17.12.2012

NZZ

"Die Leute sind zusehends am Hyperventilieren"

"Es gibt die Tendenz, dass Dinge aufgeblasen werden, da muss einer mit der Nadel reinstechen." Die Rolle übernimmt Rainer Stadler, Medienjournalist der NZZ seit "Anno Domini", gleich selbst. Um ihn herum wird aufgebauscht, dramatisiert, werden Zeitungen tot geschrieben - er sitzt in seiner NZZ-Klause und sagt sich: "cool down, jetzt schauen wir die Sache mal etwas genauer an". persoenlich.com hat sich mit Stadler über Masochismus, Verleger als Gemischtwarenhändler, Twitter, ein Leistungsschutzrecht und die neue SRF-Homepage unterhalten. Das Interview:
NZZ: "Die Leute sind zusehends am Hyperventilieren"

Herr Stadler, gestern haben Sie Ihre Seite in den Druck geschickt. Es ist Dienstag, 10 Uhr morgens, wir sitzen in Ihrem NZZ-Kämmerchen. Wie ist die Gefühlslage nach Ihrem grossen Tag?

Sie ist wie jede Woche. Man hat wieder die Seite gestemmt. Das Geschäft geht weiter und mich plagt bereits die nächste Ausgabe. Die Entspannung dauert etwa eine Stunde.

Betrachtet man Ihre Arbeit bei der NZZ von aussen, so hat man das Gefühl, Sie geniessen noch die Arbeitsbedingungen, die viele Journalisten vermissen. Sie kaufen einen längeren Text ein, schreiben eine Kolumne und füllen eine sda-Meldung in gekürzter Form ab. Das ist Ihre Dienstagsseite. Ich stelle mir Ihre Arbeit sehr gemütlich vor.

(lacht) Sehr gut.

Einmal pro Woche einen Kommentar…

Ja, schön wär’s, schön wär‘s. Ich habe dieses Jahr um die 270 Artikel geschrieben. Ein wesentlicher Teil meiner Arbeit findet ausserhalb der Medienseite statt. Wenn ich nur diese hätte, wäre es gut zu managen. Auf meiner Seite hat es zudem selten sda-Meldungen, in der rechten Ecke, unterhalb der Kolumne ist meist ein kleiner Artikel von mir, in dem ich etwas Interessantes verwerte, das ich gefunden habe.

In Ihren Artikeln pflegen Sie zu Beschwichtigen im Stile von "Viel Lärm um nichts", "Sturm im Wasserglas" und "Fake-Diskussion". Ist das nicht eine bequeme Haltung, mit der Sie sich die Themen vom Leib halten?

Das ist meine Rolle. Es gibt die Tendenz, dass Dinge aufgeblasen werden, da muss einer mit der Nadel reinstechen.

Haben Sie sich diese Rolle selber gegeben?

Die ergab sich so. Zudem spielt da auch die NZZ-Prägung mit. Der Stil der Zeitung ist es zu sagen, "cool down, jetzt schauen wir die Sache mal etwas genauer an". Die Leute sind zusehends am Hyperventilieren. Die NZZ lancierte in den 90er Jahren einmal eine schöne Werbung: Einer bläst einen Ballon auf und dann kommt der NZZ-Bleistift und sticht hinein, sodass der Ballon platzt. Insofern vertrete ich eine klassische NZZ-Position.

Was sind zurzeit die wirklich relevanten Themen im Medienjournalismus?

Da gibt es viele. Eine Kernfrage ist sicher die Finanzierung der Medien. Wie viel Vielfalt kann sich die Schweiz auf rein marktwirtschaftlicher Basis leisten? Davon hängt wiederum ab, wie viel Hintergrundjournalismus möglich ist. Die andere Frage ist, was sich daraus ergibt: Haben Journalisten Bedingungen, die es ihnen erlauben, seriös zu arbeiten und adäquat über die Welt zu informieren? Das hat wiederum Folgen für den Diskurs einer demokratischen Gesellschaft. Ansonsten ist der technische Wandel natürlich ein Thema: Was passiert mit der Werbung, die einmal ein zentraler Bestandteil des Geschäftsmodells war? Verflüchtigt sich diese in Mikrowerbung auf Millionen von Websites? Mein Augenmerk gilt zudem der Privatsphäre und dem Datenschutz. Die Medien neigen dazu, die Privatsphäre zu verletzen. Durch die Boulevardisierung spitzt sich diese Tendenz noch zu.

Interessieren Sie sich als Zeitungsleser nicht auch instinktiv für Intimitäten und Privates?

