23.04.2003

"Der Blick-Leser ist nicht so dumm, wie gewisse Journalisten immer meinen"

Am 12. Mai erscheint der Blick erstmals im neuen Kleid. Zur Zeit wird an der Dufourstrasse 23 heftig am künftigen Layout der grössten Schweizer Zeitung gefeilt. "persoenlich.com" wollte von Bernhard Weissberg (Bild), Leiter Konzernbereich Zeitungen bei Ringier, wissen, wie sich althergebrachter von modernem Boulevard unterscheidet, warum er glaubt, den Blick-Lesern auch längere Hintergrundtexte zumuten zu können und wie er sich auf die neuen Besitzverhältnisse bei 20 Minuten einrichtet. Das Interview:
"Der Blick-Leser ist nicht so dumm, wie gewisse Journalisten immer meinen"

Der Blick war jahrelang das Flaggschiff Ringiers. Trotz laufender Konzeptanpassungen ist die Auflage nun erstmals unter 300'000 Exemplare gefallen. Warum soll ein Relaunch das Ruder herumwerfen können?

Der Blick ist noch immer das Flaggschiff, und es geht auch nicht darum, das Ruder herumzuwerfen! Der Blick hat in den letzten vier Jahren unter Jürg Lehmann eine inhaltliche Entwicklung erfahren, die jetzt von Werner De Schepper weitergeführt wird. Was hingegen nicht mitgehalten hat, ist die eigentliche Blattchoreographie. Hier wollen wir den Hebel ansetzen, um dem Blick die Form zu geben, die einer modernen Volkszeitung, als was ich den Blick definiere, gebührt. Jede Zeitung muss sich immer wieder neu überprüfen, und ich denke, dass wir die Leistungen und den Wert des Blicks in den letzten paar Jahren optisch unter Wert verkauft haben.

Chefredaktor Werner De Schepper hat "mehr gesellschaftliche Relevanz" versprochen. Können Sie das ausdeutschen?

Das althergebrachte Boulevardkonzept hat vor allem auf Themen wie Unfälle, Verbrechen, Sex gesetzt. Moderner Boulevard schränkt sich im Gegensatz dazu thematisch nicht ein, sondern behandelt alle gesellschaftlich relevanten Themen, inklusive Wirtschaft und Politik. Vor vier, fünf Jahren haben wir -- damals noch unter meine Leitung beim SonntagsBlick -- begonnen, verstärkt auf wirtschaftlich und politisch relevante Themen zu setzen, der Blick hat damit nachgezogen. Dabei haben wir ein bisschen vergessen, dass die Kernkompetenz einer Boulevardzeitung auch auf dem Gesellschaftlichen liegt. Diese drei Pfeiler -- Wirtschaft, Politik und Gesellschaft -- müssen gleich stark gewichtet werden, und darauf soll der "neue" Blick fussen. Plus natürlich dem Sport, wo Blick und SoBli aber traditionell schon immer stark waren.

Unfälle, Verbrechen, Sex -- wenn Sie den Boulevard seiner Skandale berauben, wen soll der Blick dann noch interessieren?

Falsch, wir wollen diese sogenannten "Skandale" auch weiterhin im Blatt, aber auf eine moderne Art, die sowohl unterhält als auch informiert. Mit der Auflistung der schlimmsten Unfälle kann man heute keine Zeitung mehr aufbauen. Man kann solche Themen aber im gesellschaftlichen Rahmen behandeln, zur Diskussion anregen, im besten Falle etwas bewegen.

Die klassische Boulevard-Zeitung ist also nicht mehr zeitgemäss?

Zu dem Schluss sind wir schon lange gekommen. Die Art von Boulevard, die der Blick bei seinem Start vor 40 Jahren gemacht hat, ist heute längst überholt. Ein Boulevard-Titel hat sich an der Gesellschaft zu orientieren, an die er sich richtet.

Der Blick setzt in letzter Zeit verstärkt auch auf Hintergründe, so zum Bespiel zum Irak-Krieg. Überschätzen Sie damit nicht die Bedürfnisse Ihrer Leser?

