05.07.2013

"SonntagsZeitung"

"Es ist falsch, bei der Redaktion zu stark zu sparen"

Martin Spieler im Interview zum Abgang.
"SonntagsZeitung": "Es ist falsch, bei der Redaktion zu stark zu sparen"

Im Hart umkämpften Sonntagszeitungsmarkt wird niemandem etwas geschenkt. Nachdem Tamedia der "SonntagsZeitung" drastische Sparmassnahmen auferlegte, wurde am Freitag der Abgang von Chefredaktor Martin Spieler bekannt. Die 4,5-Millionen-Sparvorgaben waren laut Spieler Anlass für "einige harte Diskussionen" mit der Tamedia-Konzernleitung. Sein Abgang habe nichts mit einem verschlechterten Verhältnis mit Pietro Supino zu tun und stehe auch nicht im Zusammenhang mit den im Herbst erwarteten Wemf-Zahlen, sagt der 49-Jährige im Interview.

Herr Spieler, warum geben Sie per Ende Jahr die Chefredaktion der SonntagsZeitung ab?
Ich habe mich entschieden, die Chefredaktion der SonntagsZeitung nach dreieinhalb Jahren per Ende 2013 abzugeben, um mich mit einem eigenen Unternehmen als Wirtschafts- und Finanzexperte selbständig zu machen. Es war immer mein Ziel, irgendwann meine eigene Firma zu gründen. Unternehmer zu werden. 

Sie hätten sich mit Pietro Supino nicht mehr verstanden, heisst es. 
Wir haben keinen Streit. Wenn wir uns nicht mehr verstanden hätten, wie Sie behaupten, hätten er und die Tamedia mir sicher nicht ein wichtiges Mandat für meine neue Firma erteilt. Auch würde ich die Redaktion sicher nicht bis Ende Jahr weiterhin führen. Als Geldberater der SonntagsZeitung bin ich auch ab 2014 eines der Aushängeschilder der SonntagsZeitung und damit auch der Tamedia.

Sie wurden auch schon als "verlängerter Arm von Pietro Supino" beschrieben (vgl. medienwoche.ch). Aus welchem Grund ist nun das Verhältnis zwischen Ihnen und dem Tamedia-Verleger getrübt?
Ich fühle mich nicht als verlängerter Arm unseres Verlegers. Das ist absurd. Ich bin seit über 20 Jahren im Journalismus und werde im nächsten Jahr 50 Jahre alt: Das ist ein guter Zeitpunkt, um ein persönliches Ziel, auf eigener Basis unternehmerisch tätig zu sein, anfangs 2014 umzusetzen.

Die "SonntagsZeitung" kam durch zunehmende Konkurrenz immer stärker unter Druck. Dem Vernehmen nach soll die SoZ bei den nächsten Wemfzahlen im September (WEMF Mach 3, d) stark verlieren. Hat Ihr Abgang damit zu tun?
Nein. Der Konkurrenzkampf unter den Sonntagstitel ist extrem hart und wahrscheinlich der meist umkämpfte Bereich im Schweizer Mediensektor. Die SonntagsZeitung steht in diesem harten Wettbewerb publizistisch und wirtschaftlich gestärkt da und gewinnt am Werbemarkt sogar Marktanteile. Unter meiner Leitung haben wir die SonntagsZeitung publizistisch weiter entwickelt und u. a. ein nationales Recherche-Desk in Bern geschaffen und die Zusammenarbeit mit der Redaktion der Westschweizer Sonntags­zeitung Le Matin Dimanche deutlich ausgebaut. Die SonntagsZeitung verfügt über eine der besten Redaktionen in diesem Lande mit ausgezeichneten Talenten und hat in verschiedenen Dossiers die Themenführerschaft inne. Dank unserer Kooperation mit dem Bund und der Basler Zeitung gewinnen wir in diesen wichtigen Wirtschaftsräumen gegenüber der Konkurrenz nochmals deutlich Leser.

Inwiefern sind die kürzlich bekannt gewordenen Sparvorgaben der Tamedia ein Grund für Ihre Kündigung?
Es gehört zu meinen Aufgaben als Chefredaktor für die publizistische Qualität der SonntagsZeitung einzustehen und für die Ressourcen dieser starken Redaktion zu kämpfen. Es ist richtig, dass es deswegen einige harte Diskussionen zwischen mir und der Unternehmensleitung gegeben hat. Ich erachte es als falsch, bei der Redaktion zu stark zu sparen und werde mich auch künftig dafür einsetzen, dass die Ressourcen der Redaktion nicht deutlich vermindert werden. Das ist immer eine schwierige Gratwanderung zwischen publizistischen und ökonomischen Zielen. Ich werde mich auch in den nächsten Monaten dafür engagieren, dass die publizistische Qualität der SonntagsZeitung trotz Sparanstrengungen hoch bleibt.

Welche Sparvorgaben mussten Sie umsetzen? 
Die Redaktion wurde offiziell darüber informiert, dass die SonntagsZeitung als Ganzes, also Verlag und Redaktion, mittel- und langfristig 4,5 Mio. Franken einsparen muss. 

