17.11.2000

40 Jahre "Fibo" bei Ringier

Hans Jürg "Fibo" Deutsch, Leiter des Geschäftsbereiches "Ringier TV", wurde dieses Jahr 60 Jahre alt und feiert gleichzeitig sein 40-jähriges Jubiläum im Hause Ringier. "persoenlich.com" hat mit dem Vollblutjournalisten über den Boulevard von gestern und morgen gesprochen und wollte wissen, woher er seinen Übernamen hat, was er von "Big Brother" hält und wie seine Pläne für die Zeit nach seiner Pensionierung aussehen. Das grosse Interview:

60 Jahre Fibo Deutsch und 40 Jahre Fibo Deutsch bei Ringier – welche Zahl beeindruckt Sie persönlich mehr?

40 Jahre Ringier. 60 Jahre alt wird man ganz von selber. Für 40 Jahre Ringier hingegen braucht es ein hohes Engagement von beiden Seiten her.

Erst Medizinstudent, der während seiner Semersterferien für 2.50 Franken Stundenlohn Leserbriefe beim damals frisch gegründeten Blick beantwortete, dann Polizeireporter und Nachrichtenchef Blick, später Chefredaktor SoBli und SI und heute Ringiers Fernsehmann Nummer Eins: Sie haben die Mediengeschichte des Hauses Ringier mitgeschrieben.

Ich würde sagen, miterlebt. Und vielleicht zum Teil auch mitgeschrieben. Die wichtigste Station war für mich persönlich die Gründung des SonntagsBlicks. Und es freut mich sehr, dass das Baby, das wir damals in die Welt gesetzt haben, so sehr gewachsen und heute so gesund ist. Eine schwierige Phase hingegen war die Fusion des damaligen Magazins "Sie + Er" mit der Schweizer Illustrierten – beides marode Titel. Und heute ist die SI eines der Flaggschiffe von Ringier...

40 Jahre sind dennoch eine sehr lange Zeit...

Das Positive an einem so grossen Haus wie Ringier ist es, dass man immer wieder etwas Neues machen kann. Ich habe in den 40 Jahren ganz verschiedene Tätigkeiten ausgeübt, und dank dieser Vielfalt konnte ich diese 40 Jahre problemlos überstehen. Jede dieser Jobs war für mich wieder eine Möglichkeit, ganz viel weiteres zu lernen. Ich glaube, ich habe keinen Arbeit länger als 7 Jahre ausgeübt; man hat mich alle paar Jahre wieder angefragt, ob ich nicht Lust hätte, dieses oder jenes Projekt zu übernehmen. Zwischendrin war ich auch mal nicht so erfolgreich, und dennoch konnte ich immer wieder irgendetwas Spannendes übernehmen. Aber das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass Ringier ein Familienunternehmen ist.

Ihre gutbürgerlichen Eltern waren entsetzt, als Sie damals bei der ersten Boulevardzeitung der Schweiz, beim Blick, anfingen. Hat sich ihre Einstellung im Laufe der Zeit verändert?

(Lacht) In dem Moment, als sie gesehen haben, dass sich mein Job auszahlt und ich gutes Geld verdiene. Hat man Erfolg, sieht alles anders aus. Aber es ging schon zwei bis drei Jahre, bis sie sich daran gewöhnt haben, dass ihr Sohn für einen Boulevardtitel arbeitet.

Was hat Sie am Blick so gereizt?

Für mich als behütetes Beamtensöhnchen war das eine ganz neue Welt. Es gab Verhältnisse unter den Mitarbeitern und Alkohol am Arbeitsplatz. Sogar der Chefredaktor, damals in meinen Augen eine ehrfürchtige Figur, hatte ein Verhältnis, und das, obwohl er verheiratet war! Und so etwas hat einen Naivling wie mich natürlich aus den Socken gehauen. Sex und Crime, Spannung und Emotion – das waren die Themen des Blicks von damals und die Redaktion war ein Spiegelbild davon. Heute ist das nicht mehr so: Crime gibt’s im TV-Krimi und Sex überall, aber damals waren die beiden Themen das A und O des klassischen Boulevards nach angelsächsischem Muster. Und die besten Geschichten waren jeweils die mit einer ermordeten Nutte. Ich habe ja dann ziemlich rasch als Polizeiberichterstatter gearbeitet und war dementsprechend nah dran. "Zigeuner-Carmen erstochen" – das war so eine wunderbare Geschichte aus dem Niederdorf...

Ihr grosses Vorbild war Chefredaktor Charles La Roche. Warum?

La Roche war der typische, harte Newsjournalist. Und er hatte das breiteste Wissen von allen Leuten, die ich kenne. Unsere gemeinsame SonntagsBlick-Zeit war damals, als samstagabends noch all die grossen Quiz-Sendungen im Fernsehen liefen. Und während wir arbeiteten, lief dann jeweils der Fernseher, und La Roche und ich haben mitgeraten. Ich bin mir sicher, dass er heute alle Millionen-Quiz' sprengen würde (lacht) – er war übrigens nicht der mit dem Verhältnis...