Der Blick-Leser ist nicht so dumm, wie gewisse Journalisten immer meinen. Moderner Boulevard lebt von kleinen Texten wie auch von grossen. Und wenn diese gut geschrieben sind, dann dürfen sie auch ruhig einmal über eine Doppelseite laufen -- und werden trotzdem oder erst recht gelesen. Unsere Welt, die Welt unserer Leser, ist unheimlich kompliziert geworden, und es ist schon lange nicht mehr alles schwarz und weiss. Wir müssen selbst als Boulevardzeitungs-Macher differenziert berichten, auch wenn das manchmal ein paar Zeilen mehr braucht. Der Blick will den Leser informieren, für ihn einen Nutzwert generieren -- und das heisst nicht nur, ihm zu erzählen, was gerade Mode ist. Er soll verstehen können, was in der Welt geschieht.

Mit Kurt-Emil Merki wird ein profilierter Medienjournalist Chef des aufgewerteten Ressorts "Gesellschaft", einem klassischen Frauen-Ressort. Was erhoffen Sie sich von ihm?

Kurt-Emil Merki ist nicht nur ein ausgewiesener Medienfachmann, sondern hat Affinität zu verschiedenen Bereichen. So interessiert er sich zum Bespiel auch für Volkmusik (lacht). Ich will damit sagen, dass ein Gesellschaftsleiter heute ruhig einen anderen Background haben darf. Der Typ Prominenz, der in typischen Gesellschaftszeitungen wie der Schweizer Illustrierten vorkam, hat sich gewandelt -- auch in der SI! Dieser Wandel betrifft natürlich auch den Blick. Nichts gegen Nella Martinetti, aber "alte" Promis wie sie erhalten heute viel weniger Präsenz in den Printtiteln. Heute sind überraschende, moderne, offene Personen gefragt, und da ist ein anderer Blickwinkel von Seiten der Journalisten sicherlich von Nutzen.

Moderner und offener soll auch das Layout werden. Mit wem arbeiten Sie zusammen...?

Wir haben Medien-Designer Kurt Schwerzmann zu Rate gezogen.

...und was wird sich konkret ändern?

Boulevard lebt wie bereits gesagt von gross und klein. Ich sage jedoch immer, dass man erst Ordnung schaffen muss, bevor man Unordnung schaffen kann. Hier muss der Hebel angesetzt werden, damit wir den Leser künftig noch besser führen können. Der "neue" Blick wird moderner daherkommen, strukturierter, wobei wir jedoch weiterhin auf starke Bilder setzen. Eingeführt werden sollen drei zusätzliche Farbtöne, wobei Blau für "Kommentar" stehen wird. Hingegen wird es weniger Schwarz geben. Der Blick wird im übrigen weiterhin im Berlinerformat erscheinen: Damit wollen wir -- im Gegensatz zu 20 Minuten -- Grösse und Grosszügigkeit betonen können. Auf einen kurzen Nenner gebracht, soll das neue Layout optisch untermauern, was unsere Zeitung -- schon jetzt -- an Themenreichtum bietet. Es soll unsere Stärken betonen, schliesslich besteht der Blick ja nicht nur aus ein paar Reissergeschichten.

Durch die Übernahmen von 20 Minuten durch Tamedia und Espace Media werden die Karten neu verteilt. Geht es dem Blick jetzt schweizweit an den Kragen?

Bis jetzt hat 20 Minuten ja vor allem den Regionalzeitungen geschadet, nicht primär dem Blick. Abgesehen davon ist der Blick noch immer die grösste Zeitung der Schweiz. Natürlich nehmen wir die Entwicklung hin zur Gratiszeitung ernst. Handkehrum können wir unsere Strategie nicht nur auf einen potentiellen Konkurrenten ausrichten. Viel schwerwiegender ist zum Beispiel die Tatsache, dass generell weniger gelesen wird. Das muss unser Ausgangspunkt sein.

Herr Weissberg, Sport ist nicht eben Ihre Kernkompetenz. Dennoch sind Sie seit Monaten Interim-Sportchef von Blick und SoBli. Wie bringen Sie das mit Ihrer eigentlichen Funktion als Leiter Konzernbereich Zeitungen unter einen Hut?

Nun, das ist alles eine Frage der Organisation und von guten Mitarbeitern. Nachdem es auf unserer Sportredaktion so viele Wechsel gegeben hat, muss es nun oberstes Ziel sein, eine Lösung zu finden, die für die nächsten paar Jahre funktioniert. Und wenn Sport auch nicht meine Kernkompetenz ist, bringe ich nach 20 Jahren im Medienbereich doch wohl genug journalistische und führungsmässige Kompentenz mit, die es mir erlaubt, den Sportteil zu leiten.


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