02.12.2018

Süddeutsche Zeitung

«Auf die Dauer kann es einsam werden»

Nach vier Jahren zügelt sie: Schweiz-Korrespondentin Charlotte Theile verlässt Zürich und gleichzeitig auch die «Süddeutsche Zeitung». Sie sei anfangs nicht ernst genommen worden, weil sie so jung sei, sagt sie im Abschiedsinterview.
Süddeutsche Zeitung: «Auf die Dauer kann es einsam werden»
Charlotte Theile, geboren 1987, deutsch-schweizerische Doppelbürgerin, war seit Oktober 2014 Korrespondentin der «Süddeutschen Zeitung» für die Schweiz. Davor volontierte sie bei der SZ in München. (Bild: zVg.)
von Matthias Ackeret

Frau Theile, Sie wechseln Ende dieses Jahres von der «Süddeutschen Zeitung» zur «Die Zeit» in Leipzig. Was sind die Gründe für diesen Wechsel?
Nach vier Jahren als Korrespondentin habe ich Lust, wieder einmal in einem Team zu arbeiten. Ein Aussenposten ist spannend, man hat viele Freiheiten und lernt ein Land gut kennen. Auf die Dauer kann es aber einsam werden. Ausserdem stamme ich aus dem Osten Deutschlands und interessiere mich für die Region. Als sich die Möglichkeit in Leipzig ergab, war mir also relativ schnell klar: Das könnte gut passen. Ein kleines Team, spannende Themen, und, nach fast acht sehr guten Jahren bei der «Süddeutschen», eine neue Zeitung: Ich hatte das Gefühl, das könnte der richtige Schritt sein.

War die Schweiz für Sie zu wenig attraktiv?
Überhaupt nicht. Journalisten sagen manchmal, hier sei zu wenig los. Ich habe das eher als Chance empfunden: Weil nicht jeden Tag etwas Krasses passiert, hat man die Möglichkeit, sich zu vertiefen, längere Geschichten zu schreiben und auch auf Schauplätze zu stossen, die sonst zu wenig beachtet werden.

Woran denken Sie da zum Beispiel?
Ich hatte die Zeit, immer wieder in die JVA Lenzburg zu fahren, die in einem Roman von Jo Nesbø als «das beste Gefängnis der Welt» beschrieben wird. Ich konnte ein Buch schreiben. Ich war bei Christoph Blocher daheim anlässlich des Teleblocher-Jubiläums. Dazu kamen auch viele bunte Geschichten: Chinesische Touristen im Kanton Uri, Nachwuchs bei den Elefanten im Zürcher Zoo, Reportage aus dem Einkaufszentrum in Weil am Rhein, das jeden Samstag von Schweizern mit Rollwägelchen heimgesucht wird.

«Ich wurde nicht ernst genommen, weil ich so jung war»

Was hat Sie an der Schweiz in den vergangenen vier Jahren am meisten überrascht?
Ich habe die Schweiz vorher schon ein wenig gekannt. Mein Vater kommt aus Basel, als Kind habe ich Auslandschweizerlager besucht, Anfang 20 ein Semester Erasmus in Bern gemacht. Insofern war mir vor allem die politische Welt neu – das Zusammenspiel der Räte, die fehlenden Bodyguards, der lange Weg von der Idee zur Volksinitiative. Vieles davon fasziniert mich bis heute. Anderes fand ich irritierend: Etwa die Art und Weise, wie die Kleinräumigkeit in manchen Kantonen zu juristischem und politischem Filz führen kann.

Wie lebt es sich als Auslandkorrespondentin in Zürich?
Alles in allem: sehr gut.

Was war für Sie das positivste, aber auch das negativste Erlebnis?
Mir hat die Zusammenarbeit mit dem «Tages-Anzeiger» sehr viel Spass gemacht, auch die regelmässigen Gesprächsrunden bei Radio SRF. Noch wichtiger sind die Freundschaften, die hier entstanden sind, da gibt es viele Erlebnisse. Wanderungen, Ski-Wochenenden, Partynächte in Zürich. Was die negativen Geschichten angeht… Es gab am Anfang Kollegen, Pressesprecher und Politiker, die mich nicht ernst genommen haben, weil ich so jung war. Zum Glück hat sich das inzwischen geändert.

«Man entwickelt gemeinsam Themen und gibt einander Feedback»

Welche Stoffe aus der Schweiz stiessen bei Ihrer Heimredaktion auf das grösste Interesse?
Was immer gut ankommt, sind Klischees: Hornkühe, Rechtspopulisten, Tunnel. Fast ebenso gut funktionieren aber Geschichten, die man in der Schweiz nicht erwartet hätte. Etwa wenn es um die Schicksale der Verdingkinder geht oder die liberale Drogenpolitik der Stadt Zürich.

Sie arbeiten nun bei der «Zeit» in einer Redaktion. Welche Vorteile erhoffen Sie sich dadurch?
Die Redaktion in Leipzig ist eine ziemlich junge, dynamische Redaktion. Ich glaube, dort wird viel diskutiert, man entwickelt gemeinsam Themen und gibt einander Feedback. Ausserdem wird in Sachsen im nächsten Jahr ein neuer Landtag gewählt. Eine spannende Wahl, besonders nach den Vorfällen in Chemnitz.

Wird die «Süddeutsche Zeitung» einen Nachfolger oder Nachfolgerin für Sie bestimmen?
Ja, zum Glück. Die Schweiz wird auch weiterhin genau beobachtet – und zwar wieder von einer Frau Anfang 30. Anders als ich, wird meine Nachfolgerin aber mit ihrer Familie nach Bern ziehen.



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Kommentare

  • dr. roland stark, 17.06.2019 07:28 Uhr
    Charlotte Theile vermisse ich sehr. Sie war die erste Stimme der SZ aus der Schweiz, die sich auskannte - Sie wusste zum Beispiel, dass man "Zürcher" schreibt und nicht "Züricher". Das hatte das Feuilleton der SZ nie begriffen. Isabel Pfaff hatte einen guten Start. Ich hoffe
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