Nein, persönlich interessiert mich das nicht. Ich lese im übrigen auch die Gratispresse, aber wirklich nur dann, wenn ich arbeite.

Ist das nicht gerade das Spannende am Medienjournalismus, dass Sie sich legitimiert durch Ihren Beruf ungehemmt den ganzen Medientrash reinziehen können?

Das ist mir jetzt zu masochistisch. Weil man einen Trieb hat, Klatsch zu lesen, macht man das Ganze zum Beruf? – das ist mir zu kompliziert. Ich halte die Medien einfach für eine spannende Branche, darum befasse ich mich mit ihr. Die Branche prägt das Bewusstsein einer Gesellschaft und spiegelt sie, das finde ich spannend. Schauen Sie sich "20 Minuten" an: Wie viel relevante News werden da dem Publikum noch mitgeteilt? Die Information ist sehr beschränkt. Bei den Auslandnews ist es sogar krass: Da geht es meist nur um Unfälle und Verbrechen. Bedenkt man, dass dieses Medium von so vielen Menschen benutzt wird, muss ich sagen: Das ist nicht gerade förderlich für den Diskurs in der Schweiz.

Ihre Kolumne ist ziemlich beherrscht, persönliche Angriffe sind eine Seltenheit.

Ich kann auch laut und schreierisch schreiben und mir so innerhalb der Journalistengemeinde Ehre holen. Aber ist das mein Ziel? Eigentlich nicht. Mein Interesse ist es, zu verstehen, wie die Welt funktioniert und das entsprechend zu bewerten. So entstehen naturgemäss eher Beurteilungen in Grautönen. Der Preis dafür ist vielleicht, dass einige Polterer denken, ich sei ein Langweiler.

Seit 1989 arbeiten Sie bei der NZZ. Sie haben mindestens eine dreiundzwanzigjährige Übersicht über das Unternehmen. Wo steht die NZZ bezüglich journalistische Qualität heute?

Ich würde sagen, unsere Vermittlungskompetenz ist besser geworden. Die NZZ ist heute sicher einfacher konsumierbar als noch vor 20 Jahren

Was hat sich noch verändert?

Wenn man genau hinschaut, merkt man schon, dass das Sparen seine Folgen hat. Man muss schneller arbeiten, da wächst die Gefahr, Fehler zu machen. Früher hatte man mehr Zeit, konnte man mehr Sorgfalt aufwenden. Aber ich habe Mühe, hier über das eigene Haus zu reden und eine konkretere Antwort zu geben. Ihre pauschale Frage hat mich etwas überrumpelt.

Sie stören sich ob dem masochistischen Drang von Branchenangehörigen, das Geschäft schlechtzureden, sagen: "eine Debatte über den Untergang der Presse ist überflüssig". Gleichzeitig schreiben Sie auch, die Presse habe noch keine weittragenden Antworten gefunden auf das "Wie weiter". Wie sollte die Presse selbst mit dieser Orientierungslosigkeit journalistisch umgehen?

Es ist unbestritten, dass die Presse einen gewaltigen Wandel meistern muss. Aber nach wie vor setzt sie etwa 2 Milliarden Franken mit Werbung um, und generiert zusätzlich 1,7 Milliarden Franken Einnahmen im Abobereich. Die gedruckte Branche ist gewichtig, das wird allzu oft ausgeblendet, wenn vom grossen Zeitungssterben die Rede ist. Es ist absurd, wegen zwei Fällen, der Financial Times Deutschland und der Frankfurter Rundschau, vom grossen Niedergang zu sprechen. Das Schicksal der Frankfurter Rundschau ist zudem noch gar nicht besiegelt, offenbar gibt es Interessenten. Ich störe mich daran, wenn Leute beerdigt werden, bevor sie gestorben sind. Das ist makaber. Mit den gedruckten Ausgaben hat man Einnahmechancen, an die man im digitalen Sektor nie herankommen wird. Die meisten digitalen Abenteuer sind durch die Einnahmen aus dem Printgeschäft finanziert, das darf man nicht vergessen. Kaum ein digitales Medienprodukt rentiert, darum ist es selbstmörderisch, mehr als notwendig schlecht über die eigene Presse-Branche zu schreiben. Ich plädiere nicht für Schönreden, sondern für eine realistische Sicht auf die Situation.

Wie stehen Sie zu einem Ausbau der Presseförderung?

Ich befürchte, dass das Verhältnis von Bürokratie und Ertrag bei all diesen Förderungsmodellen nicht stimmt.

Sie sind skeptisch.

