22.10.2020

SRF

«Dieses Konkurrenzdenken ist unnötig»

Nathalie Wappler will mit ihrer Strategie «SRF 2024» das Schweizer Fernsehen zukunftsfähiger machen und setzt dabei stark auf das Internet. persoenlich.com hat sich mit der SRF-Direktorin über den Umbruch im Leutschenbach und in der Medienwelt unterhalten.
SRF: «Dieses Konkurrenzdenken ist unnötig»
«Unser Auftrag ist klar. Ich wäre froh, wenn unsere Kritiker vorher einmal sauber recherchieren und den ganzen Text durchlesen würden», sagt Wappler im Gespräch. (Bild: SRF / Oscar Alessio)
von Matthias Ackeret

Das Projekt «SRF 2024» ist einer der radikalsten Umbrüche, die es im Schweizer Fernsehen in den vergangenen vierzig Jahren gegeben hat. Wann haben Sie erstmals realisiert, dass Sie etwas verändern müssen?
So radikal ist der Umbruch gar nicht. Wir haben lediglich analysiert, wo wir stehen und welche Herausforderungen auf uns zukommen. Momentan steht jedes Medienhaus vor der gleichen Herausforderung. Wir haben festgestellt, dass wir die unter 45-Jährigen immer weniger gut erreichen. Die Konzession besagt aber, dass wir alle erreichen müssen, und das dort, wo sie sich befinden. Das ist ein Auftrag, den wir erfüllen müssen. Wie wir dies machen, ist meine Aufgabe. Erschwerend kommt hier hinzu, dass bei uns sowie bei anderen Verlagen die Werbeeinnahmen massiv zurückgegangen sind.

Wie gross ist der Rückgang?
Wegen Corona sind die ganzen Werbeeinnahmen im Vergleich zu 2019 nochmals um 65 Millionen Franken zurückgegangen. Deshalb müssen wir SRG-weit bis 2024 weitere 50 Millionen Franken einsparen und 250 Stellen abbauen (persoenlich.com berichtete).

Und darüber hinaus?
Der Einbruch der Werbeeinnahmen stellt uns vor grosse Herausforderungen. Ständig sparen ist für uns keine Strategie. Für uns war klar, wir müssen uns strukturell verändern, da auf eine strukturelle Krise nur strukturell geantwortet werden kann. Es dürfen nicht einfach nur Einzelmassnahmen sein. Diese und ähnliche Gedanken haben wir uns für das ganze Unternehmen gemacht, also nicht nur für das Programm, sondern auch für die Produktion. Wir haben uns dabei immer gefragt, wie wir anders produzieren und anders zusammenarbeiten können. Weniger als 10 Prozent all unserer Produktionen sind bis jetzt «Web Only», also nur für das Internet. Heben wir diese auf etwa 20 Prozent an, wäre dies ein grosser Schritt für uns. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass rund 60 Prozent unserer Produktionen weiterhin im klassischen Fernsehen und 20 Prozent im klassischen Radio stattfinden. Ich würde also eher von einer Evolution als von einem Umbruch sprechen. «SRF 2024» ist ein Schritt, der nötig und in sich konsequent ist.

«Unsere Konzession besagt, dass wir die ganze Bevölkerung erreichen müssen – also auch das jüngere Publikum»


Von aussen ist aber eher der Eindruck entstanden, das Schweizer Fernsehen fokussiere nur noch auf das Internet. Wurde das Ganze zu wenig klar verkauft oder hat es das Publikum einfach zu wenig verstanden?
Ich glaube, wir haben unsere Strategie 2024 immer deutlich kommuniziert, so auch an unserer internen Personalveranstaltung. Vielleicht war es für viele etwas ungewöhnlich, da wir zum ersten Mal explizit ausführten, dass wir künftig auf einzelne Sendungen im linearen Fernsehen verzichten, um etwas anderes im Netz machen zu können. Doch dies ist notwendig, um den Ausbau online überhaupt zu bewerkstelligen.

Gerade dieser Verzicht gab zu reden. In der Zeitschrift Tele hat sich Ländlerkönig Carlo Brunner aufgeregt, dass SRF die Volksmusik abschafft. Gleiches beim Sport und in der Wirtschaft. Öffnen Sie damit nicht viele Fronten? Oder anders gefragt: Kommen Sie Ihrem Service-public-Auftrag noch nach?
Wir werden den Service public weiterhin erfüllen. Unsere Konzession definiert den Service public, besagt aber auch, dass wir die ganze Bevölkerung erreichen müssen, vor allem auch das jüngere Publikum. Zudem steht im Artikel 13 der Konzession: «Die SRG stellt Angebote bereit, die auf die Lebenswirklichkeit und die Interessen junger Menschen ausgerichtet sind. Sie bietet diesen eine altersgerechte Orientierung und fördert deren Beteiligung am wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und sozialen Leben. Inhalte, Formate und Technik der Angebote werden so aufbereitet und verbreitet, wie es den Mediennutzungsgewohnheiten der jungen Zielgruppen entspricht.» Dies ist ein eindeutiger Auftrag, den wir in der Vergangenheit noch zu wenig erfüllten, wie wir feststellen mussten. Mit den Massnahmen, die wir nun getroffen haben, kommen wir ihm jetzt nach.

