Herr Bandle, Sie haben in der SonntagsZeitung über die erste Badereise nach Italien nach Öffnung der Grenzen berichtet. Wie waren die Reaktionen?
Mehrheitlich positiv. Die Geschichte ist als klassischer Roadtrip ausgelegt: Nach drei Monaten Grenzschliessung ist der Weg ans Mittelmeer plötzlich wieder frei – wenn auch gegen den Willen des Bundesrats. Also haben wir die erste Gelegenheit gepackt, um an den nächstgelegenen Badeort zu fahren. Fotograf Joseph Khakshouri war von der Idee begeistert, ohne ihn wäre die Reise nicht möglich gewesen. Er ist am Strand von Arenzano sogar mit Kamera und Blitz ins Wasser gestiegen...
Gab es auch negative Stimmen, die Ihre Reise als pietätlos empfanden?
Klar. Der Bundesrat hat während der Corona-Krise so etwas wie Heiligenstatus erlangt. Dass es viele Leute nicht lustig finden, wenn man nach Italien fährt, obschon Karin Keller-Sutter nach der einseitigen Grenzöffnung Italiens deutlich gesagt hat, «Die Schweiz rät von einer Reise nach Italien ab», war vorauszusehen. Es gab natürlich auch Leute, die den bübisch-verspielten Ansatz – «Wir wollen als erste internationale Touristen in Italien ins Meer springen» – deplatziert fanden. Damit kann ich leben. Erstaunlicherweise hat die Geschichte auch online sehr gut funktioniert. Sie gehörte am Sonntag zu den meistangeklickten Geschichten auf tagesanzeiger.ch. Ich dachte eigentlich, eine solch bildstarke Reportage sei eher für den Print geeignet, wo Text und Bild auf zwei ganzen Zeitungsseiten gestaltet werden konnte.
Welches Empfinden hatten Sie, als Sie die Grenze bei Chiasso überquerten?
Reist man privat, so hofft man auf möglichst wenig Probleme. Für eine Reportage wäre es nicht schlecht gewesen, wenn es an der Grenze zu Komplikationen gekommen wäre. Ist es aber nicht. Weder bei der Hin- noch bei der Rückreise. Wir konnten einfach durchfahren.
Sommerferien stehen an. Glauben Sie, dass Italien für die neue Normalität bereit ist?
Das Land tut alles dafür. Man ist auf die Touristen angewiesen und möchte ihnen unbedingt ein Gefühl der Sicherheit geben. Die Massnahmen sind viel strikter als bei uns. Die Mehrheit der Menschen trägt auch draussen eine Maske, obschon dies nur in Innenräumen, also zum Beispiel in Läden und öffentlichen Verkehrsmitteln obligatorisch wäre. Das Problem: Dadurch wird man auf Schritt und Tritt daran erinnert, dass man sich in einem Seuchengebiet befindet, dass noch immer Ausnahmezustand herrscht. Entspannte Ferien stellt man sich anders vor.
Wie ist die Stimmung? Haben Sie viele Begegnungen mit den Bewohnern oder sassen Sie vor allem Auto?
Wir haben mit einigen Leuten gesprochen, im Restaurant, an der Strandpromenade oder im Hotel. Die Menschen empfand ich als noch gastfreundlicher als sonst. Sie haben sich enorm gefreut, dass da erste Leute aus dem Ausland kommen. Für sie bedeutet dies ein wichtiger Schritt zur Rückkehr in die Normalität. Man darf nicht vergessen: Italien registrierte bisher rund 35'000 Corona-Tote, die Leute durften lange Zeit ihre Wohnungen kaum verlassen, es war furchtbar. Im Vergleich dazu war die Situation bei uns in der Deutschschweiz harmlos.
Wie war das erste Bad im Meer?
Grossartig. Der Sprung ins Meer ist eine grosse Freude. Erst recht, wenn man weiss, dass dies zuvor verboten war. Auch für die Einheimischen waren die Strände bis zu jenem Tag gesperrt gewesen.
Wohin verreisen Sie selbst mit Ihrer Familie während des Sommers? In eine südliche Destination?
Wir wollten meinen Bruder besuchen, der mit seiner Familie in Mexiko lebt. Die Tickets haben wir schon vor der Corona-Krise gekauft. Ob wir Ende Juli fliegen können bzw. wollen, ist noch unklar. Ansonsten bleiben wir in der Schweiz, wie schon in den vergangenen Jahren. Das Mittelmeer ist normalerweise für uns eher eine Herbstdestination, wenn es weniger Leute hat und es nicht mehr so heiss ist.
Wie haben Sie als Journalist den ganzen Lockdown erlebt?
Ausnahmesituationen sind natürlich spannende Zeite für Journalisten. Irgendwann haben mich die immergleichen Themen aber zu langweilen begonnen. Es war ja nichts anderes los als Corona, und persönliche Begegnungen – etwas vom wichtigsten in unserem Beruf – waren nur eingeschränkt möglich. Was mir zu denken gegeben hat: Wie viele Journalistenkollegen sich eine Ausgangsperre wie in Italien oder Spanien herbeiwünschten. Und wie gerne sie vorwurfsvoll mit dem Finger auf alle zeigten, die sich nicht zu hundert Prozent an die Vorgaben des Bundesrats hielten. Als ob da eine gewisse Sehnsucht nach chinesischer Verhältnissen vorhanden wäre, wo man die Leute steuern und in Schranken weisen kann.
Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com jeden Tag eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier.
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09.06.2020 12:47 Uhr
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