Was fällt den Schweizern bei der Werbe-Weltmeisterschaft in Cannes auf? Hier die Eindrücke von Swen Morath. Er ist Kreativchef bei Y&R Group Switzerland:
Im Vorfeld wurde bereits intensiv über die Veränderungen diskutiert, die das Festival vorgenommen hat. Wenn man den Palais betritt, stellt man aber gleich fest, dass auch etwas gleichgeblieben ist: Die arktischen Temperaturen. In Anbetracht der Tatsache, dass gefühlt die Hälfte aller eingereichten Kampagnen den Planeten retten wollen, könnte man gleich hier damit anfangen: Energie sparen und die Raumtemperatur etwas weniger herunterschrauben. Dann könnten wir alle auch den Pullover zu Hause lassen, was zu weniger Gepäck und somit zu noch weniger Energieverbrauch führen würde.
Abgesehen davon fällt auf, dass es vorwärts geht. Und zwar in alle Richtungen. Vor allem natürlich im technologischen Bereich. Androids, Artificial Intelligence, Automation, Transformation und Data sind mehr als nur Buzzwords, um die man in Cannes auch dieses Jahr nicht herumkommt. Neu geht es aber nicht nur um die Technologie selbst, sondern um Ideen, wie man Technologie sinnvoll, effektiv und vor allem kreativ nutzen kann. Mark Read, Global CEO Wunderman sowie a.i. COO WPP, hat dazu in Cannes ein interessantes Statement gemacht: «Tech should service the idea, not the other way around».
Ähnlich sieht das auch David Shing, seines Zeichens «Digital Prophet» bei Oath. In seiner Session hat er Marken eindringlich davor gewarnt, nur auf Technologie zu setzen und den menschlichen Faktor zu vernachlässigen. Die Art und Weise, wie eine Kampagne kreiert und designt wird, sei genauso wichtig wie ihre technologische Umsetzung. In einem Meer aus «Content Noise» kann man mit grossartiger Art Direction herausstechen. Denn seiner Ansicht nach kommt ein grosser Anteil dieses «Lärms» von Konsumenten selbst, die denken sie seien Künstler, nachdem sie einen Instagram-Filter über ihr Foto gelegt haben. Aber Kunden suchen immer noch nach etwas Einzigartigem, und dafür braucht es echte «Handwerkskunst».
Mensch versus Maschine war auch das Thema beim Auftritt von Totto, ihres Zeichens «androider TV-Robo-Host», erschaffen von Hiroshi Ishiguro, Professor an der Universität von Osaka. Visuell sehr eindrücklich und bestens ins Szene gesetzt, war die Konversationsfähigkeit von Totto allerdings sehr eingeschränkt, was sicherlich damit zu tun hat, dass sie nur japanisch versteht. Ohne intensive Hilfe ihres Erschaffers wäre Totto als Host des Panels kläglich gescheitert. Die philosophische Richtung, welche die Diskussion dann nahm, war jedoch sehr interessant. Mit einer Mahnung von Kei Wakabayashi, der betonte, dass Arbeit für Menschen mehr ist als nur Produktivität, die von Robotern übernommen werden kann. Arbeit sei für Menschen auch mit Verantwortungsgefühl, Anerkennung und Würde verbunden.
Was bleibt, ist erst einmal sehr beruhigend für uns, denn Ideen und Innovationen entspringen offensichtlich nach wie vor hauptsächlich dem menschlichen Gehirn. Das wird wohl für ein paar Jahre auch noch so bleiben. Agenturen bekommen aber dank Technologie immer wieder neue Möglichkeiten in die Hände gelegt, Kommunikation zu kreieren. Und das macht unseren Job so interessant.
Alles wird gut.
persoenlich.com berichtet vor Ort über das Festival, das noch bis am 22. Juni dauert. Alle Berichte und Interviews zu den Cannes Lions 2018 finden Sie hier laufend ergänzt.