08.10.2003

MIKUNDA CHRISTIAN, Dramadurg/Oktober 2003

Aus Einkaufszentren werden Entertainmentcenter. In Madrid wurde diesen Sommer Xanadu eröffnet, das nebst 220 Ge-schäften auch einen Ski Dome, Kinos und eine Kart-Rennbahn beherbergt. In Bern plant die Migros das Westside-Center, für das sich Architektur-Stars wie Jean Nouvel, Inès Lamunière, Massimiliano Fuksas bewarben und Daniel Libeskind, der gewann. Für die Dramaturgie zuständig war Christian Mikunda, der sich eine Nische als Entertainmentcenter-Berater geschaffen hat. "persönlich” fragt Mikunda nach dem neuen Trend. Interview: Oliver Prange, Fotos: Marc Wetli

Herr Mikunda, was war Ihre Funktion bei Migros’ Westside-Projekt?

"Ich habe die Architekten-Teams gebrieft und wirkte auf die Dramaturgie des Einkaufszentrums mit ein. Interessant ist, dass sich heute weltberühmte Architekten dafür interessieren, Shoppingcenter, so genannte Dritte Orte, zu bauen. Das war früher nicht der Fall. Für Migros’ Westside bewarben sich Stars wie Jean Nouvel in Paris, Inès Lamunière und Massimiliano Fuksas in Rom. Fuksas beispielsweise war in seiner Jugend ein bekennender Kommunist, baute aber in Salzburg vor einigen Jahren ebenfalls ein Shoppingcenter. Den Migros-Wettbewerb gewonnen hat Daniel Libeskind, ein polnisch-amerikanischer Architekt, der in Berlin lebt. Es war mutig, sich für einen dekonstruktivistischen Architekten zu entscheiden, der die Machart des Gebäudes blosslegt, der Häuser baut, in welchen gerade eine Bombe eingeschlagen zu haben scheint. Die ganze Fachwelt war verblüfft ob dieser Entscheidung, zumal Liebeskind bekannt ist für seine linke Haltung.”

Was ist ein Dritter Ort?

"Das Museum der Peggy Guggenheim Foundation in Venedig ist beispielsweise ein Dritter Ort (siehe auch Seite 40; Red.). Erster Ort ist die eigene Wohnung, Zweiter der Arbeitsplatz. Im 19. Jahrhundert erfand man die Ästhetik des Heims nach dem Motto: ‘Zeig mir deine Wohnung und ich sage dir, wer du bist.’ Man wohnte bescheiden biedermeierlich oder schwülstig exotisch. Das Amerika der Sechzigerjahre entdeckte den Zweiten Ort, die motivierende Kraft einer ästhetischen Arbeits-umgebung. Er äusserte sich in Grossraumbüros mit viel Licht, Luft und Grün und bunt gestrichenen Fabrikhallen. In den Achtzigerjahren schwappte der damals neue Trend zum erlebnis-orientierten Marketing zunehmend auf den öffentlichen Raum über. Man begann, die Dritten Orte – Museen, Shoppingcenter, Restaurants, Hotels – zu inszenieren.”

Wie entsteht eine Erlebniswelt?

"Die Erlebnisgestaltung hat einen strikten Aufbau. Es gibt vier Kriterien. Erstens: Die Erlebnisgestaltung zielt darauf ab, dem Ort einen starken Auftritt zu verschaffen, ihn zum Wahrzeichen zu machen. Zweitens: Sie will den Besucher innerhalb des Ortes herumbewegen, man nennt dies Malling. Wenn der Käufer, Museumsbesucher, Hotelgast nicht flanierend den Ort erforscht, wird er die gerade für ihn wichtigen Waren, Ausstellungsstücke, Serviceangebote nicht finden. Drittens: Sie braucht einen roten Faden, eine konzeptionelle Linie, um als Ganzheit wahrge-nommen zu werden. Und viertens: Sie will die Öffentlichkeit neugierig machen und die Menschen wie magnetisch anziehen.”



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