20.10.2022

Haaland-Interview

«Die Redaktion hat für Breitling geworben»

Dennis Bühler schliesst sich der Kritik an Blick-Sportchefin Steffi Buchli an. Der Medienjournalist sagt, weshalb er auf eine Publikation des Interviews mit Erling Haaland verzichtet hätte, lobt Buchli dafür, dass sie sich der Debatte stellt – und spricht über «unkritische Beweihräucherung».
Haaland-Interview: «Die Redaktion hat für Breitling geworben»
«Soweit ich das als Leser und Medienbeobachter beurteilen kann, handelt es sich beim Haaland-Interview um eine einmalige Verfehlung», sagt Republik-Medienjournalist Dennis Bühler, der auch Presserat-Mitglied und Dozent für Medienethik ist. (Bild: Republik)

Herr Bühler, Blick-Gruppe-Sportchefin Steffi Buchli wurde dafür kritisiert, dass ihr Interview mit dem Fussballstar Erling Haaland unter die Kategorie PR falle. Teilen Sie diese Kritik?
Ja, ich teile diese Kritik. Steffi Buchli hat sich von Breitling vorgeben lassen, welche Fragen Erling Haaland gestellt werden dürfen, und der SonntagsBlick hat die Uhrenmarke in Bild und Text prominent präsentiert. Mit Journalismus hat das nichts zu tun.

Ein harter Vorwurf. Am Ende des Interviews ist allerdings deklariert, dass es im Rahmen von Haalands Partnerschaft mit Breitling entstanden ist. Wurde demnach medienethisch alles richtig gemacht?
Nein. Die journalistische Unabhängigkeit ist einer der Grundpfeiler der Medienethik. Wer sich von einer Uhrenmarke Regeln aufzwingen und sich instrumentalisieren lässt, beschädigt seine Glaubwürdigkeit und jene der gesamten Branche. 

Sie haben die Vorgaben angesprochen: Die Partnerschaft musste thematisiert und das Interview schriftlich geführt werden, so die Bedingung des Haaland-Managements. Buchli und drei Personen aus ihrem Leitungsteam haben dies akzeptiert (persoenlich.com berichtete). Wie bewerten Sie diesen Entscheid?
Ich halte ihn für falsch. Ganz grundsätzlich sollten Interviews nur in absoluten Ausnahmefällen schriftlich geführt werden – und kommen nur infrage, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind: Erstens muss die Möglichkeit bestehen, nachzuhaken, wenn sich die befragte Person herauszuwinden versucht. Zweitens muss garantiert sein, dass die Fragen auch wirklich von der Person beantwortet werden, die interviewt werden soll.

War das beim Haaland-Interview nicht der Fall?
Wir wissen es nicht. Wer die nichtssagenden Antworten liest, die der Fussballer von sich gegeben haben soll, dem könnten aber Zweifel kommen. Ich jedenfalls frage mich: Weiss Erling Haaland überhaupt, dass am vergangenen Sonntag ein Interview mit ihm in einer Schweizer Zeitung erschienen ist, oder haben Personen aus seinem PR-Stab und jenem von Breitling die Antworten eigenmächtig verfasst?

«PR und Propaganda haben Auftrieb, die Wirksamkeit der vierten Gewalt ist gefährdet»

Ist das nicht ein generelles Problem, mit dem Medienschaffende immer mehr konfrontiert sind?
Ich gehe schon davon aus, dass bei 99 Prozent der in Schweizer Medien erscheinenden Interviews tatsächlich mit der Person gesprochen wurde. Aber Sie haben schon recht: Dass die Kommunikationsabteilungen von Unternehmen – und übrigens auch vom Staat – immer grösser werden, ist für den Journalismus ein echtes Problem. Zumal diese Entwicklung ja einhergeht mit einer sinkenden Anzahl Bewerbungen an Journalistenschulen und einer wachsenden Anzahl Journalistinnen und Journalisten, die der Branche lange vor dem Pensionierungsalter den Rücken kehren – sei es freiwillig oder weil sie von ihren Arbeitgebern dazu gezwungen werden. Das Ergebnis von alldem: PR und Propaganda haben Auftrieb, die Wirksamkeit der vierten Gewalt ist gefährdet. 

Ein Verzicht auf ein Interview war laut Buchli eine Option, schliesslich war sie aber der Meinung, dass diese Version «verhebt». Sie hätten anders entschieden ...
Ja, ich hätte mich gar nicht erst auf dieses von Breitling aufgezwungene Setting eingelassen. Auch nach diesem aus meiner Sicht falschen Entscheid hätte der SonntagsBlick aber noch die Reissleine ziehen können – und müssen. Denn das Interview «verhebt» meines Erachtens eben gerade nicht. Wie unkritisch es ist, zeigt sich bereits an den beiden an Harmlosigkeit kaum zu überbietenden Titeln. «Ich passe mich sehr schnell an», heisst das Zitat auf der Frontseite des Sportteils. Und das Interview ist mit folgender Zeile überschrieben: «Akanji ist ein sehr guter Mensch.» Auch Buchlis Fragen kommen ohne jeden kritischen Ansatz aus.

