09.11.2001

"Bevor der Hebel angesetzt werden kann, müssen die Schwachstellen analysiert werden"

Die Kosten im Griff zu haben, Effizienzsteigerung und Optimierung betriebsinterner Abläufe sowie die Überprüfung von Investments und strategischen Positionen gehören zu den permanenten Aufgaben des Managements. Zu diesem Zweck startet Tamedia das Projekt "Focus" mit dem Ziel einer Ergebnisverbesserung von mindestens 20 bis 30 Millionen Franken jährlich gemessen am Kostenplan 2001. Jürg Brauchli (Bild), stellvertretender Vorsitzender der Konzernleitung sowie Projektausschussleiter "Focus", erklärt, wie Tamedia den Mitteleinsatz optimieren will. Das Interview:
"Bevor der Hebel angesetzt werden kann, müssen die Schwachstellen analysiert werden"

Hat sich die Ausgangslage für Tamedia und "Focus" nach dem immer noch unfassbaren Attentat in den USA vom 11. September verschärft?

Mit Sicherheit. Schon vor dem 11. September wusste die Konzernleitung von Tamedia, dass das Unternehmen ein hartes nächstes Jahr vor sich hat. Nach dem Anschlag in den USA ist es nun Gewissheit, dass wir vor einer gesamtwirtschaftlich schwierigen Situation stehen, die für unser Haus massive Konsequenzen mit einschneidenden Massnahmen haben wird. Das Swissair-Debakel hat die Situation zusätzlich verschärft. Es ist davon auszugehen, dass die Redimensionierung grössere personelle Konsequenzen zur Folge haben wird, was sich unter anderem auch auf unser Stellengeschäft auswirken kann. Insofern braucht es ein Programm wie "Focus" mehr denn je.

Nach den letzten Reorganisationswellen wie "Impuls" und "Reform" jetzt also "Focus". Schon der Name impliziert, dass man dabei etwas genauer unter die Lupe nehmen will. Worum geht es?

"Focus" ruht auf drei Säulen: 1. Kostensenkung und Effizienzsteigerung, 2. Überprüfung und Optimierung von Organisation und Abläufen und 3. Überprüfung von strategischen Positionen und Beteiligungen. Im Brennpunkt stehen natürlich vor allem die Kosten. Bevor aber der Hebel angesetzt werden kann, müssen die Schwachstellen analysiert werden: Wo sind Einsparungen möglich, sind die Mittel richtig eingesetzt? Wie ich das bereits am Kadermeeting gesagt habe: "Wo können wir mit jedem Franken, den wir einsetzen, wieder mehr Wirkung erzielen?" Eines möchte ich klarstellen: Es ist nicht so, dass wir unsere Mittel bisher verschleudert hätten. Aber mit Sicherheit wurden diese in letzter Zeit nicht überall optimal eingesetzt.

Wie hat sich – abgesehen von der Wirtschaftslage – das Umfeld für Tamedia verändert?

Noch vor wenigen Jahren behielten einmal getroffene Entscheide und Lösungen oft jahrelang ihre Gültigkeit. Die Geschäftsprozesse waren klar, veränderten sich nur marginal und wurden primär durch die konjunkturellen Zyklen beeinflusst. Heute finden wir eine ganz andere Dynamik vor. Dies zwingt auch Unternehmen wie Tamedia mit hohem Tempo und in kürzeren Abständen Veränderungen vorzunehmen. Insofern ist die Tatsache, dass Tamedia mit dem Projekt "Focus" durchleuchtet wird, nichts Negatives. Es bedeutet auch nicht, dass unserem Unternehmen das Wasser bis zum Hals steht. Alle Abläufe müssen heute immer schneller und öfter hinterfragt werden. Was hat sich im Markt verändert, sind unsere Produkte und Angebote bedürfnis- und marktkonform, nutzen wir die richtige Technologie? Seit der letzten umfassenden Analyse sind wir mit zwei Gratiszeitungen konfrontiert, der Optimismus im Online-Geschäft hat sich verflüchtigt, das Verhalten der Leserschaft hat sich – auch unter dem Einfluss des Internets – verändert und eine neue Zeitung am Sonntag ist angesagt. Ob uns das passt oder nicht: Dies, und noch viel mehr, sind Faktoren, die unser Geschäft verändern und beeinflussen, und wir müssen uns darauf einstellen.

Tamedia soll wieder fit gemacht werden?

Um an der Spitze zu bleiben ist Fitness angesagt. Doch selbst in Zeiten der Hochkonjunktur, auch ohne die heute drohende Rezession, wäre es an der Zeit gewesen, sich die aufgeworfenen Fragen zu stellen und liebgewonnene Gewohnheiten zu hinterfragen. Denn sehen Sie: Es ist nun mal eine Tatsache, dass man über sehr erfolgreiche Jahre hinweg die Tendenz hat, Fett anzusetzen, und eine gewisse Bequemlichkeit und Sättigung eintritt. Und an diese Fettpölsterchen werden wir uns jetzt heranwagen. Ich erwarte aber von "Focus" nicht nur eine Entschlackungskur, sondern auch neue Ansätze für Veränderungen und Neuausrichtungen – Hinweise auf neue Geschäftsfelder und zusätzliche Einnahmenquellen.

