11.02.2004

CAPRA FRITJOF, Physiker, Februar 2004

Der bekannte Physiker Fritjof Capra, 65, versucht seit 30 Jahren, Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften und Wirtschaft unter einen gedanklichen Hut zu bringen. Denn nur so lassen sich die Gesellschaften des 21. Jahrhunderts von ihrem selbstzerstörerischen Weg abbringen und nehmen Verhaltensweisen an, die ökologisch und sozial nachhaltig sind. Interview: Oliver Prange

Sie schreiben in Ihrem Buch “Verborgene Zusammenhänge”, dass sich menschliche Organisationen niemals lenken lassen, dass sie allenfalls gestört werden können. Kann das wirklich sein?

“Da sind wir gleich beim Kern der Sache. Bis zu einem gewissen Grad sind menschliche Organisationen als Systeme selbst lebendig. Wir können von der Theorie der lebenden Systeme ausgehen, die in den letzten 20 Jahren entwickelt wurde und die besagt, dass alle lebenden Systeme autonom sind. Sie reagieren auf Störungen durch die Umwelt in ihrer eigenen, selbst organisierenden Weise. In einer Zelle oder einem anderen lebenden Organismus wird jede Störung von aussen durch ein Netzwerk von chemischen Prozessen absorbiert; dadurch verändert sich auch das Netzwerk selber. Der Organismus antwortet auf Störungen durch Veränderung, er entscheidet aber selbst, wie er sich verändert. Und er entscheidet sogar, auf welche Störung er mit Veränderung reagieren will. Der Organismus nimmt eine Störung nur dann wahr, wenn sie mit seiner eigenen Struktur im Einklang ist. Das ist ein wesentlicher Unterschied zur Maschine. Eine Maschine können wir steuern, lebende Organismen nicht; die können nur gestört werden.”

Was kann ich als Manager eines Unternehmens daraus lernen?

“Nur durch Vorschriften erreicht man in einer menschlichen Organisation nicht sehr viel. Natürlich kann man ein Unternehmen ganz rigide gestalten, sodass alles in strikten Hierarchien und nach Vorschrift verläuft und kontrolliert wird. Eine solche Organisation arbeitet wie eine Maschine; sie ist nicht sehr effizient, nicht anpassungsfähig, nicht kreativ. Eine solche Organisation kann sich nicht entwickeln. Ihr fehlen die Eigenschaften, die für das Leben charakteristisch sind. Die Alternative wäre, ein Klima zu schaffen, in dem sich die Lebendigkeit einer Organisation ausdrücken kann. In einer solchen Organisation gibt es informelle Netzwerke, die kreativ und fliessend sind. Diese Netzwerke reagieren wie alle lebenden Systeme autonom auf Störungen – durch Veränderung.”

Wie antwortet denn ein lebendes System auf Störungen?

“Es antwortet entsprechend seiner Struktur. Dazu reicht die biologische Struktur nicht aus. Es braucht auch die geistige Struktur, das Bewusstsein, und in einem sozialen System die Kultur. Das heisst: Eine Nachricht oder ein Input in die Organisation wird nur dann aufgenommen und verarbeitet, wenn sie Sinn stiftet. Sinnvolle Botschaften werden von der Organisation schnell aufgenommen, weil sie sich freiwillig stören lässt.”



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