25.11.2020

Serie zum Coronavirus

«Die Raumsonde Voyager II hat mich auf die Idee gebracht»

Der Luzerner Werber Jörg Schaffhuser von der Agentur Velvet hat in den letzten Monaten sein Leben vertonen lassen. In der 140. Ausgabe unserer Serie sagt er weshalb.
Serie zum Coronavirus: «Die Raumsonde Voyager II hat mich auf die Idee gebracht»
Die sonst so belebte Stadt vor meiner Haustüre ist zum Stillstand gekommen, da fand ich die nötige Ruhe zum Schreiben», Jürg Schaffhuser, Kreativdirektor der Luzerner Agentur Velvet. (Bild: zVg.)
von Matthias Ackeret

Herr Schaffhuser, Sie haben Ihr Leben aufgeschrieben und durch den bekannten Schauspieler Klaus Brömmelmeier professionell lesen lassen. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen? Die Eitelkeit eines Werbers?
Die Zeitungsnotiz, dass sich die Raumsonde Voyager II mit der «Golden-Record» an Bord soeben von unserem Sonnensystem verabschiedetet hat, brachte mich auf die Idee. Dass dieses Ereignis zeitlich genau auf meinen sechzigsten Geburtstag traf, hat mich zusätzlich ermutigt, meine eigenen persönlichen Erinnerungsversandstücke festzuhalten. Klaus Brömmelmeier kenne ich aus der Zeit, als wir für das Schauspielhaus Zürich gearbeitet haben.

Inwiefern spielt Corona für die Veröffentlichung Ihrer Erinnerungen eine Rolle?
Corona spielt dabei eine ganz entscheidende Rolle. Das Projekt fällt in die Zeit von März und April, also in die Zeit des Lockdowns. Abend für Abend, oft bis in die tiefe Nacht, schrieb ich an den Texten. Die sonst so belebte Stadt vor meiner Haustüre ist zum Stillstand gekommen und in dieser Stimmung fand ich zum Schreiben die nötige Ruhe.

Wenn Sie auf Ihr eigenes Leben, das zu einem Grossteil in der Werbung passierte, zurückschauen: Was waren für Sie die denkwürdigsten Momente Ihrer Karriere?
Da gab es einige. Einer der Höhepunkte war sicher, als ich im zarten Alter von 27 Jahren als Art Director bei Farner Publicis für die internationale Swatch-Kampagne verantwortlich war. Es war die Zeit, als die Welt von «Mad Men» noch greifbar nah war. Google AdWords gab es noch nicht und statt crossmedialer Kommunikation waren glamouröse Ideen gefragt. Dass die von uns entwickelte Swatch-Kampagne posthum im Film «Carne trémula» von Almodóvar eine späte Ehre erfuhr, machte uns dann schon ein wenig stolz.

Und dann gingen Sie nach Luzern ...
Ja, Anfang der 90er-Jahre gründeten Franco Gritti und ich dann die Agentur Aguire in Luzern. Eines Tages kam unsere grosse Chance. Die Kaugummimarke Stimorol hatte sich für eine unverbindliche Agenturpräsentation angekündigt. Unser Aufritt sass perfekt. Aus einem Zwei-Mann-Unternehmen mit Praktikantin hatten wir über Nacht ein mittelgrosses KMU gezaubert. Mit ein paar Statisten, welche geschäftig die Räume bespielten. Unser Trumpf aber war Gabriella Brugger, eine befreundete Dessous-Designerin. Sie nahm die Rolle der Sekretärin ein. Doch sie kam etwas spät zur Verabredung und wir konnten sie leider nur oberflächlich mit ihrer Rolle vertraut machen. Wir waren vor allem damit beschäftigt, ihr opulent designtes Dekolleté etwas downzugraden. Wir empfahlen ihr, wenigstens die Lederjacke anzubehalten. Als der Kunde dann eintraf, und die Sitzung Fahrt aufnahm, baten wir Gabriella für die Kaffeebestellung. Leider schaffte die Gute es auch nach mehrminütigen Bemühungen nicht, die Kaffeemaschine zum Laufen zu bringen. Der Kunde hatte das Spiel relativ schnell durchschaut, fand aber unseren Auftritt durchaus beeindruckend. Eine mehrjährige, erfolgreiche Zusammenarbeit folgte daraus.

«Uns unterlief ein Malheur»

Sie sind Spezialist für Happy-Ends.
Als Velvet vor ein paar Jahren um den Gesamtauftritt der Berlinale pitchte, unterlief uns ein Malheur. Wolfgang Möhrle und ich reisten mit dem Nachtzug zum Präsentationstermin. Wir erinnerten uns an alte Interrail-Tage. Die Stimmung war aufgeräumt, bis wir feststellten, dass wir beim Umsteigen in Basel die ausgedruckten Entwürfe im Bahnhofbuffet stehen gelassen hatten. Dies liess uns im Zug nicht mehr an Schlaf denken. In einem Copy-Shop beim Bahnhof in Berlin reichte es gerade noch, um die Plakate mit den Bären auszudrucken. Dieter Kosslick, der Chef der Berlinale, fand Gefallen daran, gerade wegen der verpixelten Qualität.

Sie sind heute noch in der Luzerner Agentur Velvet tätig. Was sind die grössten Unterschiede zu den Zürcher Grossagenturen, in denen Sie auch tätig waren?
Ich denke, egal an welchem Standort sich die Agentur befindet, die Herausforderungen haben sich in den letzten Jahren sehr geändert. Die Aufgaben im Kommunikationsbusiness sind komplexer geworden. Für die Kunden, wie auch für die Agenturen. Um den Überblick zu behalten, braucht es Neugierde aber auch ein gewisses Vertrauen in die Qualität der eigenen Arbeit. Luzern ist in Sachen Werbung sicher kein «Hotspot» und manchmal vermisse ich schon den Drive der Zürcher Agenturen. Doch dafür ist die Lebensqualität in Luzern hoch und am Puls der Zeit kann man auch hier sein.

Wie sind die Reaktionen Ihres Umfelds auf Ihre Gold-Records?
Berührend. Ich kriege handgeschriebene Post. Und die Reaktionen sind durchaus positiv. Einige habe ich wohl ermutigt, Ähnliches in Betracht zu ziehen.

Haben Sie bereits weitere Pläne und Projekte?
Ich hoffe natürlich, meine Leidenschaft als Weitgeher nächstes Jahr wieder aufnehmen zu können.

Was war für Sie das prägendste Erlebnis der letzten Wochen?
Die neuesten Erkenntnisse des Klimarates. Ich frage mich, wieso sich die Gesellschaft weiterhin so schwertut, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.



Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com regelmässig eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier.



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