20.11.2017

Beobachter

«Es geht heute um Bewahren des Erreichten»

Der «Beobachter» feiert dieses Jahr seinen 90. Geburtstag. Im Interview spricht Chefredaktor Andres Büchi über den Einsatz für die «Schwachen» und die dringendsten Zukunftsfragen.
Beobachter: «Es geht heute um Bewahren des Erreichten»
«Beobachter»-Chefredaktor Andres Büchi. (Bild: zVg.)
von Matthias Ackeret

Herr Büchi, die Institution «Beobachter» feiert dieses Jahr ihren 90. Geburtstag. Ist eigentlich etwas vom kämpferischen Credo der Gründerzeit übriggeblieben?
Wenn kämpferisch sich darauf bezieht, möglichst unabhängig Position zu beziehen, stehen wir heute sogar stärker da. Unser Gründer, Max Ras, hat zwar immer eigenständige Positionen vertreten, aber zwischen Inseraten und den redaktionellen Inhalten oft gar nicht gross unterschieden. Im Gegenteil: Ras hat sogar selber in Texten für Zigaretten geworben. Der harte und recherchierende Journalismus, der den «Beobachter» heute auszeichnet, kam erst später.

Im Gegensatz zu anderen Medienpionieren ist Max Ras heute einer grösseren Öffentlichkeit nicht mehr bekannt. Wer war Ras? Und was gab den Ausschlag für die Gründung des «Beobachters»?
Ras war ein Mensch, der einen sicheren inneren Kompass hatte für Freiheit, soziale Gerechtigkeit und wichtige Werte wie Leistungsbereitschaft, aber auch Toleranz innerhalb von Familie und Gesellschaft. Er wollte zeigen, was vorgeht in der Welt, seine Meinung sagen, nötigenfalls Entscheidungsträger loben oder tadeln und stets auch den Schwächeren helfen.

Welche journalistische Leitlinie verfolgt der «Beobachter» heute?
Geblieben ist sicher die «heisse Liebe zu unserem schönen Land», wie Ras sie verinnerlicht hatte, und der sich daraus ergebende Auftrag, Schweizer Qualitäten hochzuhalten. Also eine sozial faire Gesellschaft zu unterstützen, die nach austarierten Lösungen sucht und eine möglichst lebenswerte Umwelt erhalten will. Kurz: die stete Suche nach dem bestmöglichen Miteinander gegen kurzsichtige Ego-Interessen. Die einstige Maxime «Stark für die Schwachen» gilt noch immer, aber ich denke, dass unser heutiges Credo «Wissen, was wichtig ist» unsere Leitlinie noch besser beschreibt. 

Aber trotzdem: Die Schwachen sind heute immer noch Ihre Hauptzielgruppe.
Nein, das ist zu eng definiert. Der «Beobachter» richtet sich an alle, die sich in der Schweiz möglichst souverän bewegen wollen. Unsere Fragen lauten: Was beschäftigt die Schweiz? Was sind die wichtigsten Trends und Strömungen, die uns in den nächsten Jahren beeinflussen? Und vor allem: Wie funktioniert die Schweiz, ihre Institutionen und Behörden, und wo läuft etwas schief? Dies wollen wir unseren Leserinnen und Lesern vermitteln.

Aber dies ist doch ein starker Credo-Wechsel.
Entscheidend ist, dass wir noch immer denselben Werten verpflichtet sind. Aber das Umfeld hat sich in den letzten 90 Jahren sehr verändert. Mir gefällt das Wort Zeitgeist nicht, aber vielleicht umschreibt es am besten, was ich meine. Der Staat hat jahrelang nichts oder nur wenig unternommen, um die Schwachen oder jene, denen es nicht so gut geht, mitzunehmen. Doch seit den Siebzigerjahren hat sich in dieser Beziehung sehr vieles getan. So ist es heute etwa undenkbar, Menschen allein aufgrund eines nonkonformen Lebenswandels fast willkürlich administrativ zu versorgen. Der Staat und auch private Anbieter bieten auf vielen Ebenen Anlaufstellen an, um Menschen am Rande der Gesellschaft zu integrieren. 