Ja, zugleich finde ich es eine etwas enge Optik, wenn man denkt, nur der Staat könne die Unabhängigkeit der Medien einschränken. Da gibt es zahlreiche andere Faktoren, auch ökonomische. Wir stehen in einem schwierigen Kräfteverhältnis, der Staat ist da nur eine Komponente. Ich neige nicht zu ideologischem Absolutismus.

Albert P. Stäheli sagte in einem Interview mit persoenlich.com, die NZZ werde unter anderem auch in neue Geschäftsfelder investieren, um die rückläufigen Einnahmen zu kompensieren. Was halten Sie von der Entwicklung von Medienhäusern hinzu Gemischtwarenhändlern?

Wenn die klassischen Geschäftsmodelle nicht mehr so gut funktionieren, muss man nach neuen Lösungen suchen, wieso nicht? Es gibt immer Aspekte, die mit der redaktionellen Tätigkeit konfligieren können. Wir leben nicht im Kloster, es gibt immer Konflikte in dieser Welt. Nicht nur der Staat, auch interne Prozesse und Konzentrationsprozesse können die redaktionelle Freiheit gefährden. Man muss versuchen, eine Balance zu finden, und die Geschäftsfelder so gut es geht, zu trennen.

Haben die Schweizer Medienhäuser diese Trennung im Griff?

Bis jetzt sind es ja noch kleine Geschäfte. Am Weitesten geht sicher Ringier. Der Vorwurf, dass hier Redaktionelles und Kommerzielles vermischt wird, ist bereits ein Klassiker geworden. Man darf auch nicht übertreiben: Wenn Ringier den Unterhaltungsbereich auf kommerzieller Ebene bewirtschaftet, geht es nicht um die letzten Dinge. Es entstehen dabei keine Interferenzen mit dem politischen Prozess und den wichtigen Fragen der Demokratie. Es stellt sich damit weniger ein medienpolitisches als vielleicht ein kartellrechtliches Problem, wenn etwa ein Unternehmen Joe Cocker unter Vertrag hat und diesen gleichzeitig in ihrem redaktionellen Bereich pusht und dabei Konkurrenten totschweigt. Dass solche Nebengeschäfte das Ansehen eines Medienunternehmens nicht gerade steigern, ist auch klar.

Vor gut einem Jahr sagten Sie in einem Interview, Sie hätten immer noch Zweifel, was das Twittern anbelange. Mittlerweile machen Sie aber flott mit, haben über 900 Follower, sind eine Twitterautorität geworden. Hat sich Ihre Einstellung geändert?

Es ist praktisch. Man kann in einem Teilbereich der Öffentlichkeit die Sachen, die man schreibt, bekanntmachen und je nachdem kleine Interventionen starten. Es ist ein interessantes Selbstvermarktungsmedium. Weil es einem als Journalist ständig in den Fingern juckt, muss man aber aufpassen, dass man nicht unreflektiert irgend etwas abdrückt. Ich sage mir manchmal selbst: "Halt mal, ist es jetzt wirklich zwingend, dass ich das schreibe?" Meistens lautet die Antwort dann eher "nein", und ich lasse es sein. Ich will mich nicht auf die seltsamen Keilereien einlassen, die in diesem Medium stattfinden. Andererseits ist Twitter auch nützlich, weil ich Hinweise bekomme, die mir sonst entgangen wären. Ich schaue das aber sehr locker an, wenn ich etwas verpasse, so what. Die Nebenwirkungen sind, dass mich Twitter noch etwas nervöser macht und ablenkt.

Sie seien das Gegenteil einer "journalistischen Rampensau", heisst es in der Rede zum St. Galler Journalistenpreis. Ihr Twitter-Bild zeigt Sie mit Mikrophon, sozusagen als Moderator. Gab es einen Gesinnungswechsel?

Das Foto entstammt meines Wissens nicht einer Situation, in der ich Moderator war, sondern ich stand auf irgend einer Bühne und wurde zu irgend was befragt. Dass ich mich gewandelt habe...? Ja, sicher. Wenn etwas Neues kommt, stürze ich allerdings nicht gerade drauf los. Ich stelle erst skeptische Fragen und schaue, ob die Dinge etwas taugen. Ich eigne mir Neues eher defensiv an. Das ist so meine Art. Insofern bin ich keine Rampensau, ja.

2008 haben Sie den Zürcher Journalistenpreis für das "Gesamtwerk" erhalten. Da waren Sie noch nicht einmal fünfzig Jahre alt. Das tönt so nach "Das Ende ist nah". Hat Sie der Preis nicht ein bisschen befremdet?