Die grosse Zeit der klassischen Boulevardzeitungen scheint zu Ende. Boulevard gibt’s überall, sei es in der sogenannt seriösen Tagespresse, sei es im Fernsehen. Glauben Sie, dass ein Blatt wie der Blick überhaupt noch eine Zukunft hat?

Und ob. Ich glaube, sogar eine grosse. Früher war Boulevard wie gesagt gleich Sex und Crime. Heute hat Boulevard auch eine Ratgeberfunktion. Gesundheit, Konsum, Wirtschaft – das alles sind Themen, die eine neue Bedeutung erhalten haben. Werden diese Themen boulevardig sprich leicht verständlich aufgearbeitet, kann das sehr viel bewirken. Schreibt der Blick zum Beispiel, dass die Swissair ins Ausland verkauft werden soll, wird plötzlich überall darüber diskutiert, und dies selbst von Leuten, die sich sonst nicht für Wirtschaft interessieren. Oder all die Ratgeber, die wir neu eingeführt habe, wie zum Beispiel zum Thema Gesundheit. Da werden komplizierte Sachen auf eine simple Art verständlich gemacht – boulevardig eben.

Blick-Chefdaktor Lehmann trimmt sein Blatt ja auch vermehrt auf Seriosität, gewichtet Politik und Wirtschaft ganz anders als seine Vorgänger.

Ein Titel wie Blick muss seine Schwerpunkte heute ganz klar anders setzen. Und das hat Lehmann auch richtig erkannt.

Wie schätzen Sie die Konkurrenz durch all' die neuen Gratisblätter ein?

Eine gut gemachte Boulevardzeitung bringt sicherlich mehr und vertiefter. Für mich sind die Gratiszeitungen ein besseres Inhaltsverzeichnis oder von mir aus auch ein gedruckter Teletext. Positiv daran finde ich aber, dass jetzt auch plötzlich Leute Zeitung lesen, die bis jetzt kein Blatt in die Hand genommen haben. Und wenn die dadurch Lust am Lesen bekommen, kaufen sie vielleicht auch irgendwann einmal den Blick.

Der Kioskverkauf vom Blick ist aber klar zurückgegangen.

Und dafür die Abozahlen rauf...

Heute sind Sie PTV-Chef und Ringiers Fernsehmann Nummer Eins. Wären Sie als alter Boulevardhase nicht besser bei den Schweizer Privat-TV-Stationen aufgehoben?

TV3 wäre mir zu einseitig. Was dort abgeht, enspricht klar der alten Boulevardmasche. Für mich muss ein Massenmedium wie Fernsehen breiter fahren. Gesundheit, Sport, Information – all das würde mir bei TV3 fehlen. Cash-TV, Sämi Stutz’s Gesundheitssendung, Fussball – ich bin stolz, dass wir hingegen so vielseitig sind. Und dadurch, dass wir versuchen, die Inhalte leicht verständig rüberzubringen, machen wir ja auch wieder eine Art von Boulevard. Somit bin ich nicht allzu weit weg von meinen alten Wurzeln... Aber nur Quiz-Sendungen und Voyeurismus – das würde mich journalistisch unterfordern.

Seit Ende August kommt das Schweizer Fenster von SAT.1, an dem Ringier zu 50 Prozent beteiligt ist, in einem neuen Gewand daher. So wurde unter anderem Samuel Stutz’s "1xtäglich", das bisher ziemlich gedümpelt hatte, aufgewertet. Wie sehen die Quoten heute aus?

Sehr viel besser. Durch die Umplatzierung hat das Fenster sehr gewonnen. Die Spitzen liegen irgendwo bei 70- bis 80- bis 90-Tausend, im Schnitt irgendwo bei 60-Tausend. Ein Marktanteil, mit dem ich sehr zufrieden bin. Aber natürlich kann es ruhig auch noch besser werden (lacht).

Letzte Woche ist Eva Wannenmacher kurzfristig bei ihrem Vertrag mit der "Gesundheit-SprechStunde" ausgestiegen. Haben Sie bereits einen Ersatz für sie?

Frau Wannenmacher wäre für unsere Sendung in erster Linie ein Werbefaktor gewesen. Eine Frau wie sie bringt eine Sendung ins Gespräch, macht Leute neugierig. Sie wäre ein Marketingfaktor gewesen, und nicht in erster Linie eine publizistische Verstärkung. Vielleicht hätte sie das werden können – ich hätte gerne ausprobiert, wie gut sie tatsächlich ist. Es ist aber nicht so, dass das Konzept der Sendung auf ihr beruht. Natürlich wollen wir den Aspekt der Komplementärmedizin in Zukunft vertiefen und wir sind auch laufend am Casten. Aber erstens eilt das nicht und zweitens ist es ja vielleicht wieder Kommissar Zufal, der schlussendlich entscheidet. Mit Frau Wannenmacher wäre es sicherlich nett gewesen, weil wir so gerne an der Sendung "umeschrüblet".

Wie sieht’s aus mit neuen Projekten?

