15.04.2017

Fall Jürg Jegge

«Wir wollten eine Primeurjagd verhindern»

Die Enthüllungen über den «Lehrer der Nation» Jürg Jegge haben ein grosses Medienecho ausgelöst. Gabriella Baumann-von Arx vom Wörterseh Verlag erklärt im Interview mit persoenlich.com, wie sie diese Zeit erlebt und weshalb sie das Buch von Markus Zangger so geheimnisvoll vorgestellt hat.
Fall Jürg Jegge: «Wir wollten eine Primeurjagd verhindern»
«Ich werde die Veröffentlichung nie bereuen, sondern immer stolz darauf sein, wie mein ganzes Team diese absolute Ausnahmesituation gemeistert hat und was wir erreicht haben», sagt Gabriella Baumann-von Arx, Verlegerin des Wörterseh Verlags. (Bild: Gianni Pisano)

Frau Baumann-von Arx*, der «Fall Jegge» beschäftigt nicht nur die Medien und die Öffentlichkeit, sondern mittlerweile auch die Strafverfolgungsbehörden. Hat Sie diese Resonanz überrascht?
Ja. Natürlich wussten wir um die Relevanz. Aber dass die offiziellen Stellen so schnell reagierten, hat uns dann doch überrascht.

Sie haben das Buch «Jürg Jegges dunkle Seite» sehr geheimnisvoll vorgestellt (persoenlich.com berichtete). War dies rückblickend notwendig?
Absolut. Ich würde allerdings sagen, wir haben es sachdienlich vorgestellt, nicht geheimnisvoll. Wir taten dies, weil wir verhindern wollten, dass eine Primeurjagd entsteht. Es war uns ganz wichtig, dass alle Medien die gleich langen Spiesse haben.

Hatten Sie mit Herrn Jegge einmal Kontakt?
Nein. Sie spielen wohl darauf an, dass wir Jürg Jegge im Buch keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben. Seien Sie versichert, hätte Jürg Jegge den Brief an Markus Zangger nicht geschrieben, ich hätte das Buch garantiert nicht verlegt. Sein Brief ist ein offensichtliches Schuldeingeständnis. Das zeigen auch Jürg Jegges Antworten in den Interviews, die er gegeben hat: Er verwendet zum Teil dieselben Formulierungen wie im Brief.

Sie schrieben in der Einladung zur Medienkonferenz: «Das Buch hat eine Brisanz, die das ganze Land nicht nur interessieren, sondern auch erschüttern wird». War die grosse Werbetrommel wirklich nötig?
Vielleicht wäre «Das Buch hat eine Brisanz, die die ganze Deutschschweiz…» passender gewesen, das stimmt. Beim Erschüttern bleibe ich. Oder erschüttert Sie nicht, was Sie inzwischen erfahren haben?

Journalisten haben diese geheimnisvolle Einladung jedenfalls kritisiert. Hat Sie das überrascht?
Da wissen Sie mehr als ich. Bei uns hat sich im Nachhinein kein einziger Journalist über die Art und Weise der Einladung beschwert. Einzig eine mir bekannte Journalistin hat uns – sehr nett – darauf aufmerksam gemacht, dass sie die Einladung nicht «Wörterseh-Like» finde, das war alles. Im Gegenteil, ich bekam Rückmeldungen von gestandenen Journalisten, dass man inzwischen versteht, warum es nicht anders ging.

Sie würden also wieder so vorgehen.
Es wird hoffentlich nie mehr passieren, dass wir ein Buch unter diesen Voraussetzungen verlegen müssen. Ich denke, dieses Projekt war diesbezüglich einmalig. Sowas erlebt man «once in a lifetime» und das reicht vollauf.

Jürg Jegge hat mittlerweile auf das Buch reagiert und «sexuelle Kontakte» mit Markus Zangger gestanden (persoenlich.com berichtete). Hat er der Enthüllungs-Story damit den Wind aus den Segeln genommen?
In Ihrer Frage liegt der zynische Vorwurf, dass ich billige Effekthascherei betreibe. Das Gegenteil ist der Fall. Es geht darum, einem Opfer, das sich aus seiner Opfer-Rolle befreien konnte, Gehör zu verschaffen und ihm die Chance zu geben aufzuzeigen, was psychische Manipulation und sexueller Missbrauch für Auswirkungen auf die Seele eines jungen Menschen haben. Die Tatsache, dass Jürg Jegge alles gestand, ist sicher kein Verlust, sondern ein Gewinn. Und zwar auf der ganzen Linie. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass «sexuelle Kontakte», wie Sie Jürg Jegge zitieren, für das, was er verbrochen hat, eine ebenso verharmlosende wie entlarvende Formulierung ist. Es waren massive sexuelle Übergriffe, verbunden mit einem schweren psychischen Missbrauch.