Diesen Eindruck hatte ich auch. Welche Stellen sind Ihnen besonders aufgefallen?
Buchli lobt ihn etwa mit der Feststellung, Genügsamkeit scheine ihm völlig fremd zu sein, worauf Haaland entgegnet: «Ja, das würde ich so sagen.» Und sie konfrontiert ihn mit ihrer Meinung, es könne nicht mehr lange dauern, bis er der weltbeste Fussballer sei. Worauf der Norweger antwortet: «Das sagen Sie. Wir werden sehen.»

Dass das Interview zahm ist, gab Steffi Buchli auch selbst zu. Auch sonst muss man fairerweise sagen, dass sie sich selbstkritisch zeigt. So fragt sie sich etwa, ob sie härter um gewisse Fragen hätte feilschen oder einen Videocall zur Bedingung hätte machen sollen …
Da bin ich mit Ihnen einverstanden. Es ist Steffi Buchli hoch anzurechnen, dass sie bereit ist, diese Debatte zu führen, und sich trotz ihrer Ferienabwesenheit nicht wegduckt. Übrigens: Soweit ich das als Leser und Medienbeobachter beurteilen kann, handelt es sich beim Haaland-Interview um eine einmalige Verfehlung. An und für sich ist die Blick-Sportredaktion eher bekannt für kritische und spannende Interviews, wie sie zuletzt vor zweieinhalb Wochen mit Bernhard Alpstaeg eines publizierte, dem Besitzer des FC Luzern. 

«Es ist die Strategie von grossen Vereinen und Sportstars, von der Berichterstattung klassischer Medien unabhängig zu werden»

Buchli sagte im persoenlich.com-Interview weiter: «Das ist ein bisschen die Krux mit diesen Starinterviews: Es gibt immer Vorgaben des Managements». Überzeugt Sie das?
Mir ist die Problematik durchaus bewusst: Grosse Fussballvereine wenden sich mit eigenen TV-Kanälen an ihre Fans, Sportstars verkünden Exklusives heutzutage am liebsten selbst auf Instagram oder anderen Social-Media-Plattformen. Das ist ihre Strategie, von der Berichterstattung klassischer Medien unabhängig zu werden – und Kritik aus dem Weg zu gehen.

Was können Sportjournalistinnen und -journalisten in dieser Konstellation tun?
Ich glaube, dass es vielversprechender wäre, Mehrwert für die Leserschaft zu schaffen, statt die ohnehin vorhandene unkritische Beweihräucherung zu reproduzieren. Sie sollten auf kluge, hintergründige Recherchen und kritische Analysen setzen und keine Vorgaben von Managements, Verbänden, Vereinen und Spielern akzeptieren. Sprich: Sie sollten Journalismus machen.

Ist die «unkritische Beweihräucherung» ein Problem, das nur den Sportjournalismus betrifft?
Nein, vor dieser Gefahr ist kein Ressort gefeit. Es kommt auch in der Politikberichterstattung nicht selten vor, dass eine Person in den Himmel gelobt wird, weil Journalistinnen und Journalisten zu wenig kritisch hinschauen. Ein weiteres Problem: Oft ist heute schon vergessen, welche Fehltritte sich jemand gestern geleistet hat – denken Sie beispielsweise an die Lobeshymnen zum Abschied von Bundesrat Ueli Maurer. Trotzdem ist das Problem von Nähe und Distanz im Sportjournalismus vermutlich speziell ausgeprägt.

Weshalb?
Die meisten Sportjournalisten waren als Kinder und Jugendliche euphorische Sportfans – eine ähnliche Begeisterung, wie sie in jungen Jahren manch einer für den FCZ verspürt, kommt der FDP wohl eher selten zuteil. Übrigens fand auch ich auf diesem Weg in den Beruf: Als 16-Jähriger begann ich damit, für die Lokalzeitung über meine eigenen Fussballspiele zu schreiben. Eine medienethisch nicht eben unheikle teilnehmende Beobachtung.

Zurück in die Gegenwart: Es sei kein Geld geflossen oder eine andere Wertleistung an Ringier, betonte Buchli. Handelt es sich also nicht doch um Journalismus?
Leider nein. Der Presseratskodex ist unabhängig von Geldzahlungen deutlich: «Medienschaffende vermeiden in ihrer beruflichen Tätigkeit als Journalistinnen und Journalisten jede Form von kommerzieller Werbung», heisst es in Ziffer 10. Und gleich danach in Ziffer 11: «Sie nehmen journalistische Weisungen nur von den hierfür als verantwortlich bezeichneten Mitgliedern ihrer Redaktion entgegen, und akzeptieren sie nur dann, wenn diese zur Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten nicht im Gegensatz stehen.»