Und was antworten Sie Carlo Brunner?
In der Volksmusik wird es mit «Viva Volksmusik» lediglich eine einzige Sendung im Jahr nicht mehr geben. Mit diesem Geld werden wir zusammen mit den Volksmusikverbänden ein Angebot auf YouTube lancieren. In der ganzen Diskussion wird vergessen – und auch viel zu wenig nachgefragt –, dass der Volksmusikverband unser Vorgehen in seinem Newsletter aktiv unterstützt hat. Auch der Verband hat bei seinen Mitgliedern veränderte Nutzungsgewohnheiten festgestellt, nämlich dass viele junge Menschen, die Volksmusik oder Schlager machen, in den neuen Medien unterwegs sind. Deswegen steht uns der Verband bei der Entwicklung dieser neuen Kanäle zur Seite. Ich habe diese Unterstützung des Volksmusikverbands immer wieder betont, aber manchmal kommt es mir so vor, als ob dies niemand hören möchte.

«Die strikte Trennung von linear und online gibt es nicht mehr»


Das heisst, Sie machen in Zukunft Sendungen, die ausschliesslich für das Internet hergestellt werden?
Nein, wir werden immer auch Sendungen machen, die vom Netz ins lineare Fernsehen zurückgespielt werden können. Ich glaube, diese strikte Trennung von linear und online gibt es in Zukunft nicht mehr, die Grenzen verschwimmen immer mehr. Wir müssen uns mit dieser Entwicklung auseinandersetzen, statt auf etwas zu beharren, das es so bald nicht mehr geben wird.

In einem Interview mit der «Sonntagszeitung» wurde die These aufgestellt, dass jene Formate, die fürs lineare Fernsehen aufbereitet werden, mehr Resonanz haben als jene, die fürs Internet hergestellt werden.
Diese These ist falsch. Wenn beispielsweise die Sendung «Sternstunde Philosophie» über sechs Jahre hinweg 1,6 Millionen Klicks generiert hat, kann man dies nicht mit den Klickzahlen eines Onlineformats vergleichen, das in den letzten Wochen aufgeschaltet wurde. Würde man hingegen die Zahlen nehmen, die eine Kultursendung im gleichen Zeitraum im Netz erzielt hat, wären wir wieder gleich weit. In sechs Jahren können bis zu 1,6 Millionen Klicks generiert werden, weil das Netz über eine Zeitlosigkeit verfügt. Das ist die Herausforderung: Es muss immer unterschieden werden, was wo ist und wie lange etwas dauert. Ich weiss, dies ist ein komplexes Thema, aber es lohnt sich, in diese Komplexität einzusteigen. Sie wird uns in den nächsten Jahren noch intensiv begleiten.

Was bedeutet die ganze Diskussion für Ihr Unternehmen selbst? Ganz konkret: Wie viele Stellen werden Sie in den nächsten Jahren abbauen aufgrund dieses Konzeptes?
In erster Linie ist es ein Transformationskonzept, das einen Abbau und gleichzeitig einen Aufbau mit sich bringt. Wir brauchen bei SRF neue Kompetenzen, die es in dieser Form noch nicht genügend gibt. Nicht zuletzt durch Corona haben wir gelernt, dass wir anders produzieren können. Bei diesem Projekt geht es darum, dass wir anders zusammenarbeiten wollen, dass wir stärker ein Verständnis dafür entwickeln müssen, was Distribution ist, wer zu unserem Publikum gehört, wie wir den Ansprüchen an uns besser gerecht werden können und wo wir besser zuhören sollten. Wir müssen noch stärker im dialogischen Austausch mit dem Publikum sein.

«Unsere Kritiker sollen mal den ganzen Text der Konzession durchlesen»


In der NZZ wurde eine Debatte darüber entfacht, dass der ganze Umbau gegen die Konzession verstosse.
Unsere Onlineangebote konzentrieren sich auch in Zukunft auf unsere Kerngeschäfte Audio und Video. Alles, was wir jetzt auch im Rahmen von «SRF 2024» machen, ist immer auf unsere Kernkompetenzen ausgerichtet. Ich glaube überhaupt nicht, dass wir gegen die Konzession verstossen. Wer das behauptet, soll zunächst einmal einen Blick in den Konzessionstext und den vorhin zitierten Artikel 13 werfen. Wir haben einen klaren Auftrag. Zu sagen, dass unsere Strategie ein Verstoss gegen die Konzession sei, ist leicht. Ich wäre froh, wenn unsere Kritiker vorher einmal sauber recherchieren und den ganzen Text durchlesen würden. 

