19.01.2017

Digital News Initiative

Ein Artikel, der sich dem Leser anpasst

Aus einem kurzen Beitrag wird ein ausführlicher Text: Mit dem «Multicle» wollen Scitec-Media und Interactive Things ein neues digitales Artikelformat lancieren. Google hat das Projekt mitfinanziert. Ein Prototyp ist bereits live. Gespräche mit möglichen Partnern laufen.
Digital News Initiative: Ein Artikel, der sich dem Leser anpasst
Ein kurzer Artikel kann beliebig mit Informationseinheiten ergänzt werden: Bilder vom Multicle-Prototyp.
von Michèle Widmer

Mit Häppchen zum Lesen von längeren Texten verführen. Diese Idee steht hinter dem digitalen Artikelformat, an dem die Agentur für Wissenschaftskommunikation Scitec-Media zurzeit arbeitet. Inhaber Beat Glogger und sein sechsköpfiges Team produzieren in Winterthur unter anderem die Wissensseiten für «20 Minuten» sowie den Verbund für Regionalzeitungen.

Die Idee für den «Multicle», wie Glogger sein neuestes Produkt nennt, sei aus Frust beim Lesen von Onlineartikeln entstanden. «Je mehr man sich für ein Thema interessiert, desto mehr verliert man sich», sagt Glogger und bedient sich zur Erklärung eines Beispiels von nzz.ch. In einem Artikel über die Quantenforschung von Albert Einstein verlinkt der Autor für weiterführende Informationen gleich mehrfach auf andere NZZ-Beiträge sowie externe Webseiten. Das sei zwar löblich, für den Leser aber verwirrend, weil dieser beim Klick nicht wisse, wo er schliesslich lande, findet Glogger, der viele Jahre für das ehemalige Wissenschaftsmagazin MTW sowie als Korrespondent für das Schweizer Radio und Fernsehen arbeitete.

Eigenständige Informationshäppchen

Mit dem neuen Onlineformat sollen die Leser künftig weitere Informationen reinholen können, anstatt dafür weggelinkt zu werden. Ein kurzer Artikel kann beliebig mit eigenständigen Informationseinheiten, sogenannten «Particlens», ergänzt und zu einem ausführlichen Beitrag ausgeweitet werden. «Die Leser werden zum Architekten ihrer eigenen Geschichte», sagt Glogger. Sie könnten ein Thema mit einem Klick vertiefen, wenn sie mehr wissen wollen und eine Einheit weglassen, wenn diese nicht interessiert.

Lässt ein Leser einen «Particle» aus, wird er ihm an einer anderen Stelle des Textes nochmals angeboten. «Die Informationseinheiten sind unabhängig voneinander konsumierbar und trotzdem miteinander verknüpft», sagt der Journalist. Das mache das Texten für einen «Multicle» anspruchsvoll. Ein «Particle» könne auch aus einer Tabelle, einer Bildstrecke oder einem Video- oder Audiobeitrag bestehen.

Für Medienhäuser, die den Lesern ihre Inhalte künftig im neuen Digitalformat servieren wollen, hat sich Glogger bereits Gedanken über ein mögliches Bezahlmodell gemacht. Der Basisartikel wäre gratis erhältlich, danach würde jede Informationseinheit einen Preis im Rappenbereich kosten.                     

Finanzspritze von Google

Für den «Multicle» hat Scitec-Media 50'000 Franken von Google erhalten. Glogger hat seine Idee als Projekt bei der Digital News Initiative (DNI) eingereicht. Das amerikanische IT-Unternehmen verfolgt damit laut eigenen Angaben das Ziel, zusammen mit europäischen Medienhäusern «qualitativ hochwertigen Journalismus in Europa durch Technologie und Innovation zu fördern».

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Für die technische Umsetzung hat Scitec-Media das Zürcher Design-Studio Interactive Things ins Boot geholt und nun einen Prototyp entwickelt. Mit einem Beitrag zum Cybathlon-Wettkampf in Zürich zeigen sie auf, was das Onlineformat kann. Über 800 Personen haben das Tool bereits getestet. Rund 100 haben sich die Mühe gemacht mittels Fragebogen ein detailliertes Feedback gegeben.

Nun gilt es, den Prototyp zu einem einsetzbaren Produkt weiterzuentwickeln. Der «Multicle» wurde laut Glogger auf mobil-first Basis entwickelt. Bald soll das Format aber auch auf Desktop und Tablets funktionieren. Zudem muss das Back-End, in dem die Autoren die Beiträge erstellen, fertig ausgearbeitet werden. Auch die Anbindung an die jeweiligen CMS der Anbieter wird noch «ein grosser Brocken Arbeit», sagt Glogger. Um all diese Arbeiten umzusetzen, braucht es interessierte Medienhäuser und weitere Geldgeber. «Wir sind im Gespräch mit wichtigen und interessanten Partnern», sagt er dazu.

 


Nebst Scitec-Media haben auch die AZ Medien, die «Neue Zürcher Zeitung» und die «Tageswoche» im Rahmen der DNI Fördergelder von Google erhalten. Das Petitionsportal der AZ Medien ist Ende November gestartet. Die anderen beiden Projekte stellt persoenlich.com in den kommenden Wochen vor.



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Kommentare

  • Franz Pospichal, 19.01.2017 19:58 Uhr
    Ob das wohl auch "Multicle" ist: Wer am Donnerstag das Onlineportal der NZZ, www.nzz.ch, wählte und das Pech hatte, über einen österreichischen Server ins Internet gestiegen zu sein, der wurde "zwangsbeglückt" und ohne seine Zustimmung auf www.nzz.at umgeleitet. Neue Leser des Austria-Flopps wird man auf diese Weise kaum finden - wohl aber verärgerte Anhänger der alten Schweizer "Tante". Servus und auf Nimmerwiedersehen, NZZ!
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