Frau von Stockar, Sie haben drei Karrieren gemacht: die erste beim Fernsehen, die zweite als Zahnpastaproduzentin, die dritte als Hotelbesitzerin. Was ist die grösste Herausforderung?
Jede Aufgabe ist anders und trotzdem gleich. Was die drei Jobs verbindet: Es handelt sich um ein People Business. Bei allen Tätigkeiten kann und konnte ich meine brennende Neugierde für Menschen und ihre Geschichten und meine Abenteuerlust ausleben. Es handelt sich um drei grosse Projekte auf drei grossen Bühnen, wobei das denkmalgeschützte Hotel Chesa Grischuna in den Bergen, dieses «Hollywood on the rocks», die grösste Herausforderung darstellt.
Gehen wir zehn Jahre zurück: Sie sind 2016 vom sicheren Hafen SRG ohne Not in die Privatwirtschaft gewechselt und wurden CEO und Mehrheitsaktionärin der Zahnpastafirma Swissdent. Was hat Sie zu diesem ungewöhnlichen Schritt bewogen?
Beim Fernsehen gab es für mich nach über zwanzig Jahren keine neuen Herausforderungen mehr, ich begann mich zu langweilen. Ich hatte moderiert, aber auch die verschiedensten Sendungen mit Sandra Studer, Kurt Aeschbacher oder auch Roger Schawinski produziert. Der Wechsel in die Privatwirtschaft war für mich wie ein Sprung aus einem Fenster, nur ohne rettendes Sprungtuch. Doch dies gab mir Energie. Ursprünglich habe ich – gemäss der Devise «Schuster, bleib bei deinem Leisten» – eine Produktionsfirma gegründet, die für Ringier und andere Verlagshäuser Internetfilme produzierte. Dass ich kündete, begriff niemand. Der damalige Programmdirektor wie auch der damalige Generaldirektor drückten in einem Brief ihr Bedauern und ihr Unverständnis aus. Gleichzeitig dachten sie wohl, dass ich schon bald wieder reuig zur SRG zurückkehren würde.
Das passierte nicht. Stattdessen traten Sie in eine Zahnpastafirma ein. Wie kam das?
Ich drehte ein paar Jahre vorher für das Schweizer Fernsehen eine Reportage am Filmfestival von Cannes. Damals entdeckte ich neben dem roten Teppich einen Schweizer Zahnarzt, der Zahnpasten an die Stars verteilte. Es war Vaclav Velkoborsky, Gründer von Swissdent. Ich fand das amüsant und porträtierte ihn für die Wirtschaftssendung «Eco». So kamen wir in Kontakt. Später bat mich Vaclav, ihm bei der Finanzierung und dem Marketing seines Unternehmens zu helfen. Ich habe ihm geholfen, Geld aufzutreiben. Als wir uns vom damaligen CEO trennen mussten, übernahm ich interimsmässig die Geschäftsführung. Was für nebenbei gedacht war, wurde zum Volljob. Ich realisierte, dass das ganze Unternehmen damals überhaupt nicht stimmig war: Wir stellten zwar ein Schweizer Produkt her, die Verpackungen hingegen stammten aus dem Ausland. Zudem konnte jeder, der wollte, Swissdent verkaufen. Swissdent war sowohl in Coiffeurläden als auch in Apotheken vorhanden.
«Der Stellenwert der Swissness ist sehr gross, ausser in der Schweiz»
Was unterscheidet Swissdent von anderen Marken wie beispielsweise Elmex?
Bei Elmex schrubbt man nach der alten Rezeptur mit Silikaten den Dreck von den Zähnen. Unsere Idee ist es, die Zähne mit Fruchtenzymen sanft zu waschen und mit mikronisiertem Calciumperoxid aufzuhellen. Das ist eine vollkommen neue Idee, bei welcher der Zahn viel weniger malträtiert wird als bei den herkömmlichen Zahnpasten.
Ist das so einfach?
Ja, die meisten Menschen glauben, der Zahn sei durch und durch weiss. Doch das stimmt nicht, das Weisse am Zahn ist eine äusserst dünne Zahnschicht, die im Alter aufgrund des Essens und der Zahnbehandlung immer mehr schwindet. Darum haben ältere Menschen oftmals gelbliche Zähne. Der Grund ist nicht eine Verfärbung des Zahns, sondern dass der Zahnschmelz immer dünner wird und das gelbliche Zahnbein durchschimmert. Man sollte bereits früh im Leben mit einer schonenden Behandlung der Zähne beginnen und nur Zahnpasten mit tiefem RDA-Wert verwenden. RDA steht für Relative Dentin Abrasion. Diese Erkenntnis zieht sich wie ein roter Faden durch all unsere Produkte, die wir ausschliesslich in der Schweiz entwickeln und herstellen.
Wie gross ist der Stellenwert der Swissness?
Sehr gross, ausser in der Schweiz. Obwohl «100 Prozent Swiss made» draufsteht, können sich viele unserer Schweizer Kunden gar nicht vorstellen, dass wir all unsere Produkte wie Zahnpasten, Mundwasser oder Zahnbürsten in verschiedenen Fabriken ausserhalb von Zürich herstellen. Der Prophet im eigenen Land hat es immer schwerer. Im Ausland hingegen ist Swissness ein ganz wichtiger Verkaufsfaktor, wobei sich zeigt: Je weiter man sich von der Schweiz entfernt, desto grösser wird er. Dies gilt auch für den Osten. Deutschland hingegen ist für uns ein schwieriger Markt, da die Deutschen primär ihre eigenen Produkte bevorzugen.
