Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Sie könnten den grössten Slum von Mumbai (früher Bombay) ein für alle Mal sanieren?
Ich bin Architekt und habe meine Ausbildung in New York abgeschlossen. Aber praktische Erfahrung habe ich als Geschäftsmann, ich realisiere Überbauungen. Daraus folgt: Jedes Mal, wenn ich eine architektonische Arbeit sehe, dann denke ich auch an den geschäftlichen Aspekt, der gelöst werden muss. Man kann ja keine Luftschlösser bauen.
Sie haben Häuser für Reiche in der Umgebung von New York gebaut.
Richtig. In den USA habe ich Immobilien im obersten Marktsegment realisiert. Als ich nach Indien zurückkam, sah ich eine Möglichkeit. In Mumbai gibt es eine Zone beim Flughafen, die über 217 Hektaren umfasst und die von der Regierung als sehr problematisches Gebiet bezeichnet wird. Um einen Gesamteindruck zu geben: Fast 30 Prozent der indischen Bevölkerung leben in städtischen Agglomerationen. Und davon leben knapp 35 Prozent in Slums. Das sind mehr als 100 Millionen Menschen. Aber die staatliche Baupolitik kann mit diesem Problem nicht umgehen. Zusammen mit der Korruption, mit der Verbindung vieler lokaler Politiker zur Mafia und Bürokratie liess das die Slums immer weiter anwachsen. Neu eintreffende Slumbewohner betreten dabei nicht unbebautes Land, sondern suchen sich ihren Platz in den unmenschlichen Bedingungen, die dort bereits herrschen. Und gleichzeitig müssen sie viel Geld bezahlen, um überhaupt eine Unterkunft zu finden. Jeder Lebensbereich in Mumbai wird von Slums beeinträchtigt.
Also leben die Reichen und die Armen nahe aufeinander?
Die Reichen und die Armen leben in der gleichen Stadt. Aber die Ungleichheit ist dermassen gross, dass es mich überrascht, dass bislang noch kein grösserer Aufstand der Armen stattgefunden hat. Vor ungefähr zehn Jahren ist die indische Regierung plötzlich aufgewacht. Es wurde entschieden, dass die Slums verschwinden sollten. Aber die dafür nötigen Finanzmittel sind dermassen gross, dass das nur in einer Partnerschaft zwischen dem Staat und privaten Inves-toren anzugehen ist. Das Land, auf dem die Slumbewohner leben, ist sehr wertvoll. Also beinhaltet der Plan, dass ein Teil dieses Landes den privaten Erschliessern des Geländes übereignet wird. Auf einem Teil des Slumgebiets werden menschenwürdige Behausungen für die Bewohner gebaut, auf einem anderen Teil kann der private Unternehmer Überbauungen realisieren, die er verkaufen kann. Das bedeutet, es kann Profit gemacht werden, und gleichzeitig werden die Bedürfnisse der Slumbewohner befriedigt. Dieses Projekt ist seit einigen Jahren im Gange, aber es gibt Probleme. Die Unternehmer erstellen Lebensraum in sehr ärmlicher Qualität für die Slumbewohner. Anders gesagt, es werden einfach senkrechte statt waagrechte Slums gebaut. Vor ebenfalls zehn Jahren sah ich eine Geschäftsmöglichkeit in diesem Gebiet in der Nähe des Flughafens, das weltweit als der drittgrösste Slum gilt. Aber zu diesem Zeitpunkt verstand ich noch nicht, wer Slumbewohner eigentlich sind. Ich kannte nur die üblichen Vorurteile, dass alle Slumbewohner Kriminelle seien, nur illegalen Tätigkeiten nachgingen. Aber ich wusste, wenn ich diese Geschäftschance wirklich ergreifen wollte, dann musste ich selbst die Situation untersuchen. Also eröffnete ich in Dharavi, so heisst die-se Zone, ein kleines Büro. Während sechs Monaten mischte ich mich unter die Bewohner und versuchte, ihre Anliegen zu verstehen, ihre Wünsche. Dabei merkte ich, dass das grösstenteils grundehrliche Menschen sind, die aus kleinen Dörfern in die Stadt zogen, weil sie ihre Lebensumstände verbessern wollten. Unglücklicherweise trafen sie hier auf Lebensbedingungen, die sie zu einem Leben wie Tiere herabwürdigte. Das erinnerte mich an meinen Vater, der vor ungefähr 80 Jahren von einem sehr kleinen Dorf in die Stadt zog. Er lebte nicht in einem Slum, aber in einem bescheidenen Haus mit zwei Räumen. Er hatte das Glück, dass er in Mumbai erfolgreich war und sogar ein Vermögen verdienen konnte. Also lebten er und seine Kinder dann in einem schönen Haus mit viel Luxus. Das war schon so, als ich geboren wurde, daher war mir gar nicht klar, wie arm er vorher gewesen war. Ich stellte dann bei meiner ersten Begegnung mit den Slumbewohnern fest, dass die doch gar nicht so anders sind als ich oder mein Vater.
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