Für PTV läuft zur Zeit noch immer das Konzessionsgesuch für SF info. Und beim Sat.1-Fenster sind wir am Umbau des Kinomagazins – ein richtiges Experiment. Beim Fussball passiert zur Zeit nicht viel; mit dem Sonntag sind wir sehr zufrieden, nur um acht Uhr könnte es noch besser sein. Das Problem liegt wohl darin, dass die Abendsendung noch nicht so bekannt ist: Fernseherfolg braucht entweder Zeit oder Geld. Natürlich könnte ich jetzt drei Millionen für eine Webekampagne in die Hand neben, aber ehrlich gesagt, lasse ich mir lieber noch etwas Zeit.

Hat Sie der Erfolg von "Big Brother" Schweiz überrascht?

Ja, in dem Ausmass schon. Ich hatte bereits "Big Brother" Deutschland verfolgt und ehrlich gesagt mit dem Ermüdungsfaktor gerechnet. Nicht, dass ich grundsätzlich etwas gegen die Sendung hätte: In meinen Augen ist jeder selber schuld, wenn er mitmacht oder schaut. Die 280'000, die jeden Tag "Big Brother" schauen, die erstaunen mich. Andererseits sind davon 25 Prozent unter 14 Jahre alt, also Kinder, die schauen wollen, wie es die Erwachsenen so machen...

Jubilare werden ja häufig gefragt, was sie den Jungen für Ratschläge mit auf den Weg mitgeben würden. Ich frage Sie umgekehrt: Welchen Rat hätten Sie damals auf Ihrem Berufsweg gerne gehört, der Ihrem Lebensweg vielleicht auch in eine andere Richtung gewiesen hätte?

Ein wichtiger Punkt ist sicherlich, die Meinung von anderen Ernst zu nehmen. Etwas, was ich tatsächlich erst lernen musste. Ich habe häufig meine Meinung durchgesetzt und hatte dabei sicherlich nicht immer Recht. Ein Rat ist vielleicht der, daran zu glauben, dass Altsein durchaus erträglich sein kann – solange man dazu bereit ist, immer wieder etwas Neues anzufangen. Hier ist mir sicherlich auch die eingepflanzte Neugier des Boulevardjournalisten entgegengekommen. Und dann ist es ganz wichtig, Junge nachzuziehen. Die kommende Generation sieht viele Sachen ganz anders. Ein Beispiel: Da sehe ich so eine doofe Werbekampagne, die meine jungen Mitarbeiter hingegen ganz toll finden. Und dann muss ich mich halt dahinter klemmen und mir eingestehen, dass andere andere Meinung haben. Und dass anders auch gut ist!

In zwei Jahren werden Sie pensioniert. Freude oder Drohung?

(Lacht) Ich werde gar nicht pensioniert! Mein Verleger hat mir gesagt, er könne sich nicht vorstellen, dass ich aufhöre. Und da hat er wohl Recht. Ich werde nicht mehr so weiter arbeiten wie bis jetzt, aber ich werde sicherlich noch meine Kolumnen schreiben und vielleicht eine Art Beraterfunktion übernehmen. Solange ich noch neugierig bin, höre ich nicht auf. Sehen Sie, ich habe alle Zeitungen im Büro und der Kafi ist auch gut – was will ein Journalist noch mehr?

Zum Schluss noch eine indiskrete Frage: Woher kommt der Übername "Fibo"?

Ich glaube, von "Fido". Schliesslich war ich in den Anfangszeiten beim Blick der Laufhund der Redaktion – das "Apportierhündli". Und jetzt will ich Ihnen noch etwas sagen, nachdem Sie mich zwar nicht gefragt haben, was ich aber ganz wichtig und elementar finde: Ich habe eine Frau zu Hause, die keine Zicke ist. Eine Frau, die auch nicht motzt, wenn ich erst um elf nach Hause komme, auch wenn ich gesagt habe, ich sei bereits um sieben Uhr da. Als Journalist kann man nur Karriere machen, wenn einem jemand den Rücken freihält. Und niemand verlangt, dass man regelmässig die Kinder vom Kindergarten abholt oder noch eine Buntwäsche macht. Und all das habe ich mit meiner Frau Ruth, die übrigens selber auch als Journalistin tätig ist.

Vita:

Hans Jürg (Fibo) Deutsch wird am 19. Mai 1940 geboren. Nach der A-Matur und dem Beginn eines Medizinstudiums an der Universität Zürich startet er 1960 seine Karriere im Hause Ringier als Volontär beim Blick. 1962 macht er ein Volontariat bei Bild und Bild am Sonntag in München und Hamburg und kehrt anschliessend wieder nach Zürich zurück. Ab 1963 ist Deutsch Nachrichtenchef beim Blick; ab 1966 stellv. Chefredaktor.

1969 gründete Fibo Deutsch den SonntagsBlick und wird erster Chefredaktor des neuen Titels. 1970 folgt der Aufbau des "Ringier Pressedienstes" (später RDZ); 1972 ist er bereits wieder Chefredaktor, diesmal bei der Schweizer Illustrierten. 1979 folgt das Neukonzept für Tele und Minitele und 1981 die Co-Chefredaktion bei Die Woche. 1982 übernimmt er den Aufbau der Informations- und PR-Abteilung von Ringier.


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