26.04.2006

GÜMPEL UDO, Fernsehjournalist/Mai 2006

Mediendiktatur: Wie funktioniert Berlusconis Medienmacht? Der deutsche Fernsehjournalist Udo Gümpel lebt seit über 20 Jahren in Italien und kennt das System des Cavaliere bestens. Soeben hat er unter dem Titel “Berlusconi Zampano” eine aufschluss- reiche Biografie über den italienischen Ex-Regierungschef geschrieben. Gegenüber “persönlich” schildert Gümpel seine persönlichen Erfahrungen mit Berlusconi und die Art, wie missliebige Journalisten mundtot gemacht werden.

Herr Gümpel, Ministerpräsident Berlusconi wurde ganz knapp abgewählt. Hat Sie dieses Resultat überrascht?

“Ja, ehrlich gesagt hatte ich mit einem deutlichen Sieg für Prodi gerechnet. Doch meine persönliche Wahrnehmung war offenkundig verzerrt. Ich bin dem gleichen Trugschluss unterlegen gewesen wie alle Meinungsforschungsinstitute, die Prodi noch nach der Schliessung der Wahllokale mit mindestens fünf Prozent vorne liegen sahen. Doch weder wir kritischen Beobachter aus dem Ausland noch die italienischen Meinungsforscher hatten die Bedeutung begriffen, die Berlusconi für den ärmsten und kulturell rückständigsten Teil der Italiener hat. Berlusconi ist ihr ‘Campione’: Er hat den direkten emotionalen Draht zu diesen Schichten, die sich in anderen Ländern längst von der Teilnahme an Wahlen verabschiedet haben. Daher auch die extrem hohe Wahlbeteiligung in Italien, weit über 80 Prozent. Das ist eben das Erstaunliche an diesen Wahlen: Dass Berlusconi es auch nach fünf Jahren katastrophaler Regierung, deren wichtigste Aktivität es war, die persönlichen Interessen Berlusconis zu schützen, wieder geschafft hat, bei seinen Wählern Träume zu evozieren, die jede Wahrnehmung von Realität verdrängt haben. Das ist ein Meisterstück: Diejenigen, die am meisten von seiner Politik betroffen waren, denen die Sozialleistungen gekürzt wurden, die an der Inflation litten und die trotz aller Versprechungen eben keinen festen Arbeitsplatz bekommen haben, die einfachen Leute, die haben ihn massiv unterstützt. Warum? Weil er ihren ‘Bauch’ ansprach, ihre Emotionen, weil er ihre Hoffnungen verkörpert.”

Jetzt war überall von der “Mediendiktatur” Berlusconis die Rede. Trotzdem hat er die Wahlen verloren. Ist der Einfluss von Berlusconis Fernsehsendern kleiner als erwartet?

“Nein, im Gegenteil. Der Umstand, dass er de facto die Hälfte Italiens hinter sich geschart hat, dass er so viele Menschen dazu gebracht an, die Realität zu vergessen und in die Traumwelt von Silvio, dem grössten Zampano aller Zeiten, einzutauchen, ist ohne seine längst allumfassende Fernsehmacht nicht zu erklären. All das hat seine tiefe Ursache in 30 Jahren Berlusconi-Fernsehen, die wiederum das Staatsfernsehen hinter sich hergezogen haben, auf dem Weg ins kulturelle Flachland. Kurzum: Das kulturelle Niveau der Italiener ist ‘dank’ seines Fernsehens – das sage nicht ich, sondern der Schriftsteller Andrea Camilleri – gewaltig gesunken.”

Wie äusserte sich diese Medienmacht während des Wahlkampfes?

“Der Wahlerfolg Berlusconis ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen, stetigen Gehirnwäsche. Jeder Schritt schien harmlos, galt den Kritikern meist als ‘Amerikanisierung’. Heute sehen wir das Ergebnis: Alles Kritische, alles Hinterfragende, jeder Ansatz selbstständigen Denkens ist nicht nur aus dem Berlusconi-Fernsehen – da gab es so was höchstens zu Beginn in Ansätzen –, sondern aus dem gesamten italienischen Fernsehen verschwunden. Berlusconi hat den Rhythmus bestimmt, das Staatsfernsehen ist ihm gefolgt. Stellen Sie es sich nur vor, wie alle sechs nationalen TV-Sender – zusammen erreichen sie 95 Prozent nationalen Marktanteil – die Tage der Unsicherheit über das Wahlergebnis ‘gecovert’ haben: Keine ‘Lives’, keine Sondersendungen, keine Korrespondenzen aus den Brennpunkten. Alles war wie vorher: Koch-Sendungen, Gymnastik für beleibtere Damen im mittleren Alter, Quiz, Show. Als ob es die Politik gar nicht geben würde. Dazwischen gestreut ein paar ‘Auftritte’ des grossen Zampano: Er ist der Vater der Italiener. Er kümmert sich um uns. Wir lassen ihn die ‘hohe Politik’ machen, er gibt uns zu essen. Leute wie Prodi, die von Defiziten reden, von Schulden bezahlen, von Steuern eintreiben, werden als Störenfriede der Fernseh-Familie wahrgenommen, wie der verrückte Onkel mit den fixen Ideen.”



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