Müssen Sie auch Kündigungen vornehmen?
Momentan werden viele Lösungsansätze diskutiert. Konkrete Entscheide sind aber noch nicht gefällt.

Sie sind noch bis im Dezember im Amt. Werden Sie die Entlassungen selber vollziehen oder wird dies die Aufgabe Ihres Nachfolgers sein?
Ich werde das Projekt weiter begleiten und hoffe sehr, dass es keine Entlassungen geben wird. Dafür werde ich mich auch einsetzen. Entscheide gibt es noch keine.

Ihre Stellvertreter wirkten stärker gegen innen. Haben Sie die Aufgaben bewusst so aufgeteilt?
Ich verstehe mich als Teamplayer. Man soll und darf eine so grosse Redaktion nie alleine führen. Erfolgreich führen heisst immer auch richtig delegieren und die Talente in einer Redaktion möglichst optimal einsetzen. In diesem Sinne gebe ich meinen beiden Stellvertretern, Simon Bärtschi und Dominic Geisseler, aber ebenso allen Ressortleiterinnen und -leitern genügend Raum, damit sie sich einbringen und führen können. Eine so grosse Redaktion zu leiten ist nie eine One-man-Show, sondern eine Teamarbeit.

In Sachen Publizistik haben die "Enthüllungen" rund um Offshore-Leaks der SonntagsZeitung nicht den erhofften Ruhm gebracht, im Gegenteil. Gegen Gunther Sachs wurden keine Ermittlungen aufgenommen. Warum haben Sie zu diesem Thema keine Stellung bezogen im Editorial der letzten SonntagsZeitung?
Ich hatte mich zu einem früheren Zeitpunkt sehr wohl im Editorial zu Offshore-Leaks geäussert. Die SonntagsZeitung hat Gunther Sachs keine Steuerhinterziehung unterstellt und publizistisch keine Fehler gemacht. In seiner Steuererklärung sind Offshore-Strukturen nicht aufgeführt, das bezeichnete die Berner Steuerbehörden im Beitrag der Sonntagszeitung als "eine Lücke" - dies transparent zu machen ist Journalistenpflicht.

Die rechtfertigende Kolumne von Peter Studer war ein geschickter Schachzug. Haben Sie diesen eingefädelt?
Ich erachte es als viel eleganter, wenn eine Stimme von aussen beurteilt, ob wir unsere Sache gut gemacht haben oder nicht. Peter Studer hat die Kolumne von sich aus vorgeschlagen. Er war Präsident des Presserates und kommt zum gleichen Schluss wie ich.

Die Redaktion des Berner Recherche-Desk stand wohl auch unter Druck, nach wochenlanger Recherche tatsächlich etwas zu publizieren.
Sie stand unter keinem Druck und steht es bei keiner Geschichte. Wir können es uns leisten, auf eine Geschichte zu verzichten, wenn sie nicht wasserdicht ist. Uns interessieren nur Fakten und Beiträge, die für unsere Leserinnen und Leser relevant sind. Das war die Offshore-Leaks-Geschichte zweifellos. Mit ihren Recherchen und den journalistischen Leistungen war die SonntagsZeitung in guter Gesellschaft mit den besten Zeitungen der Welt wie "Washington Post", "Guardian" oder "Süddeutsche Zeitung".

Sprechen wir über Ihre Zukunft: Sie werden ab 2014 selbstständig im Journalismus tätig sein. Welche Art von Aufträgen stellen Sie sich vor?
Ja, ich werde mich als Wirtschafts- und Finanzexperte selbständig machen und auf eigener unternehmerischer Basis für bekannte Zeitungen, TV-Stationen und Radiosender publizistisch tätig sein. Zusätzlich zu meiner journalistischen Tätigkeit verfüge ich über mehr als 15 Jahre Erfahrung im Management , in der Führung von Unternehmen. Dieses Wissen und diese Erfahrung werde ich als unabhängiger Wirtschaftskonsulent im Rahmen meines eigenen Unternehmens weitergeben. Ich bin heute bereits in zwei Verwaltungsräten aktiv. Zusätzlich werde ich mein Wissen vermehrt als Referent auf Fachpodien und punktuell auch als Dozent an Hochschulen weitergeben.

Sie werden weiterhin für die SoZ schreiben. 
Ich war bereits früher während mehrerer Jahren erfolgreich Geldberater der SonntagsZeitung und habe auch ein Fachbuch dazu veröffentlicht. Mir macht es Spass, Fragen von Leserinnen und Lesern zu beantworten. Unabhängige Beratung im Finanzbereich dürfte in den nächsten Jahren eher noch wichtiger werden. Dies zeigt die Verunsicherung von vielen Sparern und Privatanlegern seit dem Ausbruch der Finanz- und Euroschuldenkrise. Ich freue mich die Leserinnen und Leser in ihren Finanzfragen zu unterstützen und dazu beizutragen, dass sie weniger verunsichert sind und selbständig die für sie richtigen Entscheide fällen können.

Interview: Edith Hollenstein, Bild: Keystone

 



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