16.10.2020

Presserat

Beobachter, BaZ und Tagi gerügt

Untergeschobenes Zitat, Gegenseite ungenügend oder gar nicht angehört: Bei den teilweise gutgeheissenen Beschwerden geht es um die Unia, das Berner Heimatwerk und Ken Jebsen.

Der Presserat heisst eine Beschwerde gegen die Tamedia-Redaktion teilweise gut. Die Redaktion hatte dem Drahtzieher einer Corona-Demonstration in Berlin ein Zitat untergeschoben. Dieses hatte er so jedoch nie gesagt.

Die kritisierte Passage stand in einem Text über Ken Jebsen, der als Drahtzieher der Demonstrationen gegen die Corona-Massnahmen in Berlin präsentiert wurde. In diesem Text stand, dass Jebsen «antisemitische Ressentiments gegen den angeblichen ‹Juden-Kapitalismus› bediene».

Der Begriff «Juden-Kapitalismus» war in Anführungszeichen gesetzt, obwohl kein Beleg präsentiert wurde, dass Jebsen ihn je verwendet hatte. Tamedia habe in einer Antwort an eine Privatperson aus der Schweiz denn auch attestiert, dass Jebsen diesen Begriff so wohl tatsächlich nicht verwendete.

Tamedia argumentierte, «Juden-Kapitalismus» habe gar nicht als Zitat Jebsens, sondern bloss als Beispiel für die von Jebsen bedienten antisemitischen Ressentiments dienen sollen.

Für den Presserat hat die Tamedia-Redaktion damit gegen die Rechte und Pflichten von Journalistinnen und Journalisten verstossen. Wer einen Begriff, der die Denkweise einer Person beschreibe, in Anführungszeichen setze, schreibe diesen Begriff dieser Person zu.

Tamedia habe damit die von Jebsen geäusserte Meinung entstellt, teilte der Presserat am Freitag mit. Kein Problem sieht der Presserat hingegen bei der Aussage, dass auf Jebsens Onlineplattform KenFM im Vorfeld einer Demonstration «kaum verhüllt zu Gewalt gegen ein TV-Team der satirischen ‹heute-show›» aufgerufen worden sei.

Beobachter berücksichtigt Betroffene nicht

Der Presserat rügt die Zeitschrift Beobachter, weil sie gestützt auf einen Insider als einzige Quelle schwere Vorwürfe gegen eine frühere Geschäftsführerin erhoben hatte. In einem derartigen Fall müssten Quellen überprüft und die Beschuldigte angehört werden.

Der Presserat hiess eine entsprechende Beschwerde gegen den Beobachter teilweise gut, wie er am Freitag mitteilte. Die Zeitschrift hatte im April zuerst online und dann in der gedruckten Ausgabe behauptet, das Berner Heimatwerk sei in Schieflage geraten, weil eine ehemalige Geschäftsführerin Geld hinterzogen habe. Daraus hätten elf Entlassungen und die Liquidation der Genossenschaft resultiert. Einzige Quelle ist ein Insider.

Das genügt nicht, befindet der Presserat. Der schwere Vorwurf hätte eine Anhörung nötig gemacht, auch wenn die Beschuldigte für ein breites Publikum nicht unmittelbar identifizierbar war.

Zudem habe die Frau den Beobachter nach der ersten Publikation darauf aufmerksam gemacht, dass die hinterzogene Summe – wenn überhaupt eine Hinterziehung vorlag – keine Ladenschliessung zur Folge gehabt hätte und die angebliche Liquidation gar nicht stattgefunden hatte.

Das hätte die Redaktion vor der Druck-Publikation überprüfen müssen. Damit habe die Redaktion den Journalistenkodex hinsichtlich Wahrheitssuche, Quellenarbeit und Anhörungspflicht verletzt.

Basler Zeitung wegen ungenügender Gegenposition gerügt

Der Presserat rügt die Basler Zeitung, weil sie in einem Artikel über Konflikte in der Gewerkschaft Unia die angeschuldigte Gewerkschaftszentrale in ungenügendem Ausmass zu Wort kommen liess. Moniert werden zudem unexakte Formulierungen, welche die Unia in ein allzu schlechtes Licht rücken.

Der Presserat hiess eine Beschwerde der Unia teilweise gut, wie er am Freitag mitteilte. Die Basler Zeitung hatte am 9. April 2019 anhand eines Konflikts zwischen der Gewerkschaftszentrale und der Sektion Berner Oberland über andauernde Streitigkeiten der Zentrale mit der Basis berichtet. Die Gegenposition der Unia sei einzig im Schlusssatz und auch dort nur ansatzweise wiedergegeben worden.

Dies sei «eindeutig ungenügend», schreibt der Presserat. Auch anwaltschaftlicher Journalismus befreie die Berichterstatter nicht von der Pflicht, eine Stellungnahme einzuholen – zumal Vorwürfe vorgebracht worden seien, welche die Reputation der Gewerkschaft als Organisation, die sich für Arbeitnehmer einsetze, verletzt hätten.

Die Angabe der Zeitung, dass dem Artikel in der Online-Fassung ein Interview mit der Unia-Präsidentin beigestellt gewesen sei, dieses Gespräch in der Print-Ausgabe aber wegen eines Fehlers in der Produktion nicht erschienen sei, ändere nichts an diesem Sachverhalt, schreibt der Presserat. Die Basler Zeitung habe damit gegen die Richtlinie der «Anhörung» in der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen.

Des Weiteren moniert der Rat eine missverständliche Formulierung im besagten Artikel. So könne die Erwähnung, dass es zu «Sexaffären» im Plural gekommen sei, nicht belegt werden. Als Beleg diene nur ein einziger Fall. Hier habe die Basler Zeitung den Journalistenkodex der «Wahrheit» verletzt. (sda/cbe)



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