22.03.2019

bodin.consulting

«Transformation ist ein schmerzhafter Prozess»

Vor rund einem Jahr hat Frank Bodin, damals CEO und Chairman von Havas, die Agentur verlassen. Nun meldet er sich zurück. Was er vorhat, erklärt er im ersten Interview nach seiner «Werbeunterbrechung». Die Probleme der Branche beschreibt er in acht Punkten.
von Matthias Ackeret

Herr Bodin, Sie starten nun mit Ihrer eigenen Firma «bodin.consulting». Wie ist die Resonanz darauf?
Resonanz kann es abgesehen von vernebelten Gerüchteküchen und einigen Mandaten, die ich bereits betreue, noch keine geben. Das ist bewusst das erste Interview nach einer mir selbst verordneten Werbeunterbrechung. Die Website bodin.consulting ist nun on Air.

Wollten Sie nicht mehr für eine grosse Agentur operativ tätig sein?
Mein Entscheid, Havas zu verlassen, war kein Entscheid gegen die Agentur, sondern ein Entscheid für etwas Neues. Ich erreichte in meiner Funktion zwar eine fast schon blind funktionierende Routine, aber für meine Weiterentwicklung sah ich zu wenig neue Perspektiven. Ich war in den Jahren zuvor bereits zweimal kurz vor dem Absprung.

Warum blieben Sie trotzdem?
Zusätzliche Herausforderungen, wie die Restrukturierung von Havas in Österreich oder die Leitung des globalen Creative Board von Havas gaben mir jedoch neue Anreize. Nach meinem Weggang habe ich mir bewusst eine längere Auszeit genommen. Das war eine hilfreiche Zeit, um mit etwas Distanz unsere Branche wieder klarer zu sehen, aber auch um klarer über mich selbst zu sein. Für mich stand von Beginn weg fest, dass ich nicht Dasselbe in Grün machen will, sondern etwas Neues. Genau das mache ich nun, übrigens in leuchtendem Gelb (lacht): statt möglichst gross, nun möglichst klein. Statt eine Grossagentur, nun ein Agent als Sparringpartner für Marken- und Marketing-Verantwortliche sowie CEOs. Man kann mich also wieder haben.

«Ich kann wieder persönlich bei meinen Kunden sein»

Was hat sich in Ihrem «neuen» Leben als Unternehmer geändert?
Ich hatte meine Rolle schon zuvor sehr unternehmerisch gesehen und hatte – verglichen mit anderen Netzwerkagenturen – einen grossen Gestaltungsspielraum. Geändert hat sich, dass nicht mehr meine Assistentin meine Agenda macht, sondern ich selbst. Geändert hat sich, dass ich keine schlaflosen Nächte mehr habe, weil ich entweder nicht die richtigen Talente für einen Auftrag habe oder Stellen abbauen muss, sondern, weil ich bis tief in die Nacht an spannenden Aufträgen arbeite. Geändert hat sich, dass ich endlich wieder ganz nah und persönlich bei meinen Kunden bin. Geändert hat sich, dass ich einen allfälligen Gewinn nicht mehr nach Paris überweisen muss. Und geändert hat sich auch, dass ich statt zu managen mehr machen kann.

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Worauf spezialisiert sich «bodin.consulting»?
Im Fokus steht das, was vor der Werbung kommt, das Fundament für gute Marketingkommunikation: Strategie, Konzeption und Branding. Der Unterschied zu herkömmlicher Beratung ist, dass dies nicht Ordner füllende Theorie ist, sondern dass ich von Beginn weg die Umsetzbarkeit vor Augen habe und damit schneller und zielführender bin.

Sie machen also keine Werbung mehr?
Doch, selbstverständlich mache ich weiterhin auch Werbung, aber der Schwerpunkt liegt bei den ersten drei Disziplinen. Darüber hinaus investiere ich 20 Prozent meiner Zeit in neue digitale Technologien, vor allem Social Media und Blockchain. In diesen Bereichen bin ich mit mehreren Advisory-Mandaten betraut.

