Zweimal original Simmentaler und doch völlig anders: Hier eine dunkle und poröse Rinde, dort eine helle und fast schon geschmeidige (siehe Bild). Auch der Geschmack könnte nicht unterschiedlicher sein: Der eine Käse noch ohne Pep, der andere würzig. «Der dunkle und würzige Simmentaler liegt bereits ein Jahr im Reifekeller, der helle erst ein paar Monate», sagt der ehemalige Publicis-CEO Curdin Janett, der sich vor über fünf Jahren selbstständig gemacht und zusammen mit Businesspartner Michael Fankhauser die Marke «Fromage Mauerhofer» gegründet hat.
Fand der Reifeprozess des Käses vor fünf Jahren noch im bernischen Burgdorf statt, zügelten Janett und Co später nach Biglen, und seit Mai dieses Jahres wird in einem alten Sandsteinkeller in Sumiswald affiniert. «Ein Glücksfall für uns», sagt Janett: «Wir möchten alles so machen wie vor 100 Jahren, da passt es perfekt, dass in diesem über 300-jährigen Keller einst Käse affiniert wurde.»
Auch mit Wein, Olivenöl und Kräutern wird affiniert
Die Marke aus dem Emmental lehnt sich an die Familie Mauerhofer an, die ab 1770 mit Käse gehandelt hat. «Sie hat die besten Käse selektioniert, in eigenen Natursteinkellern affiniert und danach weltweit exportiert. Diese Tradition wollen wir fortführen», sagt Janett.
Der Rheintaler mit Bündner Wurzeln sieht sich nicht als Käser, sondern als «Affineur», der Käse pflegt und veredelt. Und auch in diesem Bereich will er sich mit der Marke von anderen Anbietern abheben: Nicht klassisch nur mit Salzwasser affinieren – also heranreifen –, sondern auch Wein oder Olivenöl verwenden – oder die Käserinden mit getrockneten Blumenblättern und Kräutern veredeln.
Im auf 13 Grad gekühlten Keller in Sumiswald, wo aktuell rund 20 Tonnen Käse gepflegt werden, liegen die Laibe in der Regel zwischen einem bis zu über zweieinhalb Jahren. Mit dem längeren Reifen soll eine grosse Geschmacksvielfalt erreicht werden. «Diese Vielfalt hat aufgrund der Dominanz weniger Grossunternehmen mit ihrem Trend zur Pasteurisierung in der letzten Zeit stark abgenommen.»
Käser müssen für Kreativität bereit sein
Derzeit arbeitet «Fromage Mauerhofer» mit 15 Schweizer Dorfkäsereien zusammen. Janett: «In den letzten 15 Jahren mussten viele Dorfkäsereien aufgrund des Käse-Preiszerfalls schliessen. Wir möchten deshalb einen Beitrag leisten, deren Strukturen zu erhalten und zu fördern.»
Für eine Kooperation müssen sich Dorfkäsereien mit den Kriterien der Marke «Fromage Mauerhofer» identifizieren können – darunter: artgerechte Tierhaltung mit regelmässigem Auslauf, Gras- und Heufütterung, täglich frisch angelieferte Rohmilch aus zehn Kilometern Entfernung, von Hand gepflegt und veredelt im Mauerhofer Keller. Doch dann geht es erst richtig los: «Wir übernehmen nicht einfach einen Käse aus deren Sortiment, sondern kreieren zusammen etwas komplett Neues. Das erfordert Bereitschaft des Käsers zur Kreativität.»
Seit einiger Zeit wird die Marke von drei Käsern unterstützt, darunter zwei pensionierte: «Sie übernehmen den Lead beim Affinieren und leisten Übersetzungsarbeit mit den Dorfkäsereien.» Eine Strategie, die sich laut Janett immer mehr ausbezahlt. Denn: «Käsereien kommen mittlerweile direkt auf uns zu mit dem Wunsch einer Zusammenarbeit – es scheint, dass sich unsere Marke immer mehr etabliert.»
Insofern unterscheidet sich die jetzige Tätigkeit nicht so stark von seiner Zeit in der Werbebranche, in der er oft mit dem Aufbau von Marken zu tun hatte. Janett war unter anderem neun Jahre lang Publicis-CEO, verantwortete in dieser Funktion das Rebranding von Orange zu Salt und wurde mit dem Titel «Werber des Jahres 2015» ausgezeichnet.
Wo sehen Sie Parallelen zwischen Ihrer damaligen und der heutigen Arbeit?
Am Anfang dachte ich, dass meine jetzige Arbeit das absolute Gegenteil sei von dem, was ich früher gemacht hatte. Als Werber galt es, im Vorfeld von Pitchs innert vier bis fünf Wochen ein Halbwissen über das Unternehmen anzusammeln, um überhaupt Vorschläge einbringen zu können. Dass man ständig etwas dazulernt, hat mich an dieser Branche so fasziniert. Mittlerweile musste ich feststellen, dass dies auch im neuen Job der Fall ist – ich lerne jeden Tag etwas Neues. Der einzige Unterschied zu früher ist, dass dies stets im gleichen Gebiet ist.
Was ist denn Ihr grösstes Learning im neuen Job?
