26.08.2005

BLOCHER CHRISTOPH, Bundesrat/September 2005

Einheitsbrei: Was denkt Christoph Blocher heute über die Presse und deren Exponenten? Genau vor einem Jahr hat der Justizminister an der Verlegertagung eine kämpferische Rede gehalten, in welcher er den angeblichen “publizistischen Einheitsbrei” anprangerte. Blochers Befund überrascht: Die Schweizer Medien hätten sich im vergangenen Jahr stark verbessert. Gegenüber “persönlich” erzählt Blocher von seinem Medienverhalten und seinen Lieblingstiteln. Interview: Matthias Ackeret Fotos: Alberto Venzago, SF DRS

Herr Blocher, hat sich seit Ihrer Rede an der Tagung des Verbandes der Schweizer Presse etwas geändert?

“Ich stelle bescheidene Anzeichen einer erfreulichen Änderung fest. Vor allem Wochenzeitungen – ich denke hier an die Weltwoche, das Magazin des Tages-Anzeigers oder Facts – bemühen sich, – auch thematisch – aus dem Einheitsbrei auszubrechen. Auch bei der Tagesschau des Fernsehens ist mehr Seriosität und Offenheit festzustellen. Diese Journalisten tun das sicher nicht wegen meines Referates, sondern weil sich immer mehr Menschen nach objektiver Berichterstattung und verschiedenen Meinungen sehnen.”

Woran liegt das?

“Die Zeiten haben sich geändert. Das politische Klima ist weniger verkrampft als noch vor drei, vier Jahren. Es wird wieder offener diskutiert und kritisiert. Eine wichtige Rolle spielt die EU-Beitrittsfrage. Wer in den Neunzigerjahren einen Beitritt ablehnte, galt als politisch unkorrekt, als Hinterwäldler, dumm und – vor allem – moralisch verwerflich, während auf der Gegenseite die ‘Guten’ standen, welche die Zeichen der Zeit erkannt hätten. Diesem Trend hatten sich – wie ein Mann – die Medien verschrieben. Die political correctness hat lange die EU zum Leitbild, ja zum Götzen erklärt. Wer für die Selbstständigkeit des Landes eintrat, galt als Aussenseiter, als Isolationist. Heute weigern sich innerlich immer mehr Journalisten, diese stupide Meinung weiterzuverbreiten. Wenn es ihnen erlaubt wird, beginnen sie auch freier zu schreiben. Selbst beim Tages-Anzeiger, der jahrelang eine doktrinäre Linie verfolgt hat, spüre ich, dass zumindest einzelne Journalisten aus der political correctness auszubrechen wagen und heute offener über Zeitprobleme schreiben als noch vor einigen Jahren. Hoffnungsvolle Ansätze sind zu erkennen. Die Situation hat sich geändert, nicht nur in der Schweiz, auch in anderen europäischen Ländern kann über die Konstruktion EU und deren Sinn offener gesprochen werden.”

Aber hängt diese Entwicklung nicht auch mit Ihrer Wahl vom umstrittenen Oppositionspolitiker zum Bundesrat zusammen?

“Es mag etwas damit zu tun haben. Doch noch bis vor etwa zwanzig Jahren wurden die offizielle Politik und die Politiker immer wieder hart kritisiert. Das schadete der Politik keineswegs. Medienschelte führt nicht automatisch dazu, dass Politiker von Bürgerinnen und Bürgern verachtet werden, zumindest dann nicht, wenn sie nichts Unehrenhaftes getan haben. Anders in den kommunistischen Ländern: Da durften die Medien keine Kritik üben und mussten die Politik der Regierenden loben. Seit den Achtzigerjahren entwickelte sich auch bei uns in den grossen politischen Fragen ein unheimlicher Einheitsbrei. Es war eine Modeerscheinung. Die Presse, das Fernsehen, das Radio verbandelten sich unkritisch mit der offiziellen Politik. Das weckte und weckt immer mehr Misstrauen. Sachliche Kritik und Meinungsvielfalt waren noch nie Ursache für politische Fehlentwicklungen, im Gegenteil: Das dauernde Infragestellen führt zu besseren Lösungen. Gerade dort, wo alle unkritisch dem Gleichen nachrennen, wo das gegenseitige Abschreiben zur Routine wird und Einheitsmeinungen vorgeschrieben werden, sind Fehlentwicklungen programmiert. Darum unterbinden Diktatoren als Erstes die freie Meinungsäusserung. Die direkte Demokratie lebt von der Meinungsvielfalt. Voraussetzung für eine echte Meinungsvielfalt ist die Meinungsäusserungsfreiheit. Ohne Meinungsäusserungsfreiheit ist eine Demokratie – vor allem die direkte – nicht möglich. Darum müssen wir dafür kämpfen. Die Meinungsfreiheit führt zu besseren Verhältnissen im Staat. Ich hatte dieses Jahr am Sechseläuten ein längeres Gespräch mit dem von der gleichen Zunft eingeladenen Ehrengast, dem früheren Weltwoche-Chef und heutigen Chefredaktor der Welt, Roger Köppel. Für ihn (der sowohl die Schweiz wie jetzt auch Deutschland gut kennt) ist es immer noch faszinierend, wie frei von jeglicher Parteimaxime sich Schweizer Politiker artikulieren können. Er sprach meine Zunftrede an. Regierungs- und Parlamentsmitglieder sollten möglichst oft vor nicht politisch organisierten Bürgerinnen und Bürgern antreten, ihnen in die Augen schauen, ihnen zuhören, ihre Kritik über sich ergehen lassen, aber ihnen auch erklären und entgegnen. Regierungen und Parteien neigen erfahrungsgemäss dazu, eine andere Sicht der Dinge als persönlichen Angriff zu betrachten. Also versuchen sie, andere Meinungen zu unterdrücken. Hier sollten die Medien eingreifen und selbstständig kritisieren oder Kritikern Raum geben.”



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