Rudi Haller, am Montag startet das International Festival of Creativity in Cannes – die «grösste Feier geschichtsträchtiger Kreativität», wie die Organisatoren versprechen. Wie kreativ ist die Badehose, die Sie in den Koffer packen?
Ich nehme jeweils eine Badehose mit, benutze sie aber nicht. Und das nicht, weil ich Nacktbader bin, sondern weil ich geschäftlich in Cannes bin, Directors, Producers und andere Kreative treffe.
Worauf freuen Sie sich am meisten?
Auf den Young Director Award – das Screening mit der Preisverleihung und der Award Show. Hier findet man die Weltklasse-Directors von morgen. Zudem freue ich mich auf anregende Gespräche und Begegnungen mit Producern aus aller Welt.
«Wir freuen uns, dass dieses Jahr zwei junge Schweizer auf der Shortlist sind»
Die Swissfilm Association ist Sponsor des Young Directors Award. Sie haben deshalb einen besonderen Blick auf den Nachwuchs. Welche Talente aus der Schweiz sollten wir im Auge behalten?
Wir freuen uns, dass dieses Jahr zwei junge Schweizer auf der Shortlist sind. Yannik Zollinger und Jean de Meuron sind wirklich vielversprechende Schweizer Regie-Talents.
Sie nehmen am World Producers Summit teil – welche Gespräche haben Sie sich bereits in den Kalender eingetragen? Mit welchen internationalen Partnern wollen Sie konkret ins Geschäft kommen?
Es sind vor allem Gespräche mit Produzent:innen: Wir treffen uns, um uns zu den Herausforderungen innerhalb der Werbefilmproduktion auszutauschen und über mögliche Lösungsansätze zu diskutieren. So haben wir beispielsweise im vergangenen Jahr, ausgehend vom europäischen Verband EPA, das Konzept für faire Pitches angeregt. Mir geht es in Cannes vor allem darum, den globalen Trends im Bewegtbildmarkt nachzuspüren.
Cannes verspricht «weltklassiges Lernen» und Einblicke von «ikonischen Thought Leaders». Was sind die drei wichtigsten Trends oder Erkenntnisse, die Sie für die Schweizer Kreativbranche mit nach Hause nehmen wollen?
Wie erzählen wir gute Geschichten in der Kürze der Zeit? Das ist die grosse Frage heute. Die Aufmerksamkeitspanne ist kurz, das Storytelling heute ist aber oft noch sehr klassisch. Da sind wir alle gefordert. Vor allem auch, weil wir in der Kürze der Zeit auch noch emotional etwas auslösen wollen. Schliesslich ist das The Power of Film. Aber: Auch längere Formate machen nach wie vor Freude.
«Cannes hat immer noch eine ungeheure Strahlkraft für Kreativität weltweit»
Die Swissfilm Association verzichtet seit Corona auf die traditionelle Swiss Party in Cannes. Was sind die Hauptgründe – die Kosten, veränderte Prioritäten oder mangelnde Erfolgsaussichten?
Cannes hat immer noch eine ungeheure Strahlkraft für Kreativität weltweit. Leider gehen nur noch wenige Schweizer Kreative nach Cannes. Warum das so ist, wissen wir auch nicht genau. Doch die Kosten für die Teilnahme am Lions sind schon erheblich. Allein der Festivalpass kostet bereits 5000 Franken.
Was bringt eine Woche Cannes, was ein Zoom-Call oder ein Meeting in Zürich nicht könnte? Rechtfertigt der Aufwand den Nutzen?
Die Award-Shortlists und die Gewinner können online angesehen werden, was ebenfalls nicht umsonst zu haben ist. Ob es im Fall der Lions nichts oder zu wenig bringt, ist Ansichtssache. Aber der persönliche Austausch mit internationalen Kolleg:innen schlägt einen Online-Call um Längen.
Schweizer Agenturen und Produktionsfirmen sind bei den Cannes Lions traditionell unterrepräsentiert. Woran liegt das – trauen wir uns zu wenig zu, oder investieren wir zu wenig in die richtige Kreativität?
Wir vergessen gerne, dass die Schweiz im Verhältnis zum Rest der Welt ein kleines Land ist. Aufgrund unserer Grösse ist die Anzahl Löwen, welche den Weg in die Schweiz finden, schon auch respektabel.
Cannes wird oft als «Selbstverherrlichung der Branche» kritisiert. Wie begegnen Sie diesem Vorwurf – besonders wenn gleichzeitig viele Agenturen ums Überleben kämpfen?
Die Lions wurden ursprünglich als Werbefilmfestival gegründet, übrigens mit Schweizer Beteiligung. Die meisten Werbeagenturen und Filmproduktionen haben sich damals in Cannes zum Stelldichein getroffen. Innerhalb der letzten zehn Jahre haben sich globale Players wie Google, Meta, Amazon etc. am Festival breit aufgestellt. Mit grossen Investitionen haben sich die Tech-Konzerne ihren Platz in Cannes erkauft – so ist unsere Branche etwas aus dem Fokus des Festivals geraten. Am Ende des Festivals reden dann aber die meisten doch über die Gewinner-Filme.
«Wie alle anderen sind wir damit beschäftigt, unseren Platz in der KI-Welt zu finden»
Cannes Lions feiert «geschichtsträchtige Kreativität» – aber die Zukunft gehört KI und digitalen Technologien. Wie bereitet sich die Schweizer Filmbranche auf diese Umwälzung vor?
Wie alle anderen sind wir damit beschäftigt, unseren Platz in der KI-Welt zu finden. Dieses Jahr gab es bereits einige KI-Bewegtbilder zu sehen. Zum Teil erstaunliche Clips, aber noch nicht wirklich durchgehend überzeugende Filme, vor allem wenn es um das Storytelling geht. Mein Eindruck ist, dass KI-Visuals oft künstlich wirken. Bei den Gesichtern fehlen «die Fehler», die Mimik ist unpräzise beziehungsweise generisch. Inszenierungen mit echten Protagonisten wirken überzeugender und wahrhaftiger.
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Rudi Haller begrüsste die Gäste zum Get-together.
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Die Party fand auf dem Dach der Location Signature in Zürich statt.
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Rapper Knackeboul sorgte für musikalische Unterhaltung …
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… er wurde unterstützt durch DJ Luca.
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Knackeboul improvisierte dabei mit zugerufenen Worten. (Bilder: persoenlich.com/cbe)
Ein Blick nach vorne: Wird die Swissfilm Association langfristig ihre Cannes-Präsenz weiter reduzieren und stärker auf lokale Vernetzung setzen?
Wir werden als Verband ab 2026 keine Präsenz mehr in Cannes verfolgen. Wir verlagern die internationalen Meetings im Zusammenhang mit der EPA (European Producers Association) an das Ciclope-Festival nach Berlin. Und: Wir engagieren uns bereits seit drei Jahren an den ADC Creative Days mit der neuen Swiss Party. Am Donnerstagabend haben wir in diesem Rahmen 100 Gäste auf das Dach des Signature-Gebäudes eingeladen. Ein schöner Abend in illustrer Gesellschaft und mit ebenso spektakulärer Aussicht wie in Cannes.
persoenlich.com berichtet ausführlich über das Cannes Lions Festival, das vom 16. bis 20. Juni stattfindet. Alle Berichte finden Sie auf der entsprechenden Landingpage.