Dass bei der Herstellung von Käse gilt: Man kann noch so viele Kriterien aufstellen, das beste Rohmaterial und gute Kuhrassen haben – aber den entscheidenden Unterschied macht der Mensch aus, der am Kessel steht. Ein schlechter Käse wird auch durch ein langes Reifen nicht plötzlich gut.
Vermissen Sie die Werbebranche?
Durch mein VR-Mandat bei der Agentur Inhalt und Form sowie vereinzelte Strategie- oder Pitch-Consulting-Mandate habe ich noch genügend Kontakt, sodass die Dosis für mich genau stimmt. Mehr würde auch nicht gehen, sonst könnte ich das Käsegeschäft nicht mehr so umsetzen wie jetzt. Klar, ich verfolge die Werbebranche weiterhin – aus der Distanz mit einem guten Stück Käse und einem Glas Wein und überhaupt nicht mit der Absicht zurückzukehren.
Wie hat sich die Werbebranche in den letzten fünf Jahren entwickelt?
Durch das Fortschreiten der Digitalisierung sind die Agenturen mit noch grösseren Herausforderungen konfrontiert. Die Entwicklung läuft zwar seit einer halben Ewigkeit, aber es ist nach wie vor nicht klar, was das Agenturmodell der Zukunft ist: eine Gruppe von Spezialisten oder ein Generalist? In den nächsten fünf Jahren wird es spannend zu beobachten sein, wie viele der heutigen grossen Agenturen noch in den Top Ten des LSA-Rankings geführt werden. Im Moment habe ich das Gefühl, dass sich alle Agenturen in Bewegung befinden.
Mit der Entwicklung von «Fromage Mauerhofer» ist Janett sehr zufrieden: «Wir sind in jedem Jahr zweistellig gewachsen, haben uns also nachhaltig entwickelt. Das Käsegeschäft ist zwar unsere Passion, aber kein Hobby. Michael und ich arbeiten zu 100 Prozent, und diese 100 Prozent haben weniger Stunden als früher in der Werbung. Ich bin sehr glücklich mit dieser Situation.»
Auch, weil sein Leben ruhiger geworden ist. «Der spürbarste Unterschied ist meine Agenda – sie ist zu 100 Prozent von mir gefüllt, ich habe keinen einzigen fremdbestimmten Termin darin. Wenn ich zu einem Termin gehe, dann, weil ich ihn selbst eingetragen habe und wahrnehmen will», sagt Janett.
Das habe jedoch nichts mit der Werbebranche zu tun, sondern sei ein branchenübergreifendes Phänomen. «Wenn ich in einem grossen Unternehmen der Käsebranche arbeiten würde, hätte ich auch nicht die gleichen Freiheiten wie jetzt im kleinen Betrieb, an dem ich beteiligt bin.»
Die Freude, etwas in den Händen zu halten
Freude an seiner Herausforderung bereiten Janett insbesondere zwei Dinge. Erstens der haptische Charakter des Produktes: «Eine Kampagne konnte man auch ansehen, aber mit dem Käse beteilige ich mich an einer Kreation, die man schliesslich in den Händen halten kann.»
Zweitens: Das Feedback der Kundinnen und Kunden des Onlinehandels, einem zentralen Absatzkanal der Marke. Während der Pandemie hätten sie «rührende Rückmeldungen» via Briefe erhalten: «Es wurde nicht nur für den guten Käse gedankt, sondern auch betont, wie schön es sei, dass wir sie auch während der Pandemie mit Käse versorgen würden.» Auch in der Werbung hätte er glückliche Kundinnen und Kunden erlebt, «aber Dankesbriefe haben wir nicht erhalten».
«Wir stellen die Käser auf ein Podest»
Diese Frage wird Janett immer wieder gestellt, seine Antwort darauf bleibt die gleiche: «Käsen kann ich nach wie vor nicht.» Er habe viel Wissen erworben und sei auch schon vor einem Kessel gestanden und habe «ein paar Mal darin gerührt». Und er habe den Traum, irgendwann die Produktion von Anfang bis Ende zu begleiten, «aber einen selbst gemachten Käse würde ich nie unter der Marke ‹Fromage Mauerhofer› verkaufen».
Weshalb? «A brand ist a promise kept», betont Janett und fügt an: «Auf der Verpackung wird immer der Name des Käsers notiert. Dort müssen wir die Besten haben, folglich stellen wir sie auch auf ein Podest.» Natürlich würde man mit dem Reifen des Käses einen Beitrag leisten, «aber den Teil, den wir nicht machen, wollen wir auch nicht von uns behaupten». Zum Schluss meint er mit einem spitzbübischen Lächeln: «Vielleicht kann ich es eines Tages so gut, dass ich meinen Namen auch mal draufschreiben darf.»
In der Serie «Branchenwechsel» stellt persoenlich.com Personen vor, die im Journalismus oder in der Werbung gearbeitet und nun ihren angestammten Beruf verlassen haben. Bereits erschienen sind:
Marc Krebs: Vom Kulturjournalist zum Start-up-Unternehmer.
Melchior Bruder: Von TeleZüri und SRF zur Kindergartenlehrperson.