13.05.2022

Peter Balsiger

«Es ging plötzlich auch um mein Überleben»

Er war unter anderem Chefredaktor vom Blick sowie der Schweizer Illustrierten und mehrere Jahre als Kriegsreporter in Vietnam tätig. Im Interview spricht Peter Balsiger über Journalismus in Kriegszeiten und seinen neuen Roman «Der letzte Chindit».
Peter Balsiger: «Es ging plötzlich auch um mein Überleben»
Peter Balsiger war Chefredaktor von verschiedenen Medien und Kriegsreporter in Vietnam. Nun stellt er seinen Roman «Der letzte Chindit» vor. (Bilder: zVg)

Herr Balsiger, wie fest macht Ihnen die jetzige Weltlage Angst?
Das Schlimmste steht uns wohl noch bevor in der Ukraine. Und wir müssen diesem Massenmord an der Grenze zur Nato und der EU ohnmächtig zuschauen. Putin, der uns und die westliche Demokratie verachtet und ganze Städte zerbomben lässt, würde eine Niederlage auf dem Schlachtfeld nie akzeptieren, das wäre ein zu grosser Prestigeverlust. Und damit besteht die Gefahr, dass dieser Krieg über die Grenzen der Ukraine hinaus eskaliert. Klar, das macht mir Angst. Und ich habe keine Vorstellung, wie dieser Kriegsverbrecher zu stoppen ist und ob es noch einen Ausweg gibt.

Sie waren in den 1960er-Jahren für den Blick in Vietnam als Kriegsreporter unterwegs. War dieser Krieg mit dem aktuellen in der Ukraine vergleichbar?
Nur auf den ersten Blick: auf der einen Seite eine hochgerüstete übermächtige Armee – wie die Amerikaner in Vietnam –, auf der anderen Seite ein zahlenmässig und materialmässig weit unterlegener Gegner – wie die Nordvietnamesen und der Vietcong. Wichtigster Unterschied zur Ukraine: das Terrain. Ein Grossteil Südvietnams bestand aus Dschungel, die Strategie der Amerikaner war nicht, Gelände einzunehmen und zu halten – mit Ausnahme der Städte –, sondern den Feind im Dschungel aufzuspüren und zu vernichten. In der Ukraine operieren die Kriegsparteien jedoch mehrheitlich in einem urbanen Terrain. Das ist ein Vorteil für die Verteidiger, denn moderne urbane Kriegsführung kann das Gleichgewicht zugunsten des Verteidigers verschieben. Eine Gemeinsamkeit aber gibt es: Krieg ist letztlich eine Frage des Willens, und die Ukrainer werden den Russen mit ihrer enormen Opferbereitschaft und Leidensfähigkeit beweisen, dass sie sich nicht dauerhaft besetzen lassen. Genau wie damals die Vietnamesen.

Welche «Talente» muss ein Kriegsreporter haben?
Er muss bereit sein, sein Leben mit den Soldaten zu teilen und keine Sonderbehandlung zu erwarten oder einzufordern. Das hiess zum Beispiel damals in Vietnam: Uniform zu tragen, sich tagelang von Notrationen zu ernähren, sein Schützenloch selbst zu graben, Befehlen zu gehorchen – auch wenn sie von einem 18-jährigen Gefreiten stammten. Krieg ist vor allem das Fehlen von Sicherheiten. Das muss man als Reporter erst mal akzeptieren, dass man verwundet oder getötet werden kann. Ein Reporter muss sich im Einsatz jeden Tag die Frage stellen: Welches Risiko bin ich bereit einzugehen? Überspitzt formuliert: Lohnt es sich, für eine gute Schlagzeile zu sterben? Es gab Kollegen, die sich für unverwundbar hielten und infiziert waren von Abenteuerlust und vom süssen Gift der Kriegsbegeisterung. Ihre Überlebenschancen waren meist nicht hoch.

Kamen Sie selber in lebensgefährliche Situationen?
Mehrfach. Gleich bei meinem ersten Einsatz, nur wenige Tage nach meiner Ankunft, geriet ich im Dschungel des Hochlandes mit einem 28 Mann starken Zug einer amerikanischen Elitedivision in den Hinterhalt eines nordvietnamesischen Bataillons. Wir hatten schnell Verluste, der Zug war kaum noch kampffähig, und wir riskierten, vom Feind überrannt zu werden. Der Leutnant drückte mir die M16 eines Verwundeten in die Hand, wies mir eine Stellung zu und sagte: «Schiessen Sie, wenn einer kommt!» Es kam keiner, aber ich hätte tatsächlich geschossen. Es ging ja plötzlich auch um mein Überleben.