«Ich habe bereits einige Mandate»

Wieviel Leute haben Sie eingestellt und haben Sie bereits grössere Aufträge?
Für die Umsetzung – ob Werbung oder PR, ob Off- oder Online - stehen mir über 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung. Nicht nur in der Schweiz, sondern auch in England, Irland, Österreich und Deutschland. So kann ich je nach Aufgabenstellung die richtigen Leute heranziehen und wenn gewünscht, die Umsetzungen persönlich begleiten. Geplant ist, dass ich in den nächsten Monaten für Design und für Projekt-Management zwei bis drei Mitarbeitende einstelle. Und ja, ich habe bereits einige Mandate: Ein Verwaltungsratsmandat und eine grosse digitale Herausforderung, die ich beide nächstens kommuniziere. Dazu kommen vier Blockchain-Mandate sowie eine Handvoll Branding- und Werbeaufträge.

An einer «persönlich»-Veranstaltung vor einem Jahr im Kosmos in Zürich haben Sie betont, dass Sie nicht mehr als Werber bezeichnet werden wollen. Gleichzeitig sind Sie ADC-Präsident und werden auf Ihrer Homepage als «Werbe-Ikone» bezeichnet. Welchen Stellenwert nimmt die klassische Werbung, eigentlich Ihre Spezialität, innerhalb der neuen Firma ein?
Da muss ich falsch verstanden worden sein. Ich gehöre zu den Werbern, die überhaupt keine Mühe mit der Bezeichnung Werber bekunden. Im Gegenteil: Mühe habe ich eher mit Bezeichnungen, welche alten Wein in neue Schläuche abzufüllen versuchen. Für die Menschen da draussen ist das was wir tun immer noch Werbung. Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu sehen, neue Wege zu denken, mit Ideen Unternehmen zu verändern, sind und bleiben meine Passion. Das drückt auch der Claim von bodin.consulting aus.

Und wie lautet dieser?
«.Imagine another viewpoint». Was die angesprochene klassische oder digitale Werbung betrifft, mache ich schon lange keinen Unterschied mehr. Auch nicht im Art Directors Club Switzerland. Als Präsident des ADC habe ich mir bekanntlich zur Aufgabe gemacht, der Vereinigung der führenden Kreativen eine neue Richtung zu geben, Richtung Zukunft. Die ursprüngliche Raison d'Être, nämlich die Jurierung, ist längst nur noch eines von drei Standbeinen. Wir verbessern die Werbung für unsere Auftraggeber, indem wir sie jurieren, aber auch, indem wir zahlreiche berufsbegleitende Weiterbildungsmöglichkeiten bieten sowie Plattformen für den interdisziplinären Austausch. Die in Zusammenarbeit mit der ZHdK diese Woche stattfindende Creative Week verdeutlicht dies.

«In den Agenturen könnte sich mehr wandeln»

Wie erleben Sie momentan den Kommunikationsmarkt?
Ich sehe acht Herausforderungen. Erstens: Alle reden vom notwendigen Wandel. Aber Hand aufs Herz, es könnte sich in den Agenturen mehr wandeln. Ein kürzlich gehörtes Beispiel: Creative Directors sollten sich besser als Creative Moderatoren bezeichnen. Dabei war ein guter Creative Director bereits vor zwanzig Jahren immer auch ein guter Moderator. In Rhetorik sind wir Werber gut, weniger gut sind wir im Kreieren von neuen Geschäftsfeldern. Transformation ist nicht Rhetorik, sondern ein schmerzhafter Prozess raus aus der Komfortzone, rein ins Unbekannte. Da liegt in unserer Branche mehr drin.

