von Christian Beck
Herr Sulser, wann nahm Ihr Leben das letzte Mal eine unerwartete Wendung?
Michel Sulser: Eigentlich jedes Wochenende, wenn mich meine Kinder vor 6.30 Uhr statt wie vereinbart um 10 Uhr aufwecken.
Und bei Ihnen, Herr Ammann und Herr Rehsche?
Nico Ammann: In diesem Moment zum Beispiel. Ich bin gerade in den Ferien in Portugal, sitze am Pool und beantworte Interviewfragen.
Simon Rehsche: Ich habe gestern einen Liegestuhl über einen Online-Marktplatz verkauft. Der Käufer schickte mir nach dem Kauf noch ein Foto von sich in Badehose – es war nicht Nico. Diese unerwartete Wendung der Konversation verunsichert mich jetzt vor der Übergabe etwas.
Um unerwartete Wendungen geht es auch in der neuen Imagekampagne der Post (persoenlich.com berichtete). Warum wurden dabei KMU in den Mittelpunkt gestellt?
Sulser: Wie die Post sind KMU ein fester Bestandteil der Schweizer Identität. So machen sie über 99 Prozent aller Unternehmen im Lande aus und stellen rund 67 Prozent der Arbeitsplätze. Sie sind nicht nur zahlreich, sondern auch äusserst vielfältig. Das Spektrum reicht von etablierten Familienunternehmen in der Stadt bis zu globalen Technologieführern in ländlichen Gebieten. Diese weltweit einzigartige Diversität als eminent wichtiger Erfolgsfaktor stellt die neue Kampagne ins Zentrum und verankert die tragende Rolle der Post in der Wertschöpfungskette.
«Bei einer Imagekampagne ist die strategische Frage, worauf das Image positiv wirken soll»
Welche wichtigste Botschaft will die Kampagne vermitteln?
Sulser: Die Kampagne zeigt die Post als zentrale und verlässliche Partnerin. Mit ihren Dienstleistungen bietet sie Schweizer Unternehmen und ihren Menschen auf dem Land wie in der Stadt einen gewichtigen Mehrwert. Ganz nach dem Motto: Die Post ist da. Für eine Schweiz, die sich bewegt.
Rehsche: Bei einer Imagekampagne ist die strategische Frage, worauf das Image positiv wirken soll. Bekanntheit, Sympathie und Vertrauen sind kein Problem für die Post. Nicht alle sind sich aber bewusst, wie vielseitig wichtig die Post auch für Veränderungen und Weiterentwicklung ist – zum Beispiel für KMU. Die Kampagne kommuniziert deshalb die vielseitige Relevanz der Post für die Schweiz von heute und morgen – für eine Schweiz in Bewegung eben.
Auffallend ist: Die Post wird nicht erst am Schluss als Absenderin verraten, sondern zieht sich wie ein gelber, pardon, roter Faden durch die Spots. Ist das nicht etwas penetrant?
Ammann: Das Konzept macht die Botschaft zum Programm: Die Rolle der Post ist vielseitig, sie bedient Bedürfnisse unterschiedlichster Art. Abgesehen vom inhaltlichen Aspekt ist eine solche Mechanik aber auch effizient und zeitgemäss: Die Aufmerksamkeit der Menschen hält meist nur kurz, wobei aber bei allen Kontakten hängen bleiben soll, wer da wirbt.
Das heisst: Jeder Spot, der sich nicht dieser Mechanik bedient, riskiert, dass der Absender nicht wahrgenommen wird …
Ammann: Auch wenn der Brand ab Sekunde eins sichtbar ist, heisst das noch lange nicht, dass beim Zuschauer auch etwas hängen bleibt. Wir versuchen mit diesen Filmen, die Zuschauer zu unterhalten und uns erst einmal so ihre Aufmerksamkeit zu verdienen. Die Mechanik stellt dann sicher, dass wir nicht erst mit dem Schlusschart verraten, um was es die ganze Zeit ging.
«Es ist die Werbung, die Menschen von anderen Dingen abzulenken versucht»
Ist die zunehmende Ablenkung der Zielgruppen ein Problem für Werbe-Auftraggeber?
Rehsche: «Ablenkung» suggeriert, dass sich Menschen grundsätzlich für Werbung interessieren. Das ist natürlich nicht der Fall. Es ist die Werbung, die Menschen von anderen Dingen abzulenken versucht. Dafür gibt es grundsätzlich zwei Strategien. Entweder man gibt den Menschen, wonach diese suchen. Die Werbeblöcke sind heute voll von solcher Werbung. Sie ist meistens todlangweilig und erreicht das Gegenteil ihres Ziels. Oder man strebt nach Neuartigkeit und verdient sich mit ihr das Interesse der Menschen. Neues birgt Risiken und braucht deshalb Mut. Insofern kann man das aus Sicht vieler Werbeauftraggeber schon als Problem bezeichnen, ja.
Die Post wirkt auf mich in den vier Spots als dynamisches, freches, junges Unternehmen. Streben Sie dieses Image an?
Sulser: Wenn ich wählen darf, nehme ich jung und dynamisch. Denn seit ihrer Gründung im Jahre 1849 befindet sich die Post in einem steten Wandel. Mit der Digitalisierung hat die Dynamik natürlich nochmals an Fahrt gewonnen, weshalb sich die Post im Gleichschritt mit ihren Kunden weiterentwickelt, um auch in Zukunft einen relevanten Service public erbringen zu können.
Herr Sulser, wie lautete der Auftrag an die Agenturen?