Wie läuft der Verkauf der Bücher?
Es wird sich erst in den nächsten Tagen zeigen, ob die Bücher, die ausgeliefert wurden, sich auch tatsächlich verkaufen. Aber seien Sie versichert, auch wenn das Buch rote Zahlen schreibt: Ich werde die Veröffentlichung nie bereuen, sondern immer stolz darauf sein, wie mein ganzes Team diese absolute Ausnahmesituation gemeistert hat und was wir erreicht haben.

*Das Interview wurde schriftlich geführt.


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KOMMENTARE

Evelyne Eggenberger
16.04.2017 12:29 Uhr
Grüezi Herr Sonder Welche innere Motivation hat Sie angetrieben einen Nebenschauplatz zum Thema zu machen, was gar nicht das Thema ist? Inhaltlich geht es um sexuellen Missbrauch eines Pädagogen getätigt an seinen Schützlingen und nicht um eine Werbestrategie. Ich persönlich bin mehr als froh darüber, dass Herr Zangger mithilfe von fachkompetenter Unterstützung und mithilfe des Wörterseh-Verlages diesen Mut hatte und diesen Weg gegangen ist. Der Wörterseh-Verlag ist bekannt dafür, dass er Lebensgeschichten veröffentlicht. Darum ist bei der Biografie von Herr Zangger in Bezug auf den Verlag, der seine Geschichte veröffentlicht, nichts Schlechtes anzudichten. Im Gegenteil. Für Opfer ist es existenziell wichtig, das es Menschen wie Hugo Stamm, Opferhilfe und wie in diesem Fall einen Verlag gibt, die klare Haltung für das Opfer beziehen und sich auch klar abgrenzen. Diese Unterstützung und solchen Schutz hatte das Opfer bis dato nicht. Evi Eggenberger
Daniel Sonder
12.04.2017 13:22 Uhr
Jenseits jeder Glaubwürdigkeit und nachgerade tolldreist, was Frank Baumann, bekanntermassen als Werber und Kommunikationsberater zugange, hier seiner Angetrauten eingeflüstert hat. Wäre es, wie halsbrecherisch daherbehauptet, um gleich lange Spiesse und das Verhindern einer Primeurjagd gegangen, hätte ebenso gut bereits im Vorfeld der Medienkonferenz der Tatvorwurf sowie die Identität des Beschuldigten allgemein publik gemacht oder zumindest auf die landesweite Erschütterung in Aussicht stellende Geheimnisinstallation verzichtet werden können. Nur, das wäre dann halt bloss eine der Thematik angemessene, seriöse Bekanntgabe gewesen und nicht das maximale Aufmerksamkeit garantierende Platzenlassen einer Bombe. Wodurch dann auch, das war absehbar, der Andrang bei der Medienkonferenz um einiges moderater ausgefallen wäre. Ein inakzeptables Szenario selbstredend, wo kämen wir da hin, schließlich hat man fokussiert zu bleiben, die Sensationsgeilheit des Publikums nachhaltig zu befeuern und den Markt auf Bestsellerkurs zu trimmen. Wunderbarst fügt sich da ins Bild, dass eingangs erwähnter Werber, wie zu vernehmen war, am Vorabend die Journalistenschaft in breiter Streuung telefonisch darauf eingeschworen haben soll, sich auch ja an der Medienkonferenz einzufinden, da die Sprengkraft der daselbst zur Zündung gelangenden Bombe ein ganz besonders hochklassiges Spektakel verspreche. Es ist leicht zu erkennen: Was hier im verklärenden Lichte selbstloser, heroischer Opferhilfe erstrahlen soll, ist ordinäre, einzig sich selbst verpflichtete Verkaufsförderung, sonst gar nichts. Da kann einem der arme Herr Zangger nun gerade doppelt leidtun.
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