«Die medienethische Debatte zeigt, dass die Selbstkontrolle der Branche funktioniert»

Sie sind seit längerer Zeit Mitglied des Presserats …
Ich kann und will nicht für den Schweizer Presserat sprechen und würde nach diesem Gespräch mit Ihnen selbstverständlich in den Ausstand treten, falls wegen des Haaland-Interviews eine Beschwerde eingehen sollte. Aber: Wenn ich das SonntagsBlick-Interview lese und die Aufmachung betrachte, komme ich zu dem Schluss, dass die Redaktion für Breitling geworben und Weisungen der Uhrenmarke akzeptiert hat.

Um weiterzukommen, muss man aus Erfahrungen lernen. Was ist Ihnen als Dozent für Medienethik besonders wichtig, aus diesem Fall Ihren Studentinnen und Studenten mit auf den Weg zu geben?
Aus diesem Fall können sie primär zwei Dinge lernen: Erstens, wie wichtig die journalistische Unabhängigkeit für die Glaubwürdigkeit eines Mediums ist. Und zweitens, dass auch Chefredaktoren und Ressortleiterinnen Entscheide fällen, die man aus medienethischer Warte für falsch halten darf und die man redaktionsintern auch als junge Mitarbeiterin oder Berufseinsteiger kritisieren sollte.

Genauso zentral ist es, aus jeder Geschichte etwas Positives mitzunehmen. Was wäre es in diesem Fall?
Die medienethische Debatte, die nach der Publikation des Haaland-Interviews zunächst auf Twitter entbrannte und nun auf persoenlich.com geführt wird, zeigt, dass die Selbstkontrolle der Branche funktioniert. Und dass sich auch Steffi Buchli daran beteiligt und sich selbstkritisch zeigt, ist erfreulich.

Zum Schluss noch: Hätten Sie bemerkt, dass wir das Interview mit Steffi Buchli aufgrund ihrer Ferienabwesenheit und einer grösseren Zeitzonendifferenz schriftlich geführt haben, wenn sie es nicht selber erwähnt hätte?
Nein, vermutlich hätte ich es nicht gemerkt, wenn die Art und Weise des Interviews mit Buchli nicht transparent ausgewiesen worden wäre. Auch, weil sie Ihre Fragen jeweils recht kurz beantwortet hat. Unserem schriftlich geführten Dialog hier merkt man es sicherlich eher an, weil ich mich mündlich weniger geschliffen ausdrücken könnte. Das ist ja eine Krux der Sache: Interviews, bei denen es nicht primär um eine kritische Auseinandersetzung mit der Person geht oder darum, ihr etwas zu entlocken, das sie nicht preisgeben möchte, sind schriftlich manchmal vielleicht sogar besser, weil man mehr in die Tiefe gehen kann.



*Dennis Bühler ist seit August 2018 Medien- und Bundeshausjournalist bei der Republik. Seit 2016 ist er Mitglied des Presserats, seit 2018 ist er Vorstand beim Reporter:innen-Forum und Präsident des Herausgebervereins des Gesellschaftsmagazins «Ernst». Zudem wirkt er als Medienethik-Dozent: seit Frühjahr 2019 an der Radioschule Klipp+Klang und seit Sommer 2021 am MAZ. Vor seiner Zeit bei der Republik schrieb er unter anderem für Die Zeit und die Südostschweiz. 2012 hat Bühler einen Master of Arts in Journalismus an der Universität Hamburg, der Hamburg Media School, und am MAZ abgeschlossen. Zudem verfügt er über einen Bachelor in Politikwissenschaften an der Universität Zürich (2010).

 


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KOMMENTARE

Robert Erhart
20.10.2022 10:56 Uhr
Was komplett untergeht; Haaland wäre dem Blick ohne Hilfe von Breitling nie zur Verfügung gestanden.
Peter Jaeggi
20.10.2022 08:37 Uhr
Ein Lehrstück für Schreibende und Lesende. Was mir im (hoffentlich face to face geführten …) Interview fehlt: Kritik an den PR- und Medienstellen von Unternehmen, die mit ihren Manipulationsaktionen versuchen, die Meinungs- und Pressefreiheit schändlich zu untergraben. Dass heute bei fast jedem Interview jemand aus der Presseabteilung mit am Tisch sitzt (angeblich um Hilfestellungen zu leisten … ) ist nicht nur eine nervende Unsitte, sondern in vielen Fällen ein unzulässiger und letztlich gefährlicher Zensurversuch.
Walter Bernet
20.10.2022 08:27 Uhr
Was würde Dennis Bühler wohl zum „Persönlich“-Interview mit Michelle Hunziker / Schweiz Tourismus vom 10. August sagen?
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