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Wie fest verändert einen eine solche Kriegserfahrung?
Ich hatte Mühe, nach meiner Rückkehr in die Schweiz wieder in ein normales Leben zurückzufinden. Alles hier war farblos und langweilig. Es gehört zur Faszination eines Krieges, dass man Gefühle empfindet und Erfahrungen macht, die man als normaler Mensch nie erleben würde. Ich habe später eine durchaus normale bürgerliche Karriere gemacht. Aber da war immer auch diese heimliche Sehnsucht nach Abenteuer und Risiko, die ich allerdings problemlos in meinem Journalistenjob ausleben konnte. Etwa mit den Lebensmittelkonvois durch die Sahara nach Mali oder ins Kriegsgebiet in Bosnien, meinem Wechsel in die Fliegerei mit Luftrennen und Flügen quer durch Afrika oder Asien, meiner Arbeit als «Mediensöldner» in Osteuropa und Asien.

Sie haben soeben Ihren ersten Roman, «Der letzte Chindit», veröffentlicht, eine Geschichte, die auch im Fernen Osten spielt. Was hat Sie bewogen, literarisch tätig zu sein?
Das war eigentlich einem Zufall geschuldet. Beim Aufräumen im Keller hatte ich einen Konzeptentwurf für einen Roman gefunden, den ich zu Beginn der 1990er-Jahre geschrieben hatte. Noch im Keller las ich das längst vergessene und inzwischen vergilbte Manuskript durch – und fand es spannend. So spannend, dass ich wenige Tage später damit anfing, das Konzept umzusetzen und diese damals wohl schnell hingeschriebenen Textskizzen mit Leben zu füllen. Einfach so. Aus Lust am Schreiben. Es ging in dem Roman um Vietnam. Um Burma. Um Abenteuer. Um Krieg. Ich hatte noch keine durchdachte Dramaturgie, keine Ahnung, wie und wo die Story enden würde. Aber ich hatte plötzlich viel Zeit. Corona lähmte das Leben, und meine Medienberatungsaufträge in Osteuropa waren wegen der Pandemie weggefallen. Eigentlich habe ich ein Buch geschrieben, das ich selber gern gelesen hätte.

Sie haben Hunderte von Reportagen geschrieben. Wodurch unterscheidet sich dieses Schreiben von der Tätigkeit eines Schriftstellers?
Eine Reportage vermittelt – in einer bildreichen Sprache – dem Leser das Gefühl, das Erzählte tatsächlich selbst zu erleben. Es geht also nicht nur um reine Informationen, um Fakten und Objektivität, sondern auch darum, Atmosphäre wiederzugeben und einen Spannungsbogen in der Story aufzubauen. Die Fakten müssen natürlich stimmen, und die Reportage muss objektiv sein. Ein Roman dagegen ist ein kreativer Prozess mit ganz anderen Gesetzmässigkeiten. Natürlich braucht ein Schriftsteller Talent, Leidenschaft und Willen. Aber vor allem braucht er Disziplin. Viel Disziplin, um durchzuhalten. Und er sollte über das schreiben, was er kennt, nur so schafft er die Authentizität, die ein Roman braucht. Auch die Recherche ist wichtig – der Leser muss erfahren, wie sich zum Beispiel das Leben im Dschungel anfühlt, wie es dort aussieht.

Sie leben heute in der Nähe von München. Wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken, was ist für Sie der Höhepunkt Ihrer Tätigkeit?
Aus journalistischer Sicht sicher meine Reportagen aus Vietnam. Oder meine grossen Interviews mit Boris Jelzin und Helmut Kohl.



Erstlesung

Am Donnerstag, den 2. Juni um 20 Uhr findet im Zürcher Kulturclub Kosmos (Europaallee) die Erstlesung von Peter Balsigers Roman «Der letzte Chindit» statt. Das Gespräch führt anschliessend Peter Rothenbühler. Peter Balsiger wird seinen Roman signieren. Es gibt auch noch einen Apéro. Der Eintritt ist frei.

Das Buch ist im Münsterverlag erhältlich.

Das ausführliche Interview mit Peter Balsiger lesen Sie in der aktuellen Ausgabe von «persönlich». Abo-Informationen finden Sie hier.


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