16.09.2008

WALSER MARTIN, Grossschriftsteller/August 2008

Wider den Zeitgeist: Welche Medien konsumiert ein Grossschriftsteller wie Martin Walser? Gegenüber “persönlich” äussert sich der vielfach ausgezeichnete Autor, dessen letztes Buch “Ein liebender Mann” soeben für den Deutschen Buchpreis vorgeschlagen wurde, über sein Verhältnis zum Journalismus. Dabei kritisiert er die “moralische Entrüstung der journalistischen Ermittler”, lobt seine Hauspostille Südkurier und denkt über den Zeitgeist und dessen Auswirkungen nach.

Herr Walser, wie informieren Sie sich?

“In erster Linie durch die Poren. Damit erhält man all die wesentlichen Informationen, die man nicht operativ und bewusst sucht. Die-se Informationen teilen sich von selbst mit. Gleichzeitig muss man wissen, wo man etwas zu suchen hat. Ein Beispiel: Mein jüngster Roman ‘Ein liebender Mann’ handelt von der Liebe des alternden Goethe zur 19-jährigen Ulrike von Levetzow. Ich habe in den letzten fünfzig Jahren ein spezielles Interesse an Goethe entwickelt und mich dabei ständig durch die Poren informiert.”

Sie haben aber nicht nur über Goethe geschrieben. Ihr vorletztes Buch “Angstblüte” widmeten Sie einem weitaus aktuelleren Thema: dem Geld und seiner Vermehrung.

“Auch da habe ich mich durch die Poren informiert.”

Konkret?

“Ich hatte immer das Gefühl, dass ich zu wenig Geld habe. Dieses Gefühl hat mich geprägt. Meine Eltern führten am Bodensee ein Gasthaus. Mein Vater, ein wunderbarer Mensch, hatte sehr viele Bücher, war aber ein katastrophaler Kaufmann. Deswegen musste ich nach seinem Tod, inmitten des Krieges, die Buchhaltung übernehmen und kam zum ersten Mal konkret mit Geld in Berührung. Ich erinnere mich aber auch an die Zeit nach 1945, als die Reichsmark nichts mehr galt. Man kam rasch zu Geld. Als dann aber die Währungsreform eingeführt wurde, war das Studium plötzlich nicht mehr finanzierbar. Teilweise studierte man, verdiente Geld, bis man früh heiratete und eine Familie zu ernähren hatte. Und so ging es fünfzig Jahre lang weiter. Das Geld spielt im Leben eine fundamentale Rolle, aber das wird in der Kulturfraktion nie zugegeben und erörtert. Deswegen habe ich dies in meinem Roman ‘Angstblüte’ thematisiert. Es bereitete Spass, das Geldvermehren als Kunst darzustellen und nicht als furchtbare Notwendigkeit. Mein Held, der Finanzjongleur Karl von Kahn, dessen Hausheiliger Warren Buffet ist, agiert wie ein Künstler und betreibt das Geldvermehren um seiner selbst willen. Dabei singt er Hymnen, die selbst der Autor in Wirklichkeit nicht genau so vertreten kann. Aber das ist eben das Produkt der Erfahrung.”


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