Sulser: Die Image-Kommunikation hat zum Ziel, einen Beitrag zur erfolgreichen Umsetzung der Konzernstrategie, die «Post von morgen», zu leisten. Unser Anspruch war folglich, eine integrierte, breitenwirksame und natürlich äusserst charmante Kampagne zu schaffen, die potenziell auf TikTok und Tele Top gleichermassen gut performt. Das Ganze knackig in einem rund 80-seitigen Briefing zusammengefasst.
Heimat Zürich hat Sie schliesslich überzeugt. Was gab den Ausschlag?
Sulser: Ihre Cleverness. Heimat versteht es, stichfeste Strategien in Wort und Bild zu übersetzen, ohne dabei das Herz zu vernachlässigen.
«Meistens haben wir wirklich eine sehr ähnliche Sicht auf die Dinge»
Und wie ging es agenturseitig weiter? Wer von Ihnen beiden hat das Sagen, Nico Ammann oder Simon Rehsche?
Rehsche: Wir ergänzen uns natürlich perfekt. Und wenn beide dasselbe sagen, haben auch beide das Sagen.
Ammann: Wir ergänzen uns natürlich perfekt. Und wenn beide dasselbe sagen, haben auch beide das Sagen. Dies war auch beim Briefing der Post der Fall.
Rehsche: Meistens haben wir tatsächlich eine sehr ähnliche Sicht auf die Dinge – beziehungsweise ein meist gemeinsames Verständnis davon, wann wer besser die Weichen stellt. Wir kennen uns ja auch, seit wir 13 sind, das hilft. Denke ich. Meistens. Manchmal.
Ammann: Du hast den Gutschein, den ich dir, als wir Heimat starteten, noch nicht eingelöst. Darauf steht: «Du hast zwar recht, aber wir machen es jetzt, wie ich es will.»
Rehsche: Den hebe ich mir noch auf. Zurück zur Frage: Meine Themen sind eher die strategischen, Nico hat dann die kreative Verantwortung.
Sprich: Zuerst braucht es eine Strategie, dann erst kreative Ideen?
Rehsche: Grundsätzlich ist das natürlich so, ja. Nun ist die Post kommunikativ hochprofessionell aufgestellt, das Briefing beinhaltete auch eine klare Strategie. Unsere Aufgabe als Agentur bestand darin, den spannendsten Kontext zu finden für diese Strategie. Dazu gehört auch, beziehungsweise vor allem, ob dieser Kontext kreative Perspektiven, also Ideen, zulässt – und nicht einfach nur richtig ist. Denn Wahrheit ist werblich nicht immer spannend. Deshalb sind Strategie und kreative Konzeption keine strikt trennbaren Phasen, sondern laufen zu weiten Teilen miteinander.
Moment: Das heisst, dass in den TV-Spots gelogen wird?
Rehsche: Nein, natürlich nicht. Was ich damit meine: Die Post kennen alle ab Kindesalter, die meisten erleben sie täglich. Die Botschaft «Die Post leistet Unverzichtbares für KMU» ist zwar wahr und fürs Image strategisch wichtig. Dies macht sie für Menschen aber nicht automatisch spannend. Die kreativ-strategische Frage ist: In welchem Kontext wird diese Wahrheit für die Bevölkerung so interessant, dass die Werbung die Neurotransmitter zum Fliessen bringt? Diese Frage sollte beantwortet werden, bevor konkrete Ideen entstehen. Lügen ist dabei, wie meistens im Leben, sicher keine gute Idee.
«Wir überlassen möglichst wenig dem Zufall»
Und wie pfannenfertig gehen die Ideen dann schliesslich zum Regisseur?
Ammann: Das ist je nach Kampagne unterschiedlich. Wir überlassen aber möglichst wenig dem Zufall. Teile der Filme haben wir inklusive den einzelnen Szenebeschreibungen bereits so im Pitch präsentiert. Dann entwickelten wir sie zusammen mit dem Team der Post weiter, konkretisierten sie und erst danach kam der Regisseur dazu. Alex Feil verstand es dann, unsere Storys filmisch perfekt zu inszenieren. Die grösste Herausforderung dabei war die Zeit. Wir erzählen in 25 bis 30 Sekunden sehr viel. Dass diese komplexen Storys verständlich, unterhaltsam und charmant rüberkommen, haben wir der engen Zusammenarbeit mit Regisseur und Produktion zu verdanken.
Die vier Filme werden dem Prädikat «Bewegtfilm» mehr als gerecht – die Kamera ist praktisch immer in Bewegung. Was wird damit ausgedrückt?
Ammann: Wir übersetzen damit einerseits den Claim, «Die Post ist da. Für eine Schweiz, die sich bewegt.» Auch stilistisch. Und andererseits bekommen die Filme dadurch eine eigene, erkennbare Handschrift, die in sämtlichen Bewegtbildformaten und -längen sehr gut funktioniert und aufmerksamkeitsstark ist.
Sind die vier Filme erst der Anfang?
Sulser: Ja, die Imagekampagne zündet eine neue Phase der kommunikativen Begleitung zur Konzernstrategie. Weitere Aktivitäten auf Image- und taktischer Ebene werden folgen.
Die Post präsentiert sich als Anbieterin einer grossen Palette von Dienstleistungen und Produkten. Kann man da nicht manchmal den Überblick verlieren?
Sulser: Ist mir noch nie passiert (lacht).
Rehsche: Naja (lacht nicht).
Wenn Sie diesem Interview noch eine unerwartete Wendung verpassen müssten, welche wäre das?
Rehsche: Bei der Suche nach einer unerwarteten Wendung wollen wir eines auf keinen Fall verpassen, nämlich das Ende. Deshalb lassen wir das mit der Wendung und erwischen dafür elegant das Ende. Oder so. Auf jeden Fall danke für die Fragen und allen, die bis hierhin gelesen haben.