Eine Frühform der Beerdigung? Ich wurde öfters gehänselt, ich sei für mein Lebenswerk geehrt worden, es ist aber das Gesamtwerk. Das ist ein Unterschied. Am Gesamtwerk kann man weiterbasteln, während Lebenswerk schon ziemlich abgeschlossen tönt. Das war eine schöne Ehre und ich fühle mich durch den Preis in meinem weiteren Schaffen sicher nicht behindert. Ich glaube nicht, dass mir die Jury den Preis verliehen hat, damit ich endlich aufhöre.

Was ist eigentlich Ihre persönliche Meinung zum Leistungsschutzrecht?

Ich habe das Thema schon vor drei Jahren thematisiert, als es in Deutschland angelaufen ist. Bis jetzt erkenne ich keinen sachlichen Sinn in einem Leistungsschutzrecht. Interessant finde ich, wie polarisiert die Diskussion ist: Die Presse schreibt dafür, im Internet toben sie dagegen. Im Internet wird hyperventiliert, was diese Frage anbelangt. Es geht auch hier nicht um die letzte Frage. Gleichzeitig finde ich es erschütternd, wie die Presse nur noch Kommentare in eigener Sache schreibt. Ich wollte eigentlich nicht schon wieder auf dieses Thema eingehen, doch als sich der CEO von Ringier derart spitz geäussert hat, hatte ich doch das Gefühl, etwas dagegen halten zu müssen. Ich bin, soweit ich das überblicke, der einzige Papierjournalist, der kritisch über das Leistungsrecht berichtet. Es gibt Illusionen auf der Verbandslobbyisten-Seite, die meint, sie könne das Publikum für blöd verkaufen, wenn sie Google mit Schlagwörtern wie "Diebstahl" abkanzelt. Bei diesem Thema zeigt sich deutlich, wie gefährlich es ist, wenn die Presse keine binnenkritische Perspektive mehr zulässt. Dann läuft sie Gefahr, bei Fragen in eigener Sache zum Propagandaapparat zu mutieren. Das schadet ihrer Glaubwürdigkeit. In diesem Sinn: Das ist ein Plädoyer für die Bedeutung des Medienjournalismus.

In Ihrer Kolumne schrieben Sie aussergewöhnlich scharf: "Der Journalismus würde intelligentere Interessenvertreter verdienen." Zweifeln Sie an den kognitiven Fähigkeiten von Ringier-CEO Marc Walder, das Thema zu erfassen?

Das war ein harter Satz. Wenn jemand derart grob austeilt, dachte ich mir, ist es angebracht den Betreffenden quasi psychoanalytisch zu spiegeln. Ich fand die Kritik an Google ganz einfach nicht angemessen. Ich möchte endlich mal wirklich starke Argumente für ein Leistungsschutzrecht hören. Die Befürworter sollen Fakten bringen, und nicht mit grässlichen Schlagworten um sich werfen.

Welchen Eindruck haben Sie von der neuen SRF-Website gewonnen?

Sie ist stark vom Design der bisherigen SF-Site geprägt. Ohnehin habe ich den Eindruck, dass der Input der Fernsehabteilungen dominiert. Hängt wohl auch damit zusammen, dass per Bildschirm genutzte Medien generell aufs Auge und weniger aufs Ohr ausgerichtet sind. Wie alle Info-Sites kämpft auch jene von SRF mit dem Problem, die Informationen gewichten zu können, um mehr zu sein als ein grob geordnetes Inhalte-Sammelsurium. Überrascht hat mich am Sonntag, wie offensiv SRF mit ziemlich ausführlichen schriftlichen Artikeln in die Textzone vorstiess - trotz der wiederholten Kritik daran, dass SRF seine Aktivitäten übergebührlich ausdehnt. Am Montag schien es mir, dass man wieder zurückhaltender operierte.

Stellt diese Website eine ernsthafte Konkurrenz für die Online-News der Schweizer Tageszeitungen dar?

SRF wird jetzt nach der Fusion mit mehr Kraft vorangehen können. Man muss in den kommenden Tagen noch genauer hinschauen, wohin sich die Site bewegt. Aber die Gefahr einer stärkeren Konkurrenz ist offensichtlich. Konkurrenz belebt zwar das Geschäft. Doch muss SRF im Textbereich Zurückhaltung üben. Sonst torpediert es die privat finanzierten Medien beim Aufbau von digitalen Bezahlmodellen. SRF hat keinen Auftrag für einen schriftlichen Service public. Wenn es das nicht einsieht, wird es Sturm ernten.

Ist es möglich, dass Sie irgendwann einmal Ihren Arbeitsort oder Ihren Arbeitgeber wechseln werden?

Es ist nie etwas ausgeschlossen.

Interview: Benedict Neff

 



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