Nun haben wir immer von Veränderungen und Programmabbau gesprochen. Sind auch neue Sendegefässe geplant?
Wir haben nun erste Kerninitiativen angestossen, um die digitale Transformation umgehend einzuleiten. Dazu gehören beispielsweise die Weiterentwicklung der News-App sowie bei YouTube der Aufbau eines Wissens-Hubs, die Ausrichtung des Kulturkanals auf Philosophie oder drei neue Kanäle zu verschiedenen Musikrichtungen. Für all diese Kanäle sind auch neue Formate geplant, die Entwicklung startet jetzt.

Die Verleger haben sich immer wieder bedroht gefühlt. Trotzdem gab es auch entspanntere Zeiten. Kann man von einer Hassliebe zwischen SRG und Verlegern sprechen?
Was ich bedaure, da ich dieses Konkurrenzdenken unnötig finde. Eigentlich stehen wir in gar keiner Konkurrenz, da die Krise strukturell und einschneidend ist und alle Medien betrifft. Die Herausforderung sollte nicht sein, wie wir gegeneinander vorgehen, sondern wie wir gemeinsam künftig mit Facebook, Streaming-Plattformen und Google umgehen. Ich bin immer wieder etwas ratlos, wenn wir uns ausgerechnet dort bekämpfen, wo wir uns eigentlich gemeinsame Überlegungen machen sollten. Nehmen wir als Beispiel unsere Shared-Content-Plattform, die mittlerweile auch in der Konzession verankert ist: Mit «SRF 2024» investieren wir künftig 10 Prozent mehr in Informationen, also in unser Kerngeschäft. Genau in diesem Bereich werden wir künftig mehr Angebote bereitstellen, was nicht zuletzt auch für die Verleger über die Shared-Content-Plattform von grossem Vorteil sein wird. Dass diese Chancen nicht erkannt werden, kann ich nicht verstehen.



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Das vollständige Interview mit Nathalie Wappler lesen Sie in der aktuellen Ausgabe von «persönlich». Informationen zum Abo finden Sie hier



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Kommentare

  • Philipp Bommeli, 23.10.2020 18:13 Uhr
    Dieter Widmer spricht mir ganz aus dem Herzen! Wieso blendet Frau Wappler die Demographische Entwicklung unserer Gesellschaft komplett aus? Sie wird durch die Streichung von sehr Populären Sendungen das SRF-Stammpublikum (Ü45 …) an andere Kanäle verlieren und dadurch für die Werbekunden noch weniger interessant werden. Damit der Plan von Frau Wappler aufgeht, müsste SRF im heutigen Modus abgeschafft und konsequent auf die digitale Schiene gesetzt werden … SRF 2024 ist schlicht nicht zu Ende gedacht, weil die wichtigste Stammgruppe (Ü45 …) nicht einbezogen wird!
  • Victor Brunner, 22.10.2020 18:27 Uhr
    Nathalie Wappler wird mit der Transformation krachend scheitern und spätestens in 3 Jahren wenn der Schaden angerichtet ist "neue Herausforderungen suchen. Die ganze "Transformation" macht sie ohne die Politik und Zwangsgebührenzahler. Angemessen wäre die Zwangsgebührenzahler fragen was sie wollen und dann planen!
  • anna gautschi-hosang, 22.10.2020 12:10 Uhr
    frau wappler macht sicher die sache recht. sie darf aber nicht allzu sehr auf die jungen setzen. die jungen haben wenig interese am fernsehen. sie wollen mit dem auto ausfahren und die freizeit mit diversen sportarten verbrinen
  • Dieter Widmer, 22.10.2020 10:30 Uhr
    Nathalie Wappler irrt, wenn sie glaubt, das jüngere Publikum mit Beiträgen in Instagram, Facebook, Netflix, Twitter und Co. erreichen zu können. Es ist wohl in jeder Dekade so, dass die jüngeren Menschen nicht Lust auf SRF haben - auf welchem Kanal auch immer. Nathalie Wappler sieht leider die Gefahr nicht, dass SRF das bisher treue Publikum (Ü45) vernachlässigen könnte und abwandert. Denn die ältere Generation hat bedeutend mehr Abwanderungskanäle als die Jungen. Kommt hinzu, dass ausser den teuren Samstagabendkisten nur finanziell unerhebliche Sendungen gestrichen wurden, die aber äusserst beliebt waren. So muss sich Frau Wappler möglicherweise damit auseinandersetzen, dass SRF die Jungen nur am Rande erreicht und die Älteren vernachlässigt. Irgendeinmal wird die Realität Frau Wappleer einholen - es bleibt nur die Frage: wann? Dann wird sie längstens einem lukrativeren Job im Ausland nachgegangen sein, und ihr Nachfolger wird die wunderbare Arbeit zu leisten haben, das ältere Publikum wieder zurückzuholen.
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