19.05.2023

Let's Doc!

«Wir zeigen Dokumentarfilme in Kirchen und Bibliotheken»

Anfang Juni findet die erste Schweizer Dokumentarfilmwoche statt. Gudula Meinzolt hat das Festival mitinitiiert. Im Gespräch erklärt die Filmproduzentin, warum viele Vorführungen ausserhalb der Kinos stattfinden und wie der Anstoss aus der Westschweiz und Frankreich kam.
Let's Doc!: «Wir zeigen Dokumentarfilme in Kirchen und Bibliotheken»
Vorbild für die Schweizer Dokumentarfilmwoche ist der Monat des Dokumentarfilms in Frankreich: Filmproduzentin Gudula Meinzolt. (Bild: zVg/Dall-E 2)

Frau Meinzolt, wie ist die Idee zu einer Dokumentarfilmwoche entstanden?
In den letzten zwei, drei Jahren hat sich die Branche, also Verleihe, Produzentinnen, aber auch Kinobetreiber mehrmals zusammengesetzt, um zu überlegen, wie man dem Dokumentarfilm in der Schweiz zu mehr Publikum verhelfen und das Publikum wieder ins Kino zurückbringen könnte. Daraus ist die Idee zu einer Schweizer Dokumentarfilmwoche entstanden.

Warum kam der Anstoss zu Let's Doc! aus der Westschweiz?
Mit Ciné-Doc gibt es in der Westschweiz seit sieben Jahren einen Verein, der den Dokumentarfilm auf vielfältige Weise fördert. Wir zeigen regelmässig Filme in Altersheimen, in Gefängnissen und veranstalten jeden Monat einen Anlass in rund zwanzig Kinos, wo Dokumentarfilme begleitet von Gästen oder von den Filmemacherinnen gezeigt werden. Cinedoc, und insbesondere der Gründer Gwennaël Bolomey und ich selbst, haben sich dann an den Diskussionen beteiligt, die zu der Idee einer Dokumentarfilmwoche führten.

«Wir haben eine einzigartige Kinolandschaft in der Schweiz»

In den USA spricht man aktuell von einem «Golden Age of Documentaries». Gilt das auch für die Schweiz?
Die Schweiz ist international bekannt für ihre Dokumentarfilme. Wir haben zudem eine einzigartige Kinolandschaft in der Schweiz, die Dokumentarfilme zeigt. Es gibt zudem sehr viel Aktivitäten rund um den Film herum. International erlebt der Dokumentarfilm seit fünf, zehn Jahren einen Aufschwung. An den grossen Filmfestivals werden vermehrt Dokumentarfilme gezeigt und auch prämiert, wie dieses Jahr an der Berlinale «Sur L'Adament», den wir auch in unserem Programm haben.

Dokumentarfilme kann man heute – wie alle anderen Filme auch – bequem zu Hause online schauen. Warum soll man dafür ins Kino oder an ein Festival gehen?
Let's Doc! bietet die Möglichkeit, sich emotional mit den Menschen auseinanderzusetzen, die porträtiert werden oder mit den Filmemacherinnen und Filmemachern in Kontakt zu treten, die in manchen Fällen anwesend sein werden. Es wird immer wichtiger, dass wir zusammenkommen, einander begegnen und diskutieren. Und dann ist es natürlich immer noch etwas ganz anderes, einen Film auf der grossen Leinwand zu schauen als alleine zu Hause.

«Das Angebot ist sehr weitgefächert und niederschwellig»

Welches Publikum sprechen Sie an?
Wir sprechen ein sehr breites Publikum an. Das zeigt sich etwa daran, dass Kinos nur die Hälfte der Spielstätten ausmachen. Wir zeigen Filme bei Quartiervereinen, in Galerien, in einem Bibliobus, in einem Seniorentreff, in Bibliotheken, bei Open-Air-Vorstellungen, aber auch an Schulen und sogar in Gefängnissen. Das Angebot der Dokumentarfilmwoche ist sehr weitgefächert und niederschwellig.

Was war zuerst, die Spielstätten oder die Filme?
Der Prozess verlief parallel. Wir haben einerseits ein relativ breites Programm zusammengestellt, das die Vielfalt der Dokumentarfilme präsentieren soll und das Beste aus der diesjährigen Schweizer Produktion enthält, darunter auch einige unveröffentlichte Filme. Und andererseits haben wir Spielstätten recherchiert, natürlich die Kinos in erster Linie, aber eben auch Museen, Bibliotheken und Quartiervereine.

Welches ist die ungewöhnlichste Spielstätte?
Wir fanden es interessant, dass sich viele Kirchen, reformierte und katholische, gemeldet haben. In Zürich gibt es in der Andreas-Kirche einen cinephilen Pfarrer, der regelmässig Filmgottesdienste gestaltet. Für die Dokumentarfilmwoche hat er sich den Film «North Drift» ausgesucht, den wir vorgeschlagen haben, über Plastikabfall in den Meeren. Ein junger Filmemacher hat eine Plastikflasche in Dresden in die Oder geworfen und sie bei den Lofoten aus dem Meer gefischt. Das hat den Pfarrer interessiert.

«Wir sind inspiriert vom Monat des Dokumentarfilms in Frankreich»

Nicht nur in Kirchen, auch in Bibliotheken laufen Filme im Rahme von Let's Doc!. Wie erklären Sie sich deren Interesse?
Wir sind inspiriert vom Monat des Dokumentarfilms in Frankreich, den die Bibliotheken vor 25 initiiert haben. Da gibt es jeweils 3000 Vorstellungen im ganzen Land. Die Bibliotheken in Frankreich haben sich schon sehr früh neu aufgestellt und setzen längst auch auf andere Medien als nur auf das gedruckte Buch. Aus Gesprächen mit Schweizer Bibliotheken habe ich den Eindruck, dass auch hierzulande sehr viel Interesse vorhanden ist für solche Projekte.

Was auffällt: Ausser der Fachpublikation Cinebulletin hat Let's Doc! keine Medienpartner, und auch die SRG fehlt als Partnerin. Warum?
Das hat einfach damit zu tun, dass unsere Vorlaufzeit sehr kurz war. Da besteht unbedingt noch Luft nach oben. Das wollen wir im nächsten Jahr frühzeitig angehen. Wir sind mit RTS und anderen Medien im Gespräch über Partnerschaften für die nächste Ausgabe.

Wie viele Besucherinnen und Besucher wollen – oder müssen – Sie mit der Dokumentarfilmwoche erreichen?
Wir haben an die 100 Spielstätten mit gut 200 Vorstellungen. Das kann man jetzt multiplizieren mit den erhofften Publikumszahlen. Aber wir haben keinen Budgetposten für Publikumseinnahmen. Für uns sind die Erfolgskriterien nicht in erster Linie finanzieller Art. Wenn in einem Bibliobus 20 Leute einen tollen Abend erleben, dann ist das für uns genauso ein Erfolg, wie wenn hundert Leute in einem Kino einen Film sehen.


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