Herr Schuler, einige Jahre bevor Sie Geschäftsleiter von Greenpeace Schweiz wurden, waren Sie ehrenamtlicher Vizepräsident des WWF. Ist dies verspätetes Rebellentum?
(Lacht) Was mich persönlich betrifft: nein. Ich habe bereits in der Primarschule einen Sitzstreik auf dem Pausenplatz des Zürcher Letten-Schulhauses organisiert wider die Schikanen des Abwarts. Und als 27-jähriger Alphirt den Widerstand gegen den Pumpspeicherstausee zur Atomstrom-Umlagerung im Bündner Hochtal Madris aufgezogen. Dieses Engagement, vom WWF unterstützt, brachte mich in dessen Stiftungsrat. Was hingegen die zwei Organisationen Greenpeace und WWF betrifft, ist der Eindruck nicht ganz falsch. In der Öffentlichkeit wird der WWF eher als the good cop, Greenpeace als the bad cop wahrgenommen. Dies beruht auf der unterschiedlichen Geschichte der beiden. Der WWF ist als klassische Artenschutzorganisation entstanden, rund um den Erhalt grosser Säugetierarten wie Panda, Tiger, Nashörner und Elefanten. Mitte der Neunzigerjahre entstand die WWF-Losung, dass man mit der Wirtschaft die Kooperation suchen soll. Das Ziel war, ganz bewusst das Verhinderer- und Kupfer-Wolle-Bast-Image loszuwerden. Eine erfolgreiche Strategie. Greenpeace hingegen entstand aus dem Protest einiger wild entschlossener Vietnam-Kriegsdienstverweigerer gegen die Atombombentests der USA auf Amchitka, einer Aleuten¬insel in der Beringsee. Greenpeace versteht sich heute noch als konfrontative Pressure Group, die mit beherzten Freiwilligen dort hinsteht, wo Unrecht geschieht und sowohl fachlich fundiert wie hartnäckig dranbleibt. Der Kern der Strategie ist oft, die fehlbaren Unternehmen so lange öffentlich blosszustellen, bis sie sich gezwungen sehen, eine Lösung zu erarbeiten. WWF und Greenpeace erscheinen zwar aufgrund ihrer Geschichte und Strategie völlig gegensätzlich, verfolgen aber die gleiche Zielsetzung: den Schutz der Umwelt. Bei Greenpeace kommt das Engagement für die atomare Abrüstung hinzu, denn die militärische Nutzung ist eng verknüpft mit der zivilen Atomenergie.
Wie funktioniert dieses Zusammenspiel unter den beiden Organisationen?
Dieses Zusammenspiel funktioniert sehr gut. Zuerst sucht beispielsweise der WWF mit den kritisierten Konzernen eine einvernehmliche Lösung, aus naheliegendem Grund. In der Wirtschaft hat der WWF ein viel besseres Image als wir und kommt oft schneller ins Gespräch. Bei der Bevölkerung hingegen ist es eher umgekehrt: Während wir über eine Art Heldenstatus verfügen, hat der WWF ein genauso überzeichnetes Plüschtier-Image. Für die Erreichung unserer gemeinsamen Ziele ist dies eine optimale Kombination.
Sprechen die beiden Umweltschutzorganisationen diese Strategie untereinander ab?
Diese Frage, die auch von Konzernleitern gestellt wird, muss ich verneinen. Die Umweltschutzorganisationen sind untereinander weniger verlinkt, als man annehmen könnte. Obwohl die Geschäftsleitungsmitglieder und die Campaignerinnen und Campaigner von Greenpeace, WWF und anderen in regelmäs-sigem Kontakt stehen, erfolgt die Koordina-tion vorab bei den grossen, mehrjährigen Zielen zum Beispiel beim Klimaschutz , aber kaum auf Projektebene. Es kann dennoch und unabgesprochen geschehen, dass der gleiche Konzern, welcher vom WWF erfolglos ins Gebet genommen wurde, zwei Jahre später auch von Greenpeace besucht wird, etwas konfrontativer.
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