24.01.2001

"Das Internet hat den Charakter der Unternehmen verändert"

Christopher P.A. Komisarjevsky (Bild), Präsident und CEO von Burson-Marsteller mit Arbeitsplatz in Manhattan, nimmt kein Blatt vor den Mund und unterstreicht bei einem Anlass im Zürcher Zunfthaus zur Saffran die bedeutende Rolle des CEO (Chief Executive Officer) als Kommunikator. Im exklusiven Interview mit "persoenlich.com" beantwortet "Chris K." – wie der einstige Helikopter-Pilot im Vietnam-Krieg heute intern genannt wird – auch Fragen zur Bedeutung des Internets der Zukunft, zum neuen US-Präsidenten Bush und zum Markt Schweiz.
"Das Internet hat den Charakter der Unternehmen verändert"

Burson-Marsteller hat eine Aufsehen erregende Studie unter 1400 Entscheidungsträgern – von CEOs über Finanzanalysten, Regierungsbeamten bis hin zu Journalisten – durchgeführt. Was sind deren Schlüsselaussagen?

Wir sind zu drei wesentlichen Ergebnissen gekommen: Erstens färbt der Ruf eines CEOs zu 45 Prozent auf den Ruf eines gesamten Unternehmens ab. Dieser Wert steigt stetig an. Zweitens habe wir das Verhalten von 2000 Internet-Anwendern in den USA untersucht und sind zum Schluss gekommen, dass eine Person, die Informationen aus dem neuen Medium bezieht, gleich acht weitere beeinflusst. Aus acht Meinungen entsteht eine solche von 64, was sich auf 512 steigert und so weiter. Das ist dramatisch. Und in diesem Zusammenhang steht unser dritte Kernpunkt, der die Wichtigkeit des Internets gerade auch für CEOs unterstreicht.

Sind die Erwartungen in das weltweite Netz nicht zu gross, wenn man sich die deutlichen Kursrückgänge an der Nasdaq vor Augen hält?

Keine Frage, an der Nasdaq ist eine grosse Blase geplatzt. Während des Booms arbeiteten wir für 200 Dot-Com-Firmen, heute sind es noch 40. Das zeigt uns die Bedeutung eines umfassenden Business-Modells mit Gewinnvorgaben. Dabei dürfen Sie aber nicht vergessen, dass das Internet die Welt verändert, Barrieren überwunden hat. CEOs von heute müssen innerhalb und ausserhalb ihrer Unternehmen kommunizieren. Dazu gehören Web-Cast (Internet-TV), Online-Chating mit den Angestellten oder Ansprachen per Video. Entsprechend hat das Internet selbst den Charakter ganzer Firmen verwandelt.

Sie haben erwähnt, dass Sie persönlich in den letzten drei Monaten bei drei Firmen-Chats Red‘ und Antwort standen. Nun ist es aber zumindest in der Schweiz so, dass gerade Manager in Ihrem Alter Mühe mit der Technik haben.

Das ist ein grosses Problem. Ich werde nächsten Monat 56 Jahre alt. Während meiner beruflichen Laufbahn war es denn auch sehr wichtig für mich, Möglichkeiten wie Online-Chats zu lernen. Heute gehören Computer eben zur Allgemeinbildung. Ich glaube denn auch, dass die Zahl der CEOs, die im Chat online kommunizieren, dramatisch wächst. Konzernleiter oder Journalisten werden das Medium bald so oft und effizient wie ein Telefon benützen. Wer Internet nicht kennt, ist benachteiligt – zuerst als Kind, dann als Student und letztlich als Präsident.

Wo sehen Sie die grösste Gefahr des neuen Mediums?

Die Meinungen im Internet können sehr falsch sein. Nur diejenigen, welche den Inhalt einer Nachricht verstehen, können erkennen, was wahr ist. Im Internet gibt es keine Filter, wie wir das bei den klassischen Medien oder im Journalismus im Allgemeinen kennen.

In Ihrem Referat bezeichnen Sie George W. Bush, den 43. Präsidenten der Vereinigten Staaten, als CEO der America Inc. Wie gross sind seine Kommunikationsfähigkeiten?

Er hat realisiert, dass er ein aggressiver Kommunikator sein muss. Dabei hat er seine Botschaften nicht nur an den Kongress, sondern auch an das Volk zu richten. Für Leute wie Bush, die ihre Visionen verkaufen und ein Team bilden, sind die ersten 180 Tage enorm wichtig, um die elementaren Botschaften zu kommunizieren. Heute sollte aber in allen 100-tägigen Zeitperioden so agiert werden, als ob es die ersten 100 Tage in einem neuen Job seien.

Sie kommen just zu einer Zeit in die Schweiz, in der die US-Regierung ihre Bürger vor einem Aufenthalt am Wirtschaftsforum in Davos warnt. Wie sehen Sie als Amerikaner die Schweiz?

Das Land, das ich zusätzlich von meinem vierjährigen Arbeitsaufenthalt in Genf kenne, realisierte zu spät, dass die Europäische Union auch positive Impulse bringt. Wirtschaftlich ist Europa nach den USA der zweitwichtigste Markt, der enormes Potenzial birgt. Es ist gut, dass sich nun die Schweizer Regierung vermehrt mit der EU beschäftigt. Nach wie vor nehmen wir in den USA die Schweiz für ihre hohe Qualität und ihre Fairness wahr.

Gerade im Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg hat sich die Schweiz aber nicht sehr fair verhalten und in jüngster Zeit die Vergangenheit kommunikativ schlecht aufgearbeitet.

Zum Thema Nazi-Gold hätte die Schweiz tatsächlich offener und kommunikativer auftreten müssen, denn es gilt, auch schlechte Nachrichten zu kommunizieren. Auch heute muss das Land proaktiv agieren.


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