«Testimonials bergen immer ein gewisses Restrisiko»
Yann Sommer war lange Testimonial von Swissdent. Wie sind Sie dazu gekommen?
(Lacht.) Er hatte sich bei uns gemeldet. Zusammen mit meiner Freundin Mimi Mollerus stellten wir ein Travel-Set her, das wir weltweit verkauften. So auch im Duty-free-Shop des Zürcher Flughafens. Dort kaufte Yann Sommers Mutter dieses Set für ihren Sohn. Er war richtig vernarrt in unsere Produkte, sodass sich seine Managerin bei uns meldete und anfragte, ob er Testimonial werden könne. Leider fiel die Zusammenarbeit gerade in die Coronazeit, sodass wir sie bald wieder beenden mussten. Aber Yann Sommer war für uns das ideale Testimonial: überall beliebt, attraktiv, intelligent und vor allem: schöne weisse Zähne. Testimonials bergen immer ein gewisses Restrisiko: Sollte man den Star nicht mögen, so mag man auch das Produkt nicht, das er vertritt. Obwohl Yann unsere Zahnpasta und unser Mundwasser immer noch schätzt, können wir ihn uns heute leider nicht mehr leisten (lacht).
Themenwechsel: Vor bald drei Jahren wagten Sie einen weiteren Schritt und kauften mit Ihrem Partner Clemens Gregor das Traditionshotel Chesa Grischuna in Klosters. Was gab den Ausschlag?
Sicher erstens die Angst, dass dieser Magnetort in Klosters in falsche Hände geraten könnte, denn die Gründerfamilie suchte nach einem Käufer. Es gab keine Nachfolge. Zweitens bin ich ferientechnisch mit Klosters verbunden, denn meine Familie hat ein Chalet dort, und ich habe die Chesa Grischuna seit meiner frühesten Jugend geliebt! Der Kauf eines eigenen Hotels mit dem besten Restaurant der Gegend war wieder ein Sprung aus dem Fenster, nur viel grösser als derjenige vom Schweizer Fernsehen zu Swissdent. Diesmal hatte ich meine Komfortzone definitiv verlassen.
«Wir wollten dem Hotel seine DNA zurückgeben»
Was zeichnet Ihr Hotel aus?
Das Chesa Grischuna war früher unter dem Übernamen «Hollywood on the rocks» bekannt. Berühmtheiten von Churchill über die Hollywood-Grössen Greta Garbo, Audrey Hepburn, Gene Kelly und Bing Crosby bis zu dem schwedischen und jetzt dem englischen König gingen dort ein und aus. Während des Zweiten Weltkriegs wurden amerikanische G.I. in unserem Hotel untergebracht. Einige von ihnen wurden berühmte Drehbuchautoren oder Regisseure in Hollywood und kamen Jahre später wieder mit ihren Familien zurück. So wurden wir in den USA berühmt. Es kommen heute noch bekannte Filmstars und Royals. Unser Gästebuch ist entsprechend illuster. Aber ich hatte das Ganze unterschätzt.
Was war Ihr Ziel?
Wir wollten dem Hotel seine DNA zurückgeben und die alte Bergeleganz wiederauferstehen lassen. Unsere Gäste interessieren sich für die Geschichte des Hauses, sie suchen keinen neureichen Glanz, sondern schätzen das 30er-Jahre-Design, all die kleinen geschnitzten Details und die vielen Wandmalereien von Alois Carigiet, der unser Haus aussen und innen ausmalte. Das Chesa Grischuna wurde 1936 eröffnet und als Swiss Chalet konzipiert, ähnlich wie das Chesa Veglia in St. Moritz, das vom gleichen, eigentlich modernistischen Architekten erstellt wurde. Dieser wollte damit ein Zeichen gegen die überall verbreitete grosskotzige Nazi-Architektur setzen. Unsere Gäste sind Intellektuelle, Künstler, altes Geld und europäischer Hochadel. Sie wollen, dass alles so bleibt wie immer, und Veränderungen werden von uns nur ganz vorsichtig eingeführt. Wir haben eine ähnliche Klientel wie die «Kronenhalle». Mit Freude konnte ich feststellen, dass sie mittlerweile dieselben Gläser benutzen wie wir (lacht). In unserer Küche verzichten wir auf Convenience-Gastro-Food, sondern stellen jede Sauce und einfach alles selbst her. Das ist zwar sehr aufwendig, aber wir haben nun 14 Gault-Millau-Punkte und sind das beste Restaurant in der Gegend um Klosters und Davos.
Wie war die Auslastung während des WEF?
Sehr gut. Das Hotel war komplett ausgebucht. Aus Diskretionsgründen darf ich natürlich nicht alle Gäste aufzählen. Auch im Restaurant hatten wir Überraschungsgäste. Gerade gestern kam der libysche Staatspräsident mit seiner Gefolgschaft zu uns. Ursprünglich waren sieben Personen angekündigt, am Ende waren es dreimal so viele. Der libysche Präsident fand Gefallen an unserer Küche und wollte spätabends alle Menüs testen. Das freute zwar unseren Küchenchef, forderte ihn und sein Team aber auch bis in die Nacht heraus. Das sind die täglichen Herausforderungen, die man als Hoteleigentümer zusammen mit einem guten Team zu bewältigen hat (lacht).
Das ausführliche Interview mit Astrid von Stockar ist in der persönlich-Printausgabe vom Januar/Februar erschienen.