Es ist also kein Entscheid aus der Not, weil Tamedia die Felle davonschwimmen?

Nein, nicht nur – auch wenn die Konjunkturzeichen für die kommende Zeit nicht gerade positiv sind.

Wie läuft das Projekt konkret ab?

Zunächst wurden die kritischen Gebiete definiert, in denen ein Handlungsbedarf besteht, bzw. bisher ungenutztes Potenzial vermutet wird. Das betrifft das ganze Unternehmen.

Die Problemzonen also?

Nicht einfach Problemzonen, sondern Zonen in denen wir Potenzial sehen, oder die aufgrund der veränderten Verhältnisse neu beurteilt werden müssen. Diese wurden im Vorfeld lokalisiert. Dann haben wir für diese ein potenzielles Verbesserungsziel definiert. Bei einem solchen Projekt ist es wichtig, Ziele zu setzen, die verbindlich sind. Dabei können sich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aktiv beteiligen, Ideen und Vorschläge einbringen und so zum Gelingen des Projektes beitragen.

Können Sie uns Zahlen nennen?

Insgesamt glauben wir, dass über alle Massnahmen hinweg eine Ergebnisverbesserung von 20 bis 30 Millionen Franken gegenüber dem Plan 2001 realistisch erscheint. Es ist aber nicht unser Ziel und Vorgehen, einfach mit dem "Rasenmäher" alles linear zurückzustutzen. Wir werden jeden definierten Bereich analysieren und differenzierte Massnahmen durchführen.

Sie haben gesagt, wichtig seien nicht nur Sparmassnahmen, sondern auch die Überprüfung strategischer Positionen.

Dies ist korrekt. Nehmen Sie das Beispiel Winner. Die Winner-Gruppe wurde, in Erwartung einer schnellen Marktentwicklung im Online-Rubrikengeschäft und auch entsprechend grosser Umsätze, mit viel Geld aufgebaut. In der Zwischenzeit mussten wir leider feststellen, dass weltweit eine Abkühlung im E-Business stattgefunden hat und sich diese Märkte nicht so schnell wie erwartet entwickelt haben. Zudem müssen wir annehmen, dass es gescheiter wäre, dieses Geschäft in Zukunft nicht isoliert, sondern in engem Zusammenhang mit dem klassischen Print-Rubrikengeschäft zu betrachten und zu betreiben und so von natürlichen Synergien zu profitieren. Auch bei den Online-Plattformen der einzelnen Titel wissen wir heute, mit welchen Erträgen wir realistischerweise in den nächsten Jahren rechnen können, und welche Dienste überhaupt genutzt werden und welche nicht. Aus diesen Erkenntnissen sind die richtigen Schlüsse zu ziehen und Entscheide zu fällen.

War das Abenteuer Winner ein Flop?

Jein. Das "Abenteuer Winner" ist im Grunde genommen eine Erfolgsstory, wenn man sich vergegenwärtigt, wie schnell die Mitarbeiter es geschafft haben, die Plattformen, das Know-how und die Marke aufzubauen. Wenn man allerdings nur die Umsätze betrachtet, muss man zugeben, dass wir die ehrgeizigen Ziele nicht erreicht haben. Wir sind von der Tatsache überrascht worden, dass sich das E-Business umsatzmässig weitaus langsamer entwickelt hat als bei Gründung von Winner im Jahr 1999 erwartet. Aber da sind wir beileibe nicht die Einzigen die mit dieser Erfahrung konfrontiert sind.

Ein teurer "Lehrblätz"...

Finanziell betrachtet sicher, aber wir haben daraus gelernt und sind bereit, die notwendigen Schlüsse zu ziehen.

Wenn ein solches Projekt wie "Focus" lanciert wird, sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter logischerweise verunsichert und fragen sich, wieweit ihre Arbeitsplätze gefährdet sind.

Dies ist sehr verständlich, aber auch in einem gewissen Mass unausweichlich. Wirtschaftlich schlechtere Zeiten aber auch Veränderungen werden selten als angenehm empfunden und verursachen eher Verunsicherung. Wir werden uns aber bemühen, sehr transparent und regelmässig zu kommunizieren und zu orientieren, sodass unsere Mitarbeiter stets über den Stand der Dinge informiert sind.

Welche Unternehmensbereiche werden konkret untersucht?

Innerhalb des Stammhauses ist kein Bereich ausgenommen. Bei den Tochtergesellschaften wird man sich Überlegungen zur strategischen Positionierung machen, ob sie noch ins Portfolio von Tamedia passen oder nicht und wo allenfalls Synergien genutzt werden können, um den Markt noch besser zu erschliessen.

Wann ist das Projekt abgeschlossen und wie wird über die Ergebnisse berichtet?

Der Zeithorizont beträgt bei einem Projekt dieser Grössenordnung 18 bis 24 Monate, wobei wir nun aufgrund der sich abzeichnenden wirtschaftlichen Entwicklung schneller als geplant Massnahmen einleiten werden. Über die Resultate wird die Konzernleitung laufend berichten.



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