22.09.2022

ZFF

Ungeduldige Journalisten, stolzierende Promis

Prominente haben am Eröffnungsabend des 18. Zurich Film Festivals die Hauptrolle gespielt. Mindestens genauso auffällig beim Green Carpet Walk waren die Medienschaffenden: Einige davon interpretierten die journalistische Distanz etwas kreativ.
ZFF: Ungeduldige Journalisten, stolzierende Promis
Zahlreiche Fotografen lichten die Crew des ZFF-Eröffnungsfilms «The Swimmers» ab, daneben gibt Bundespräsident Ignazio Cassis einem ausländischen Medium ein Interview. (Bild: Victoria Zaza/ZFF)
von Tim Frei

SRF-Kulturchefin Susanne Wille, der Zürcher Stadtrat Filippo Leutenegger, Regisseur Michael Steiner, Sänger Baschi ­– und viele mehr: Am Eröffnungsabend des 18. Zurich Film Festival im Kongresshaus stolzierten traditionell viele Persönlichkeiten aus den Medien, der Politik, des Films und der Musik über den grünen Teppich.

Mindestens genauso auffällig waren die rund 50 Medienschaffenden, die ungeduldig auf den Walk der Prominenten gewartet hatten. Sie hatten sich hinter einer Absperrung in zwei Reihen aufgestellt, wobei die teilweise kleinen Plätze in der ersten Reihe nach Medien zugewiesen waren. Unter den Medienschaffenden waren zahlreiche aus der Schweiz, ein gutes Dutzend Fotografen sowie Journalistinnen aus dem Ausland wie Grossbritannien und Deutschland.

Am Anfang waren es vor allem die Fotografinnen und Fotografen, die einiges zu tun hatten: Sie zückten ihre Kameras und gaben Anweisungen, sobald ein paar Prominente für ein Bild posierten, indem sie sich aneinanderreihten, die Haare zurechtrückten und in die Kameras lächelten. Als sich aber immer mehr Persönlichkeiten auf den grünen Teppich gewagt hatten, waren auch jene Medienschaffenden gefordert, welche die Promis unbedingt interviewen wollten. 

Nervöses Treiben wie am Flughafen

So entwickelte sich im Laufe des Green Carpet Walks ein nervöses Treiben unter den Journalistinnen und Journalisten, als wäre man auf dem Flughafen Zürich zu Beginn der Sommerferien: Kamerafrauen und Fotografen, die sich immer wieder von A nach B bewegten, um die beste Sicht auf die Protagonisten zu haben – und Medienschaffende, die ihre Position oftmals verliessen, um das Interview mit einem Promi nicht zu verpassen, sei es Corinne Mauch, Zeki oder Janosch Nietlisbach.

Dabei war unschwer zu erkennen: Einige Medienschaffende interpretierten die journalistische Distanz zum Gegenüber doch etwas kreativ – eine Umarmung hier, ein fanartiger Ruf nach einem Promi dort. Apropos Prominente: Am Eröffnungsabend waren zahlreiche Persönlichkeiten aus der Medienbranche anwesend, darunter NZZ-CEO Felix Graf, CH-Media-Superchefredaktor Patrik Müller, SRF-TV-Chefredaktor Tristan Brenn, Goldbach-CEO Michi Frank, SRF-Direktorin Nathalie Wappler, Weltwoche-Chefredaktor Roger Köppel oder der neue 20-Minuten-Geschäftsführer Bernhard Brechbühl.

Nach dem Green Carpet Walk wurde das Zurich Film Festival mit der Europapremiere der Netflix-Produktion «The Swimmers» der walisisch-ägyptischen Regisseurin und Drehbuchautorin Sally El Hosaini eröffnet. «Jene Festivals, welche die Streamer links liegen lassen, manövrieren sich ins Offside», sagte Christian Jungen, Artistic Director des ZFF, in einem persoenlich.com-Interview auf die Frage, ob es nicht ein eigenartiges Zeichen sei, das Festival mit einem Netflix-Film zu eröffnen. 

