eingespielte Moderatorenduo machte dies jedoch wieder wett.

Die Deutschschweizer SRF Live-Sendung war kompetent wie immer, blieb aber etwas fad, auch wenn dem SRF-Team mit Lukas Golder von gfs.bern einer der kompetentesten Politanalytiker zur Seite stand. In der Südschweiz trumpft erwartungsgemäss das RSI mit seiner Wahlberichterstattung gross auf. Der private TV-Sender TeleTicino bot ihr jedoch mit einer Mega-Livesendung bis in den späten Abend die Stirn.

Auch in der Suisse Romande dominierte RTS die Wahlberichterstattung. Sie mobilisierte ihre Radio- und Fernsehteams für eine gemeinsame Sendung, die den ganzen Nachmittag über sowohl im Fernsehen als auch im Radio ausgestrahlt wurde. Eine Sendung für Politikbegeisterte, die sich für die Ergebnisse aus der ganzen Schweiz interessierten.

Eine sehr gute Leistung boten auch die Regionaljournale von Radio SRF, auch wenn wir uns fragten, wer denn am Wahlsonntag (noch) Radio hört: Die Pendler und Autofahrer? Und schliesslich noch das: War bei den Wahlen 2019 und 2015 noch Twitter unser präferierter und schnellster Newsticker, spielte die Plattform X an diesem Wahlsonntag keine Rolle mehr.»




 

«Blick TV konnte es durchaus mit SRF aufnehmen»

«Eigentlich ist es absurd: Das wohl bestgeplante Medienereignis lässt sich am Ende doch kaum planen. Moderator:innen wünschen sich (und wohl auch uns) ‹einen hoffentlich spannenden Wahlsonntag› – und nach knapp vier Stunden gibt der Leiter der TV-Wahlsendung bei SRF live auf dem Sender bekannt: Viele Inhalte seien nicht wie geplant angeliefert worden. Deshalb wisse man gar nicht so genau, wo man als Nächstes hinschalten soll.

Dass sich die TV-Korrespondent:innen bei SRF hingegen vorbereitet haben, ist unübersehbar. Mit gebastelten Gegenständen bemühen sie sich, möglichst visuell die Ausgangslage in ihren Kantonen zu erklären, sei es mit einer ‹Reise nach Jerusalem› (Basel-Stadt), mit Legosteinen (Graubünden), mit farbigen Fondue-Gabeln (Freiburg), mit Jasskarten (Basel-Landschaft), mit einer stacheligen Wildpflanze (Genf) oder mit einem Pappaufsteller von Marco Chiesa (Tessin).

Obwohl erstmals bei nationalen Wahlen mit dabei, kann es das Team von Blick TV durchaus mit SRF aufnehmen: Sylwina Spiess moderiert klar, die Einordnungen von Claude Longchamp sind präzise wie eh und je und die Elefantenrunde ist sogar zeitlich früher als bei SRF angesetzt.

Im Netz scheint die Devise bei sämtlichen Medienhäusern zu lauten: Mehr ist mehr. Die Übersicht zu behalten, ist schwierig. Bei SRF wechseln sich im Sekundentakt Einschätzungen, kantonale Resultate und nationale Hochrechnungen ab. Über 25 Pushbenachrichtigungen versendet SRF nur in den ersten zwei Stunden. Sogar vier Liveticker gleichzeitig bietet der Tagesanzeiger an. Währenddessen setzt 20 Minuten stärker auf die Informationsvermittlung via Instagram, TikTok und WhatsApp. Bei SRF News auf Instagram blickt man derweil hinter die Kulissen.

Generell trauen die Redaktionen den Nutzer:innen 2023 definitiv mehr Datenkenntnisse zu als noch 2019 – Corona- und Energiestatistiken lassen grüssen. Hier fallen die Datenauswertungen der NZZ und der SRG besonders positiv auf. Lobenswert auch: Die Wahlgrafiken von SRF werden flächendeckend in den anderen SRG-Sprachregionen verwendet.»


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