21.09.2021

Fall Carlos

Straftäter Brian wird zum Kunstprojekt

Kunstschaffende haben unter dem Titel #BigDreams ein Projekt über Menschenrechte, Medien und Rassismus lanciert.

Der junge Straftäter Brian wird zum Kunstprojekt: Kunstschaffende verarbeiten seinen Fall zu einem Projekt über Menschenrechte, Medien und Rassismus. Dafür wird etwa im Theater Neumarkt ein Boxring eingerichtet. Mitfinanziert wird das Projekt ausgerechnet vom Kanton Zürich.

Brians grosser Traum war es einst, Profiboxer zu werden. Daraus ist bekanntlich nichts geworden, weil er nach einer jahrelangen Odyssee durch Psychiatrien und Gerichtssäle nun im Gefängnis Pöschwies sitzt und dort voraussichtlich noch eine Weile bleiben wird.

Unter dem Titel #BigDreams wird sein Fall nun zum Kunstprojekt. Am Dienstag, Brians 26. Geburtstag, stellte die Künstlergruppe hinter #BigDreams das Projekt den Medien vor. Der Hauptakteur selber wird beim ganzen Projekt jedoch nicht zu sehen sein. Die Kunstschaffenden übernehmen für ihn das Reden. Sie wollen die Figur «Carlos» «dekonstruieren und den Menschen Brian aufbauen».

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Die ersten Kapitel des Fünf-Akters fanden bereits statt. So erhielt Brian etwa einen Instagram-Account, der von den Kunstschaffenden betrieben wird. Dort teilt er nun unter «Mein Name ist Brian» seine handgeschriebenen Gedanken mit der Öffentlichkeit.

Der "Blick" soll aufgekauft werden

Nächstes Kapitel in seinem Stück ist ein Online-Shop mit Shirts und einer Brian-Actionfigur in Boxerpose. Die Figur bildet jenes Bild nach, das von vielen Medien immer wieder verwendet wird.

Mit dem Erlös dieses Online-Shops wollen die Kunstschaffenden den Blick aufkaufen, damit sich ein «Fall Carlos nie mehr wiederholt». Falls das Geld dafür nicht reicht, was ziemlich sicher der Fall sein wird, wollen sie es «irgendwie anders im Sinne von Brian» ausgeben.


In einem Gemeinschaftszentrum neben dem Gefängnis Pöschwies wird im Oktober eine Gesprächsrunde mit dem Uno-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, organisiert. Dieser fordert aktuell vom Bund Antworten zu den Haftbedingungen des jungen Straftäters.

Interessierte können auch einen Audio-Rundgang um die Justizvollzugsanstalt Pöschwies machen. Ob die Anlässe in Regensdorf stattfinden können, ist wegen Sicherheitsbedenken von Polizei und Gemeinde allerdings offen.

Kanton wird für Haftbedingungen kritisiert

In die Zürcher Innenstadt schafft es Brian dann mit einer Kunstinstallation im Helmhaus und einem viertägigen Projekt im Theater Neumarkt. Als «Hommage an Brians Traum vom Boxen» wird im Neumarkt ein Box-Ring aufgebaut. Tagsüber soll dort trainiert werden, abends gibt es Podien und andere Anlässe zu Themen wie Verwahrung, Menschenrechte und Medien.

Hinter #BigDreams stehen neben dem Theater Neumarkt und dem Helmhaus auch Stiftungen und zahlreiche Privatpersonen, darunter Jolanda Spiess-Hegglin. Mitfinanziert wird das ganze auch von Stadt und Kanton Zürich. Die Stadt zahlt 50'000 Franken, der Kanton 20'000.

Vor alle die Unterstützung durch den Kanton ist erstaunlich. Denn genau er ist für die Haftbedingungen von Brian verantwortlich, die im Kunstprojekt immer wieder kritisiert werden.

Justizdirektion hofft auf Verantwortungsbewusstsein

Die Justizdirektion sieht darin keinen Widerspruch: Auch der Justizvollzug und damit der repressive Staat müssten Gegenstand künstlerischer Auseinandersetzung sein können, teilte die Direktion auf Anfrage von Keystone-SDA mit.

Die Justizdirektion hofft aber, dass das Projekt «ethischen Grundsätzen genügt». Mit der Freiheit der Kultur sei auch Verantwortung verbunden. Das gelte vor allem im Umgang mit verletzlichen Menschen wie einem Strafgefangenen. Brian sollen durch das Projekt #BigDreams also keine weiteren Nachteile entstehen.



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Kommentare

  • Gabriela Müller, 30.09.2021 19:33 Uhr
    Wer während Jahren Einblick hat, wie überfordert die Kinderschutzbehörde ist und wie viele Menschen mit eigenen unaufgearbeiteten Themen dort im Einsatz sind und ihen Durchsetzung wichtiger als Empathie und Wahrheitsfindung sind, kann nachvollziehen, welche Wut in Brian brodelt. Mit dieser Berufserfahrung leidet man mit dem jungen Mann mit. Sein Schicksal ist belastend und der Fall muss im Interesse von uns allen seitens der Behörde und seitens der staatlichen Institutionen aufgearbeitet werden. Wichtig für die Gesellschaft ist, dass aufgezeichnet wird, wie sich diese Wut angesammelt hat. Musste Brian seine Seele aus erfahrener Machtlosigkeit abspalten? Schön, dass das Projekt nun von der Öffentlichkeit mitfinanziert wird. Brian ist kein Einzelfall, wiele Menschen hadern mit dem Schicksal, weil im Justiapparat Wahrheitfindung als Störfaktor eingestuft wird. Ohne Bereitschaft zur Wahrheitfindung gibt es letzten Endes nur Opfer.
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