11.01.2022

Eva Wannenmacher

«Es gibt immer noch viele Frauen, die sich nicht getrauen»

Die SRF-Moderatorin ist der Prototyp der selbstbewussten Frau. Neu unterstützt Eva Wannenmacher als Coach Frauen und Männer beim Erreichen ihrer Ziele. Im Interview erklärt sie, warum Gleichstellung oft nicht funktioniert und warum sie angstfrei ist.
Eva Wannenmacher: «Es gibt immer noch viele Frauen, die sich nicht getrauen»
«Junge Leute sollten sich ausprobieren.» Die Fernsehmoderatorin Eva Wannenmacher ist neuerdings auch Lebenscoach. (Bilder: Marc Wetli)
von Matthias Ackeret

Frau Wannenmacher, hat sich durch die Pandemie für die Frauen etwas verändert?
Es gibt Studien, die besagen, dass sich die Situation der Frauen in der Coronakrise verschlechtert hat.

Warum?
Wird man auf die existenziellen Probleme des Lebens zurückgeworfen, gibt es einen Backlash. Existenzielle Probleme heisst: Angst vor Krankheit oder finanziellen Nöten, aber auch das Homeoffice. Die Kinder sind zu Hause, und wer schaut auf sie? Wer macht die unbezahlte Care-Arbeit hauptsächlich? Es sind die Frauen. Deshalb ist es naheliegend, dass es für die Frauen einen Backlash geben kann. Ich persönlich habe es zwar nicht so erfahren. Wir haben uns die Betreuungsarbeit aufteilen können, aber ich kann nachvollziehen, dass es ein Problem ist.

Ihr Mann könnte nun argumentieren, dass die Männer während des Homeoffice auch zu Hause sind.
Sie sind zu Hause, aber sie fühlen sich nicht unbedingt zuständig für die Sorgen der Kinder. Da muss man nicht einmal Corona bemühen, um zu merken, wie das System in den Beziehungen und Familien läuft. Es ist eine beschworene Gleichberechtigung, die aber im Alltag oft nicht funktioniert. Das ist das, was ich selbst erfahre und was viele andere Frauen erfahren. Im Zweifelsfall bleibt noch immer die Mutter zu Hause, wenn das Kind krank ist. Sie ist es, die noch im letzten Moment die Regenhose organisiert, die das Kind fürs Spielen im Wald benötigt, oder das Geburtstagsgeschenk für das Gspänli. Es ist die Frau, an der es hängen bleibt und die sich dafür zuständig fühlt.

«Meine Mutter hat immer gearbeitet, sie war ein frühes Role Model für mich»

Sie bieten nach einer Ausbildung in Psychologie und Sexologie auch Coachings an. Welches ist das von Frauen meistgenannte Problem?
Es ist das Problem der Selbstermächtigung. Es gibt immer noch viele Frauen, die sich nicht getrauen. Als Journalistin erlebe ich seit 25 Jahren, wie oft wir Frauen überzeugen müssen, bis sie als Interviewpartnerinnen zur Verfügung stehen. Männer sind dagegen sofort und gerne zur Stelle. Daraus könnten wir etwas lernen.

Das stimmt, und es ist ein Problem, das wohl alle Medien kennen: Es stehen immer mehr Männer für ein Interview zur Verfügung als Frauen.
Genau, und das ärgert mich. Aber ich habe Verständnis, ich bin seit 25 Jahren selbst Mutter. In dieser Zeit gab es die eine oder andere Anfrage für die Teilnahme an einer Talkshow oder Ähnliches. Dabei überlegte ich mir immer, ob ich mir das zeitlich erlauben kann und wer bei meiner Abwesenheit das Kind zu Hause betreut. Oft habe ich abgesagt. Heute sage ich meinen Klientinnen das Gegenteil: Geht hinaus und zeigt euch. Aber natürlich macht man sich auch angreifbar, wenn man hinausgeht. Es braucht auch Mut und Selbstsicherheit.

Wenn man Ihre Karriere verfolgt, können Sie nicht behaupten, dass Sie als Frau diskriminiert worden seien.
Das ist richtig. Meine Mutter hat immer gearbeitet, sie war ein frühes Role Model für mich. Ich bin meinen Weg in einer selbstverständlichen Form von Emanzipierung gegangen, obwohl ich gar nicht so oft darüber nachgedacht habe. Eigentlich habe ich erschreckend wenig darüber nachgedacht. Ein sogenannter Wake-up Call war der Frauenstreik 1991. Er war ein Meilenstein in meinem Leben. Dieses Ereignis und auch die Christiane-Brunner-Tragödie um ihre Nichtwahl haben mich politisiert. Wenn ich mich von damals mit meinen Töchtern vergleiche, die heute elf und vierzehn Jahre alt sind, gibt es schon einen Unterschied. Ihnen war viel früher bewusst, welche Wege es gibt. Dass es ein Nein gibt. Ich erinnere mich an alltäglichen Sexismus auf den Zeitungsredaktionen. Es wurde hingenommen. Christiane Brunner hat einmal gesagt, dass sie den Begriff der sexuellen Belästigung gar nicht gekannt habe. Früher gab es diese Chiffre, etwas aufzuzeigen, was übergriffig ist, aber subtil, schlichtweg nicht.

Nochmals zu Ihrer Karriere. Die Ausnahme bestätigt die Regel.
Das würde ich nicht behaupten. Ich habe keine Wahnsinns-Frauenkarriere hingelegt.