Cassis: «Im Kinosaal ist lustiger als vor dem Beamer»

Ähnlich sah dies Bundespräsident Ignazio Cassis, dem es in seiner Eröffnungsrede im Kongresshaus aber nicht darum ging, das Kino und die «gemeinsame Kultur» gegen die Streamingdienste aufzuwiegen. Die Digitalisierung habe auch neue technische Mittel geschaffen und neue Formate gebracht, um Geschichten zu erzählen. «Sie erlaubt es, ein breiteres Publikum anzusprechen und dieses an neuen Orten zu erreichen.»

Gemäss Cassis sei der Mensch ein soziales Wesen, entsprechend finde er eine Komödie in einem vollen Kinosaal lustiger als vor dem Beamer zuhause. Ein Drama ergreifender, einen Thriller packender, wenn die ganze Sitzreihe mitzittert.

Um ein Drama handelt es sich auch beim Film «The Swimmers», der die wahre Geschichte der syrischen Schwestern und Schwimmtalente Sarah und Yusra Mardini – gespielt von Manal und Nathalie Idrissa, Schwestern im realen Leben: 2015 waren Sarah und Yusra Mardini während des Syrienkriegs aus ihrer Heimatstadt Damaskus nach Deutschland geflohen. Dabei hatten sie die gefährliche Überfahrt in einem kleinen und überfüllten Flüchtlingsboot nach Europa gewagt und mit einer Heldentat für das Überleben vieler Menschen gesorgt: Als der Motor auf dem offenen Meer ausfiel, sprangen sie ins Wasser und zogen das Boot stundenlang an einem Seil hinter sich her. 

Flucht nach Europa überzeugt am meisten

In Deutschland angekommen, lässt Yusra Mardini ihren Traum nicht aus den Augen, an den Olympischen Sommerspielen 2016 in Rio de Janeiro dabei zu sein. Mit der Unterstützung des deutschen Trainers Sven Spannekrebs, gespielt von Matthias Schweighöfer, gelingt ihr dies – nicht für Syrien, sondern für das Team Refugee Olympic Athletes.

Am packendsten ist das Drama «The Swimmers» vom Beginn bis zum erfolgreichen Ende der Flucht der syrischen Schwestern nach Berlin. Weil sie von zwei Schwestern aus dem realen Leben verkörpert werden, wirkt ihre tiefe Nähe niemals gespielt, sondern authentisch. Weniger überzeugend ist der Film dagegen in der Phase, die Yusra Mardinis Weg von Berlin an die Olympischen Spiele nachzeichnet – dieser Teil wird zu schnell und weniger detailreich als die Flucht nach Europa erzählt. Überraschend kommt dies aber nicht, sind Themen wie die Flüchtlingswelle 2015 doch schon per se fesselnd.

Bombenangriff zeigt Gegensätze eindrücklich

Regisseurin Sally El Hosaini gelingt es im Film oftmals, den Gegensatz zwischen negativen und positiven Emotionen aufzuzeigen, die der Krieg und die Flucht davor auf der einen Seite und der Schwimmsport und die starke Verbundenheit zwischen den beiden Schwestern auf der anderen Seite auslösen.

Am eindrücklichsten zeigt sich dieser Gegensatz in einer Szene, als Yusra Mardini in einem Training kurz davor steht, zum Sieg zu schwimmen – ehe ein Luftangriff das Dach des Schwimmbads durchbohrt und eine Bombe ins Schwimmbecken fällt. Doch Yusra Mardini, die ein Gesicht voller Todesangst macht, bleibt mit viel Glück unversehrt.

Wenige Momente später liegen sich Vater Ezzat Mardini (Ali Suliman) und Tochter Yusra in den Armen – es braucht diesen Bombenangriff, bis Ezzat ihr erlaubt, mit ihrer Schwester Sarah nach Europa zu fliehen, um ihren Olympia-Traum trotz Krieg verwirklichen zu können. 

Der Film «The Swimmers», der Anfang September am Toronto International Film Festival Weltpremiere feierte, soll ab 23. November auf Netflix verfügbar sein.  


Hier geht es zur persoenlich.com-Bildergalerie zum Eröffnungsabend im Kongresshaus.



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