Das heisst, der Ausbau des Sozialstaates hat dem «Beobachter» die Berechtigung genommen?
Ganz im Gegenteil. Aber es geht heute mehr um Bewahren des Erreichten. Denn leider ist es nicht so, dass der Sozialstaat auch für die Zukunft garantiert ist. Obwohl er heute nicht mehr grundsätzlich infrage gestellt wird, fehlt an allen Ecken und Enden das Geld, um ihn zu finanzieren. Den meisten Schweizern – darunter auch vielen Politikern – ist viel zu wenig bewusst, dass härtere Zeiten angebrochen sind und die «Alles ist-möglich»-Gesellschaft am Ende ist. Viele junge Menschen wachsen immer noch im Bewusstsein auf, dass sie zuoberst auf der Bedürfnispyramide stehen und zwischen den besten Angeboten auswählen können. Tritt der Erfolg ein, ist es gut, sollten sie aber scheitern, erfolgt automatisch der Ruf nach dem Staat. Dies wird in Zukunft sicher schwieriger werden. Gerade diese Menschen müssen wir abholen, um sie vor unliebsamen Entwicklungen zu warnen und zu schützen. Gleichzeitig müssen wir aber den Staat so absichern, dass er jenen Menschen, die trotz Leistungsbereitschaft unter die Räder kommen, weiterhin helfen kann. 

Aber lesen diese Leute überhaupt den «Beobachter»?
Ja. Man vergisst oftmals, dass der «Beobachter» in der Deutschschweiz allein mit der Zeitschrift fast achtzehn Prozent der über Vierzehnjährigen erreicht. Dazu kommt nahezu eine Million User unseres Onlineportals. Das ist enorm. Auch der oft verbreitete Eindruck, dass der «Beobachter» ausschliesslich auf dem Land gelesen wird, ist falsch: Wir haben eine breite Nutzergemeinde, die die gesamte Schweizer Bevölkerung in ihrer ganzen Breite widerspiegelt. Dies zeigen auch die Anfragen in unserem Beratungszentrum.

Was sind die dringendsten Fragen, die die Schweizer Bevölkerung momentan beschäftigen?
Das sind regelmässig Rechtsfragen zum Thema Wohnen, beispielsweise Mietverträge, zur Arbeit, etwa rund um Kündigungen, und Fragen zum Konsum, viele davon zu Internetkäufen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen.

Gab es auch schon Bemühungen, den «Beobachter» zu vereinnahmen?
Eine Vereinnahmung durch eine Gruppierung habe ich in meiner Zeit als Chefredaktor – und dies sind rund zehn Jahre – noch nie erlebt. Hingegen nimmt der Druck auf die Redaktionen ständig zu. Es passiert immer häufiger, dass man bereits während einer Recherche versucht, unsere Journalisten unter Druck zu setzen und zu diskreditieren, indem man sie anschwärzt oder als unseriös hinstellt, nur weil sie sich erlauben, kritische Fragen zu stellen.

Sie haben die grossen Probleme angesprochen. Worum handelt es sich?
Ich glaube, dass sich die Schweiz mit dem Tempo des quantitativen Wachstums in Zukunft sehr schwertun wird. Dies betrifft vor allem das Bevölkerungswachstum, das in der Schweiz massiv ist. Wir können zwar die Wohnungen und bis jetzt auch die Arbeitsplätze dafür bereitstellen, aber das Instandhalten der restlichen Infrastruktur – Strassen, Schulen, Gesundheitssystem oder die ganze Alterssicherung – wird langfristig ungeheuer fordernd sein. Es gilt sicher, dem sozialen Zusammenhalt Sorge zu tragen. Mehr pragmatische Lösungen, weniger Wunschkonzert.


Das vollständige Interview lesen Sie in der aktuellen «persönlich»-Printausgabe.



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