Und zweitens?
Die Schweiz ist ein kleines Land, und im Vergleich zu den Schlüsselmärkten sind die Agenturen klein. Zu klein, um Investitionen in neue Disziplinen und Geschäftsfelder wie Content Marketing und AI zu tätigen. Entsprechend sinkt die Konkurrenzfähigkeit mit Agenturen im Ausland. Einige wenige Schweizer Agenturen spielen zwar in der Champions League, aber mit Barcelona, Madrid, Bayern, Paris usw. können wir derzeit kaum mithalten. Der dritte Punkt: Die Schweiz ist teuer. Auch die Agenturen im Vergleich zum angrenzenden Ausland. Das wird hierzulande zwar mit Effizienz wettgemacht, aber der Kosten- und Profitabilitätsdruck verstärkt sich weiterhin. Viertens: Die Fragmentierung der Kanäle führt zu einer Vielzahl von spezialisierten Agenturen. Darunter leidet der gesamtheitliche Blick für eine Marke. Ausserdem führt diese Entwicklung dazu, dass statt langjähriger Mandate vermehrt Ad-hoc-Projektgeschäft vergeben wird, was wiederum nicht förderlich für Investitionen in Agenturen ist.

«In der Blockchain-Szene hat es exzellent ausgebildete, kluge, coole Leute»

Und sonst?
Fünftens: Technologie fasziniert und beschäftigt mehr als Kreativität. Ein bedauerliches Zeitphänomen, das teuer werden könnte, spätestens wenn Auftraggeber merken, dass es eigentlich wichtiger ist, wie sie etwas sagen und warum, statt was sie wo schalten. Sechstens: Mangel an Talent und Leadership. Die Magie der Werbebranche hat sich zu den Technologieunternehmen verschoben und damit leider auch zahlreiche Talente. Mit ein Auslöser für meinen Veränderungswunsch war der Kontakt zur Blockchain-Szene: Da hat es exzellent ausgebildete, kluge, coole Leute. Auch in der Schweizer Werbung gibt es nach wie vor aussergewöhnliche Köpfe, aber es dürften mehr sein.

Auch die Marktmacht der Internet-Giganten dürfte zu den Problemen gehören.
Ja, das ist mein siebter Punkt: Gewaltige Geldsummen verschieben sich nicht nur zu Google und Facebook. Inzwischen bieten die grossen Medienhäuser den Auftraggebern ähnliche Angebote wie Agenturen. Native Advertising wäre für Qualitätsmedien vor zehn Jahren ein publizistisches No-Go gewesen. Aber irgendwie muss der Einbruch des Anzeigenmarktes ja wettgemacht werden. Achtens: Der exponentielle technologische Fortschritt führt zu Verunsicherung und als Folge davon wird aus allen Kanälen mit viel Marktgeschrei gefeuert. Vor lauter Werbung wird die Werbung nicht mehr gesehen. Die Aufgabe exzellenter Werbung ist es, eben nicht ins billige Marktgeschrei einzustimmen, sondern dem Auftraggeber- und dann seinem Publikum zu Orientierung zu verhelfen. Manchmal raffiniert. Manchmal verblüffend. Manchmal etwas lauter, nie unlauter. Manchmal etwas leiser. Manchmal dramatisch. Manchmal fröhlich. Genau das liebe und mache ich.

Was haben Sie im letzten halben Jahr, als Sie eine Auszeit nahmen, unternommen?
Ich habe viel gelesen. Das letzte Buch von Stephen Hawking «Kurze Antworten auf grosse Fragen» erachte ich als Pflichtlektüre. Ich habe viel nachgedacht. Ich habe viel weniger Branchenevents besucht und bin dafür mehr an die frische Luft gegangen. Ich habe mehr Zeit mit meinen Kindern verbracht. Ich habe wieder Beethoven-Sonaten gespielt. Ich habe viele Agenturen angeschaut, auch im Ausland. Und vor allem habe ich wieder richtig Lust bekommen, im Werbemarkt, oder wie immer man unsere Branche bezeichnen möchte, etwas zu bewegen.

 



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