22.01.2001

"Das Mediensystem wird selbst zum Akteur"

Der Soziologieprofessor und Leiter des Forschungsbereichs Öffentlichkeit und Gesellschaft an der Universität Zürich, Kurt Imhof (Bild), ist sich sicher, dass der Wirtschaft noch einige Medienskandale bevorstehen. Im Interview nimmt er Stellung zu Stichwörtern wie Medialisierung, politische PR, Telegenität und die Macht der Massenmedien - und wirft neue Fragen auf.
"Das Mediensystem wird selbst zum Akteur"

Herr Imhof, das Seminar, das Sie in diesem Semester an der Universität Zürich halten, heisst "Medialisierungseffekte in Parteien, Verbänden und Unternehmen". Was verstehen Sie unter Medialisierung?

Man kann dieses Phänomen als Anpassung der Organisation anderer gesellschaftlicher Teilsysteme an die Logik des Mediensystems beschreiben. Der Begriff Medialisierung ist im Zuge eines Strukturwandels der Öffentlichkeit sinnvoll geworden: Das Mediensystem wird gegenüber anderen Teilsystemen mehr und mehr autonom und selbst zum Akteur.

Politische Information erreicht den Bürger heute praktisch nur durch die Massenmedien. Sie entscheiden, wer Aufmerksamkeit erhält. Was hat das Ihrer Meinung nach für einen Einfluss auf die Art, wie Politik öffentlich dargestellt wird?

Ein eigenständiges Mediensystem entwickelt auch eine eigene Selektions- und Informationslogiken. Andere Systeme, etwa das politische oder ökonomische, sind also gezwungen, sich der Logik des Mediensystems anzupassen; die Nachrichtenwerte - wie etwa die Personalisierung - müssen erfüllt werden, wenn über die Medien Resonanz erzeugt werden soll.

Welchen Einfluss hat dabei die politische PR, die dank professionellen Beratern Inhalte, Form und Bild der öffentlichen Politik mitbestimmt?

Die Anpassung an das Mediensystem kann bewirken, dass die Medien selbst instrumentalisiert werden. Das ist eine zentrale Aufgabe der PR: Die Input-Bedingungen der Medien zu erfüllen, so dass die Interpretationslogik der Medien für eigene Zwecke genutzt werden kann.

In Europa verzeichnen Rechtspopulisten beachtliche Erfolge. Hat das Ihrer Meinung nach auch mit der Art der Parteikommunikation zu tun?

Unbedingt. Die Ablösung der Parteimedien hat eine Erosion der Parteimilieus nach sich gezogen. Wurde man früher in ein Wählersegment hineingeboren, sind heute die Bürger in ihrer politischen Präferenz mobil. Medien müssen nun komplexe Politik verständlich machen und es so erlauben, demokratischen Pflichten nachzukommen. Erleichtert werden politische Entscheidungen dann durch Personalisierung, und so sehen wir vermehrt Populisten in der Politik; Personen und Schlagworte rücken in den Vordergrund.

Ist das eine Gefahr für den rationalen politischen Diskurs?

Sicher. Da sich die Medien auf charismatische Führungspersönlichkeiten konzentrieren, wird die Berechenbarkeit der politischen Entwicklung kleiner. Dieser Umstand ist der Stabilität abträglich, wie jüngst das Beispiel Österreich gezeigt hat.

Neil Postman schrieb einmal, Abraham Lincoln könnte mit seinem Aussehen heute nie Präsident der USA werden. Wir haben mit dem amerikanischen Wahlkampf letztes Jahr eine gigantische politische Medienshow erlebt. Wie wichtig ist Telegenität heute im Verhältnis zur politischen Kompetenz?

Das ist schwierig abzuschätzen. Schon vor der Wahl von Ronald Reagan wurde darüber diskutiert. Man zweifelte an der politischen Erfahrung und Intelligenz, attestierte ihm aber durchaus hervorragende kommunikative Fähigkeiten und ein selbstbewusstes Auftreten. Man kann heute sagen, dass der klassische Parteifunktionär, der nach innen integrieren und nach aussen nur verlautbaren will, ausgestorben ist. Parteien müssen heute Führungspersönlichkeiten auswählen, die hohe Medienresonanz nach sich ziehen. Die Chance, dass Egozentriker darunter sind, ist entsprechend hoch. In der Schweiz ergeben sich darüber hinaus Probleme für das Konkordanz- und Kollegialitätsprinzip. Beides beruht bekanntlich auf Kompromissfähigkeit.

Neben politscher wird Wirtschaftsinformation heute einem breiten Publikum angeboten. Welche Konsequenzen hat diese Entwicklung?

Diese Problematik ist hoch interessant. Das demokratische politische System folgt den Normen der Transparenz und hat entsprechende Mechanismen ausgebildet, um mit den daraus resultierenden Problemen umzugehen. Wir beobachten nun eine Angleichung des Wirtschaftsjournalismus an den politischen Journalismus, sowohl in der Berichterstattung wie in den Recherchemethoden. Das ökonomische System ist im Kern aber nicht darauf ausgelegt, mit einer kritischen Medienberichterstattung umzugehen, sondern an eine Art "Verlautbarungsjournalismus" gewöhnt. Das Wirtschaftssystem wird durch diese Entwicklung teilweise regelrecht überrannt, was die vermehrte Nutzung von PR-Kompetenz zeigt. Medialisierungseffekte werden hier schwerwiegendere Folgen haben als im politischen System, das auf die permanente Beschaffung von Legitimation spezialisiert ist. Dieser Legitimationsdruck ist im Kern politisch. Ich denke, dass der Wirtschaft in der Zeit der Anpassung noch einige Skandale bevor stehen.

Alles spricht vom Informationszeitalter. Menschen suchen sich die Informationen, die sie brauchen oder die sie interessieren. Wie wird in Zukunft die politische Information den Bürger erreichen, und kann der Pluralismus noch garantiert werden?

Empirisch lässt sich feststellen, das sich das Mediensystem in einzelne Medien-Arenen gliedert, die selbst wiederum in Leit- und Folgemedien unterteilt sind. Die Massenmedien sind heute für die Willensbildung immer noch entscheidend. Individualmedien und Mischformen wie das Internet werden sekundär genutzt, um sich in Themen zu vertiefen.



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