Doch. Sie haben auf vielen Sendern wichtige Sendungen moderiert und wurden zu einer der bekanntesten Persönlichkeiten des Landes. Es ging immer aufwärts.
Ich hatte immer grosse Freude an meinem Job. Aber ich würde jetzt nicht behaupten, dass ich enorm ehrgeizig war und das Ziel verfolgte, unbedingt einmal «10 vor 10» zu moderieren. Ich ging davon aus, dass ich nach der Geburt meines Sohnes wieder im Printjournalismus Fuss fassen würde. Bis Frank Baumann mich anrief und sagte: Du musst dich bewerben bei «10 vor 10».

Trotzdem, Sie haben es gemacht. Sie waren damals
27 Jahre alt. Eine so junge «10 vor 10»-Moderatorin war damals eine Sensation.
Es war ein Generationenwechsel, absolut, und das habe ich auch zu spüren bekommen.

Von den Männern oder den Frauen?
Von beiden. Eine Kollegin aus der Redaktion sagte einmal zu mir: Weisst du, Eva, wenn du solche Freunde hast, dann brauchst du keine Feinde mehr. Ich war so perplex, ich wusste damals gar nicht, was sie meinte.

Aber Sie haben gewusst, wer Freund und wer Feind war?
Das war manchmal ein Wechselspiel, um es mal so zu sagen. Es ging sehr schnell, und ich stand für eine neue Generation. Ich war nicht darauf vorbereitet worden. Alle, die vor und neben mir «10 vor 10» moderiert hatten, waren doppelt so alt wie ich.

Sie waren eine Bedrohung für alle.
Das kann ich nicht beurteilen. Fakt ist: Mir wurde nach drei Monaten ein Preis verliehen, der «Tele»-Preis, der damals eine grosse Bedeutung in der Branche hatte und – ein bisschen überspitzt – als Oscar des Schweizer Fernsehens galt. Dass ich, frisch aus dem Mutterschaftsurlaub, ihn bekam und nicht jemand, der schon zwanzig Jahre im Business war, kam nicht überall gut an. Rückwirkend betrachtet, war es eine gute Lebensschule.

«Ich erlebe seit 25 Jahren, wie oft wir Frauen überzeugen müssen, bis sie als Interviewpartnerinnen zur Verfügung stehen»

Was sagen Sie zur Gendersprache?
Das ist ein schwieriges Thema. Beim Moderieren spreche ich von Kunstschaffenden oder von Künstlerinnen und Künstlern. Ich fühle mich in der Pflicht, alle anzusprechen. Bisher mussten wir Frauen uns immer mitgemeint fühlen, wenn von Künstlern oder Journalisten die Rede war.

Haben Sie sich deswegen diskriminiert gefühlt?
Als junge Journalistin nicht, damals gab es dieses Bewusstsein nicht. Das kam erst später. Ich war im Gründungsteam von Tele Züri vor bald 30 Jahren, und es stellte sich nie die Frage, wie viele Frauen in diesem Team vertreten sein müssen. Zum Glück ist Roger Schawinski ein Freund der Frauen, und so war der Frauenanteil, wenn ich mich recht erinnere, bei etwa 50 Prozent.

Wie ist es heute beim Schweizer Fernsehen?
Bei uns im Team sind die Frauen gut vertreten, und wir bemühen uns auch, gleich viele Interviewpartnerinnen zu haben wie -partner.

Weshalb ist das Genderthema plötzlich aktuell geworden?
Ich weiss nicht, ob es plötzlich aktuell geworden ist. Für mich hat sich das Thema in den letzten zehn Jahren entwickelt. Feminismus hat heute viel mehr Sexappeal, es gibt nicht mehr nur Alice Schwarzer, die sich dafür einsetzt.

Was war Ihr beruflicher Höhepunkt bisher?
Als ich damals zu «10 vor 10» kam, war es für mich als junge Frau ein grosser Moment. Viel Aufregung. Aber die Zeit beim «Kulturplatz» – und es sind mittlerweile siebzehn Jahre – hat eine grössere Bedeutung. Das ist ein Langstreckenlauf mit einem Team, mit dem ich so vieles erlebt habe. Das ist viel prägender und spannender.

Im Gegensatz zu vielen Frauen, deren Anliegen Sie vertreten, schienen Sie immer angstbefreit, wechselten oft den Job, ohne Rücksicht auf einen Prestigeverlust. Nach «10 vor 10» haben Sie sogar «Big Brother» moderiert.
Ich bin ein ziemlich angstfreier Mensch, das habe ich wahrscheinlich von meinen Eltern mitbekommen. Ein grosses Glück. Ich war neugierig, wollte vieles ausprobieren und bin immer wieder auf die Füsse gefallen. Nach drei Jahren als Moderatorin von «10 vor 10» musste ich mich befreien, die Boulevardpresse wollte aus mir ein «Schätzchen der Nation» kreieren, das passte mir nicht. Ich wollte provozieren und wechselte zu TV 3 in die Unterhaltung und erst noch zu «Big Brother». Es war aber gut, konnte ich doch mit meinem Mandat bei «Kulturzeit» auf 3sat diesen Pfad wieder verlassen. Heute bin ich froh, dass ich diesen Mut hatte, mich auszuprobieren. Das ist es, was junge Leute tun sollten, sich ausprobieren. Der Haken bei mir war einfach, dass die ganze Schweiz zuschaute.


Das vollständige Interview mit Eva Wannenmacher lesen Sie in der Dezember-Ausgabe von «persönlich». Alle Abo-Informationen finden Sie hier



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