12.12.2013

Alessandro Della Bella

Der Sternenflüsterer

Sein Tag ist die Nacht. Wenn in den Städten die Lichter erlöschen, zieht Alessandro Della Bella aus, um die Geheimnisse der Dunkelheit einzufangen. Seine Zeitraffer-Filme und der neue Bildband "Helvetia by Night" beweisen, dass ihn Lichtspektakel und Landschaften fast schon magisch anziehen. Im Interview mit "persönlich" spricht der Fotograf über diesen Zauber, "Cordon bleu" statt Gordon Brown und über "dumme Redaktoren, die rein gar nichts überlegen".
Alessandro Della Bella: Der Sternenflüsterer

Herr Della Bella, auch wenn Sie einigen Geheimnissen der Nacht auf die Spur kamen: Was bleibt für Sie weiterhin magisch?

Ein Ufo habe ich bisher noch keines gesehen (lacht)! Trotzdem ist jede Nacht magisch. Anfangs wagte ich mich nur bei stabilen Wetterlagen ganz ohne Wolken hinaus. Erst mit der Zeit habe ich die launische, unberechenbare Seite der Natur entdeckt. Nächte, in denen man vielleicht im dicksten Nebel endet und dann möglicherweise gar nichts mehr sieht, finde ich mittlerweile die spannendsten.

Wann erlebten Sie eine Sternstunde?
Die grösste Überraschung erlebte ich zu Hause am Computer beim Editieren der Fotos, als ich in einer Bildstrecke einen riesigen Feuerball entdeckte. Ich traute meinen Augen nicht. So grosse Sternschnuppen sind selten und hinterlassen während rund zwanzig Minuten eine Art leuchtenden "Kondensstreifen", die sogenannte "Nachleuchtspur", am Himmel. Das musste ich erst googeln. Leider habe ich das Phänomen nicht mit eigenen Augen gesehen – ich liess die Kameras stehen und war unterdessen bei meinen Eltern zum Nachtessen.

Während Ihrer Zeit beim "Tages-Anzeiger" und als Agenturfotograf bei Keystone gerieten Sie oftmals in den Kreis der Reichen und Mächtigen. Erinnern Sie sich an einen besonders glamourösen Moment?
An einen glamourösen Moment? "Glamour» ist nicht so mein Ding. Aber ein anderes, sehr eindrückliches Erlebnis blieb mir in Erinnerung, nämlich als mir der ehemalige Uno-Generalsekretär Kofi Annan das Leben rettete. Am Hauptsitz der Fifa auf dem Zürichberg wartete ich mit allen anderen Fotografen auf Kofi Annan und Sepp Blatter. Als die beiden dann endlich erschienen, kam Hektik auf. Plötzlich aber zog mich Annan unvermittelt zu sich heran, weil er mich vor einem vorbeifahrenden Auto retten wollte. Zwar bestand aus meiner Sicht überhaupt keine Gefahr. Dennoch ist der Gedanke witzig, dass sich ein so wichtiger Mensch um mein Wohl bemühte.

Sie erlaubten sich auch schon Scherze über die Mächtigen: Den britischen Ex-Premierminister Gordon Brown benannten Sie kurzerhand um in "Cordon bleu".
Bei einem Interviewtermin am Rande des WEF sollte ich Gordon Brown für die britische Zeitung "The Daily Telegraph" früh am Morgen in einem Hotelzimmer porträtieren. Entgegen der Abmachung mit den Journalisten wollte Brown nicht in meine Kamera schauen, setzte sich im Gegenlicht vor ein Fenster und ignorierte mich. Ich durfte das Interview eine knappe Minute lang fotografieren. Später, auf der Hauptbühne am WEF, hatte ich ihn noch einmal vor der Linse. Da ist dann leider ein etwas unvorteilhaftes Bild von ihm entstanden, auf dem er ein missmutiges Gesicht machte, das ich nicht aussortierte wie gewöhnlich. Ich schickte es über die Agentur. Als Bildunterschrift notierte ich statt Gordon Brown "Cordon bleu". Am nächsten Tag entdeckte ich das Bild auf der Frontseite der "NZZ am Sonntag". Doch in der Zeitung war die Bildunterschrift korrekt, denn Keystone realisierte rechtzeitig, dass ich mir einen Scherz erlaubt hatte. Solche Spässe kann man sich natürlich nicht zu oft leisten, deshalb blieb er eine Ausnahme. Nur bei der AFG-Arena in St. Gallen schrieb ich regelmässig "MFG-Arena" als Bildunterschrift.

Fotografen wurde lange 
eine unsichere Zukunft vorausgesagt:
 Filme würden Fotografien überflüssig machen, so die Prognose.
Ja, man erwartete, dass die Pressefotografie aussterben könnte, weil das HD-Fernsehen eine immer grössere Auflösung hat und man schliesslich Standbilder als Fotos verwenden würde. Doch anders als vermutet können die modernen Fotokameras heute in hervorragender Qualität Video aufzeichnen, was sich viele Fotografen angeeignet haben und so eher die Videojournalisten in Bedrängnis bringen.

Welche Entwicklungen machen
 den Fotografen Sorgen?

Onlinemedien musste man in Sachen Bildrechte und Bildverwendung richtiggehend erziehen. Ein Beispiel: Ich habe im Auftrag von Keystone Geistliche verschiedener Religionsgemeinschaften porträtiert. Dazu machte ich Termine etwa mit einem tibetischen Mönch, einem katholischen Pfarrer, einem Rabbi oder einem Imam. Dann, einen Tag nachdem ich die Bilder in die Internet-Datenbank geladen hatte, entdeckte ich das Foto mit dem Imam auf dem Tagi/Newsnet, darüber die Schlagzeile: "Hassprediger in der Schweiz". Das war eine Riesenkatastrophe für den Imam! Mir tat er sehr leid. Ich ärgerte mich über die dummen Redaktoren, die rein gar nichts überlegten. Sie verwendeten die Fotografie als Symbolbild und kennzeichneten sie nicht einmal korrekt! Die Porträts dieses Imams sind seither gesperrt.

Dass sich in der Nacht nicht filmen lässt, wohl aber fotografieren, kommt Della Bella zugute. Mystische Wetterspektakel und Himmelskörper, Pistenfahrzeuge, Gewitter oder die hereinbrechende Dunkelheit – mit dem technischen Kniff des Zeitraffers als Filme inszeniert erscheinen diese Phänomene noch verblüffender: Autos zeichnen flimmernde Lichterbahnen, genauso wie Flugzeuge oder verglühende Sterne feine, aber deutlich erkennbare Schweife hinterlassen. Sichtbar werden diese Naturerscheinungen in der Aneinanderreihung der Bilder, als musikalisch untermalte Kurzvideos:

Weitere Filme sind zu finden auf www.helvetiabynight.ch


Der Bildband "Helvetia by Night" mit einem Vorwort von Guido Magnaguagno und dem Making-of von Alessandro Della Bella ist Ende September im Verlag NZZ Libro erschienen.

 

Den vollständigen Text über den experimentierfreudigen Fotografen lesen Sie in der Dezember-Ausgabe des "persönlich"-Printmagazins.

Text: Edith Hollenstein, Bilder: Alessandro Della Bella


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