David Wember, der Zürcher Behindertenrechtsaktivist Islam Alijaj wurde in den Nationalrat gewählt. Wie gross ist die Genugtuung?
Ich bin vor allem sehr erleichtert. Viele Menschen haben grosse Hoffnungen mit seiner Kandidatur verbunden, und ich habe ihm, seiner Familie und seinen Unterstützerinnen und Unterstützern so sehr gewünscht, dass er gewählt wird.
Wie haben Sie am Sonntag gefeiert?
Mit der Familie und vielen seiner Unterstützerinnen und Unterstützern in Zürich-Albisrieden, seinem Bezirk. Die Veranstaltung war komplett surreal. Ich hatte den Eindruck, viele ahnten gar nicht, wie unwahrscheinlich ein Erfolg sein würde. Da wurde einfach in seine Wahl reingefeiert wie in einen Geburtstag, nach dem Motto: Um Mitternacht wird Islam Nationalrat.
Sie kommen seither nicht zur Ruhe, weil das Medieninteresse an Islam Alijaj nun so gross ist. Überrascht sie das?
Nein, überhaupt nicht. Seine Geschichte vom schwerbehinderten Jungen aus Kosova, der trotz aller Widerstände Nationalrat wurde, ist einfach grossartig. Aber klar, dass der kosovarische Premierminister oder die deutsche SPD-Vorsitzende einem Zürcher Nationalratskandidaten gratulieren, ist schon bemerkenswert.
Sie gelten als strategischer Kopf hinter der Kampagne «Geschichte schreiben». Wie stark haben Sie Alijajs Geschichte geschrieben?
Die Kampagne ist unsere gemeinsame Geschichte und die vieler anderer, die Islam in diesem Wahlkampf unterstützt haben, sei es aus seinem engsten Team oder bei Farner. Islam hat die Gabe, Menschen zu begeistern und für seine Sache zu gewinnen. Ich war einer davon.
Eine gute Kampagne braucht eine gute Geschichte. War es mit Islam Alijaj einfacher, Wahlkampf zu führen als mit einem Nullachtfünfzehn-Kandidaten?
Es war eine Kandidatur der Widersprüche: Eine gute Geschichte, aber ein Kandidat, der sie selbst nur schlecht erzählen kann. Wir mussten Wege finden, damit andere seine Geschichte erzählen und für ihn präsent sind. Aber nichts an diesem Wahlkampf war einfach – es hat sich bis zum Schluss angefühlt wie eine Mission Impossible.
«Menschen wollten buchstäblich mit ihm gemeinsam Geschichte schreiben»
Gespielt haben Sie auch mit Alijajs Vorname Islam. In der Weltwoche erschien ein Inserat mit dem Text: «Islam in den Nationalrat» (persoenlich.com berichtete). Welche Reaktionen löste dieses Inserat eigentlich aus?
Das Inserat war ja in erster Linie eine Idee von David Schärer, der dieses als Privatperson ermöglicht hat. Wir wissen aus der Wahlforschung, dass ein ausländisch klingender Vorname auf Schweizer Wahllisten einen Nachteil von bis zu fünf Prozent bedeuten kann. Insofern war es nur folgerichtig zu versuchen, aus diesem vermeintlichen Nachteil eine Stärke zu machen. Ich hatte bislang aber noch nicht die Zeit, mir en Detail anzusehen, wie Islam im Vergleich zu anderen Kandidierenden gestrichen wurde – zumal dabei natürlich auch noch viele andere Faktoren eine Rolle spielen.
Auch Medien thematisierten im Vorfeld Alijajs Kandidatur. So berichtete Blick beispielsweise über einen Avatar als Wahlkampfhelfer. War jeder einzelne Bericht von Ihnen orchestriert?
Islam hat diesen Wahlkampf nicht in erster Linie über seine Medienpräsenz, sondern mit einer perfekten «Organizing-Kampagne» für sich entschieden. Wir haben im Juni einen ersten Workshop mit Unterstützerinnen und Unterstützern veranstaltet. Im weiteren Verlauf kamen dann immer mehr Wahlkampfhelferinnen und -helfer dazu, die wir koordiniert haben. Zum Schluss haben über 100 Menschen unglaubliche 200'000 Flyer für ihn verteilt, unzählige Events organisiert, plakatiert, ihn auf Social Media unterstützt und vieles mehr. Bei Islam ist geglückt, was in Wahlkämpfen nur sehr selten gelingt: Menschen haben sich hinter einer Idee versammelt und wollten buchstäblich mit ihm gemeinsam Geschichte schreiben.
Damit eine gute Geschichte auch erzählt werden kann, braucht es finanzielle Mittel. Laut Tages-Anzeiger lag Alijajs Budget bei knapp 220'000 Franken. Half dieses grosse Budget bei der Planung?
Fairerweise muss man sagen, dass Islam einen grossen Teil davon für Assistenzleistungen aufgewendet hat. Ich glaube, von aussen kann man sich manchmal kaum vorstellen, wie unglaublich schwierig es ist, ohne flüssig sprechen zu können und mit nur einem funktionstüchtigen Finger zum Tippen einen Wahlkampf zu bestreiten. Aber klar: In einem so grossen Kanton wie Zürich ist das Budget bei einer Aussenseiterkandidatur eine notwendige, wenn auch keine hinreichende Bedingung für den Erfolg. In anderen Worten: Mit Geld gewinnt man keinen Wahlkampf, aber ohne wird es schwierig.
Hand aufs Herz: Hätte Alijaj den Einzug in den Nationalrat auch ohne Ihre Kampagne geschafft?
Natürlich hat unsere Kampagne einen Nerv getroffen, aber ich sage gerne: «amateurs talk strategy, professionals talk logistics.» Man kann als Agentur vieles entwickeln, aber letzten Endes muss der Kandidat mit seinem Team den Wahlkampf auch auf die Strasse bringen. Dass dies ausgerechnet Islam mit seinen schwierigen Voraussetzungen so hervorragend gelungen ist, unterstreicht sein politisches Ausnahmetalent.
Es gab noch eine weitere Kampagne von Jung von Matt Limmat für Pro Infirmis. «Gewöhn dich dran» forderte mehr Menschen mit Behinderungen im Bundeshaus. Gab es zwischen Farner und Jung von Matt Limmat Absprachen? Koordinierten Sie sich?
Da gab es keine Absprachen.
«Wenn er will, bleibe ich an Bord»
Und wie geht es nun weiter? Wird die Kampagne nun noch weitergespielt?
Wer Islams Buch «Wir müssen reden» gelesen hat, weiss: Der Nationalrat ist für Islam ein wichtiger Schritt, aber er ist noch nicht am Ziel. Als Nächstes will er die Inklusionsinitiative zum Erfolg führen – die Geschichte geht also weiter. Und wenn er will, bleibe ich an Bord.
Wie geht es für Sie persönlich weiter? Werden Sie nun Alijajs Manager?
Nein, ich werde mich als Head of Campaigning künftig um die politischen Kampagnen von Farner Schweiz kümmern dürfen.