07.05.2019

Ringier

«Die Transformation wird wohl nie abgeschlossen sein»

Im Opernhaus Zürich fand gestern Abend die Buchpremiere von «Ringen um Ringier» statt. Der Autor René Lüchinger spricht über Überraschendes, das seine Recherche über die Transformation des Medienunternehmens zu Tage gefördert hatte.
Ringier: «Die Transformation wird wohl nie abgeschlossen sein»
René Lüchinger ist Autor des Buches «Ringen um Ringier. Über die Kunst der Digitalisierung in einem Schweizer Medienkonzern». (Bild: zVg.)
von Matthias Ackeret

Herr Lüchinger, am Montagabend wurde mit viel Prominenz Ihr Buch «Ringen um Ringier» im Zürcher Opernhaus präsentiert. Was gab den Anstoss für dieses Werk?
Der Anstoss kam wohl von zwei Ebenen. Zum einen sind die aktuellen Umwälzungen in der Medienbranche durch die Digitalisierung derart tiefgreifend und irreversibel, dass das Bedürfnis nach einer Aufarbeitung auf der Hand lag. Zum anderen war es CEO Marc Walder, der dieses Projekt vorschlug. Das führte zu einer glücklichen Konstellation: Als Business Case liess sich damit die Transformation des Ringier-Konzerns in Szene setzen mit allen auch internationalen Implikationen, die damit verbunden sind. Meines Wissens ist ein solcher Transformationsprozess in unserer Branche im internationalen Kontext bislang noch nie beschrieben worden.   

Die meisten von Ihnen beschriebenen Ereignisse sind zeitnah. Wie gingen Sie bei der Recherche vor?
Bei jedem Buch geht es zunächst darum, Entwicklungen und Prozesse nicht aus der Retroperspektive zu beurteilen, sondern im zeitlichen Kontext zu beschreiben – die Motive der handelnden Akteure wie auch die damaligen Grundlagen für Entscheidungen. Deshalb ist es unabdingbar, die Dokumente von damals einsehen zu können. Ringier legte dafür in bemerkenswerter Transparenz Verwaltungsrats- und Geschäftsleitungsprotokolle der letzten 15 Jahre offen. Parallel dazu habe ich sämtliche in dieser Zeit aktiven Akteure befragt. Diese Informationen wurden dann in den grösseren Zusammenhang der Digitalisierung gestellt und schliesslich zu einer hoffentlich süffig zu lesenden Story verarbeitet.

Es handelt sich um Auftragswerk von Michael Ringier und Marc Walder. Gab es deswegen beim Verfassen des Textes Auflagen oder gar Einschränkungen?
Nein. Meine Erfahrung ist dabei immer die gleiche: Wenn sich ein Auftraggeber entscheidet, seine Geschichte aufschreiben zu lassen, will er keine Geschichtsklitterung, die ihm sowieso irgendwann um die Ohren fliegt. Sondern eine durchaus auch kritische Aufarbeitung, die sich an den Fakten orientiert und der Wahrheit verpflichtet ist. Für ein Medienunternehmen gilt das ja noch in weit höherem Masse und das war für Michael Ringier wie auch für Marc Walder nie ein Thema. Ich finde, das spricht für sie als Verleger und CEO.  

«Ein solch beherztes Vorgehen wäre in einem börsenkotierten Unternehmen eher nicht möglich gewesen»

Sie hatten uneingeschränkten Zugang zu Verwaltungsrats- und anderen Protokollen. Was hat Sie bei diesen Recherchen am meisten überrascht?
Zwei Dinge. Erstens: Es war lange Zeit ein opportunistisches Vorgehen Richtung Digitalisierung nach dem Prinzip «try and error». Es gab die wilde Pionierphase mit Thomas Trüb und später die strategischere, getriebene Phase von Marc Walder. All das geschah in einer Zeit, als im Stammhaus in Zürich diesem Tun noch mit Argwohn begegnet wurde. Mehr noch: Viele sahen keinen Sinn darin, Millionen in digitale Marktplätze zu investieren, statt in Journalismus. Am Schluss wurden rund zwei Milliarden Franken investiert und das war nur möglich, weil die Familie rund um Michael und Annette Ringier und Evelyn Lingg daran geglaubt hatte und im Verwaltungsrat etwa mit Uli Sigg starke Befürworter der Digitalisierung sitzen. Ich behaupte: Ein solch beherztes Vorgehen wäre in einem börsenkotierten Unternehmen eher nicht möglich gewesen.

Und zweitens?
Es zeigte, wie stark der Ringier-Konzern unternehmerisch geprägt ist.

«Die Digitalisierung geht weiter, die Disruption auch»

Unter CEO Marc Walder wurde der Ringier-Verlag vollständig umgebaut. Dabei wurden rund zwei Milliarden Franken in die ganze Transformation investiert. Wo stellen sich nach Ihrer Ansicht die grössten Probleme?
Zunächst: Es wurde viel Geld investiert. Aber es hat sich für die Familie auch finanziell gelohnt. Werden bei den digitalen Geschäften Kaufpreise und Investitionen über die Jahre den Dividenden und dem heutigen Marktwert der Firmen gegenübergestellt, ist der Saldo bei Weitem positiv. Das Grundproblem ist dabei kein Ringier-spezifisches. Früher hat ein Verlag eine Zeitschrift gegründet und damit über Jahre stabiles, gutes Geld verdient. Heute sind gerade digitale Geschäfte immer von der Disruption bedroht. Das bedeutet: Ein heute gut laufendes Geschäft kann schon morgen wertlos sein, weil irgendwo auf der Welt ein innovativerer Konkurrent aufgepoppt ist. Das ist bei Ringier durchaus bewusst und wird von denen ständig analysiert.

Sie schreiben am Ende Ihres Buches, dass das «Ringen um Ringier» weitergehe. Aus heutiger Sicht: Wird der ganze Umbau glücken?
Das wissen die Götter! Irgendwann im Jahre 2017 wurde aber im Verwaltungsrat darüber philosophiert, ob die Transformation nun abgeschlossen sei. Heute muss man konstatieren: Sie ist es nicht und wird es wohl auch nie sein, weil die nächste Disruption am Anrollen ist. Eine, die wir vielleicht nicht einmal erkennen. Daraus folgt logisch: Das Ringen um Ringier geht weiter. Immer weiter.

Wo steht Ringier in fünf Jahren?
Auch das weiss wahrscheinlich niemand. Klar scheint mir: Die Digitalisierung geht weiter, die Disruption auch. 


René Lüchinger absolvierte sein Studium der Geschichte und Germanistik in Basel und Freiburg im Breisgau/D und ist seit dreissig Jahren als Wirtschaftsjournalist tätig. Er leitete als Chefredaktor drei nationale Titel, darunter von 2014 bis 2016 den «Blick». Lüchinger betreibt die Firma Lüchinger Publishing GmbH.

 



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