Herr Bachmann, Sie tragen verschiedene Hüte, zum einen sind Sie frischgewählter Präsident von Kommunikation Schweiz, dem Dachverband der Schweizer Werbung, zum anderen setzen Sie sich als Präsident des Verbands Schweizer Privatradios für die Abschaltung des UKW-Netzes im Sommer 2022 und Frühjahr 2023 ein. Ist dies nach dem Rückzieher der ehemaligen Medienministerin Doris Leuthard noch realistisch?
Es wäre jedenfalls vernünftig. Das belegen die Hörerzahlen. Noch zwölf Prozent aller Hörerinnen und Hörer nutzen ausschliesslich UKW. Dank Kommunikationsmassnahmen sinkt diese Zahl weiter. Alle anderen hören digital. Über die Hälfte der Autos ist mit DAB+-Geräten ausgestattet. Diese Zahl steigt rasch, weil Neuwagen in der Regel ab Werk mit DAB+ ausgestattet sind. Zudem passieren 65 Prozent des Radiokonsums zu Hause, nur zwölf Prozent im Auto. Die Finanzpläne der Privatradios und der SRG sind auf das Abschaltdatum August 2022 für die SRG und Januar 2023 für die Privatradios ausgerichtet. Ich finde diesen Plan nach wie vor durchdacht, verantwortbar und stringent. Es wundert mich, wie wenig sich die aktive und ehemalige Politik für Fakten interessiert und sich von einer emotionalen Welle mitreissen lässt.
Was würde das Herausschieben der UKW-Abstellung für die Privatradios und die SRG bedeuten?
Es würde sie viel Geld kosten. Das würden sie lieber in ihre Programme investieren. Seit das BAKOM die Pflicht zur Verbreitung von UKW schon vor Jahren aufgehoben hat – heute ist es nur noch ein Recht – wurde das UKW-Netz auch nicht mehr instand gehalten, wie vorher. Das war auch nicht nötig, es gab ja alternative, digitale Verbreitungstechnologien, die von der Hörerschaft zunehmend genutzt wurden. Viele Radiostationen haben bereits in den vergangenen Jahren UKW-Sender ausser Betrieb genommen, weil sie zur Versorgung schlicht nicht mehr nötig waren. Das Geld konnte gespart und anders eingesetzt werden. Würde die Lebensdauer von UKW verlängert, müsste das Netz möglicherweise wieder aufgerüstet werden. Natürlich mit Kostenfolgen, die nicht nachhaltig wären.
«Für die Hörerinnen und Hörer ist der Nutzen von Roger Schawinskis Aktion überschaubar»
Wie ist die Stimmungslage momentan unter den Befürwortern des ursprünglichen UKW-Abschaltplans?
Die Radios haben sich zehn Jahre lang auf dieses Szenario eingerichtet und vorbereitet. Aber die Branche nimmt die Diskussion ernst. Und es ist ja nicht so, dass die UKW-Abschaltstrategie nie hinterfragt worden wäre. Wir waren zum Beispiel auch in Norwegen und haben uns dort bei grossen und kleinen, privaten und öffentlich-rechtlichen Radios informiert. Der Vorlauf von sechs Monaten, den die SRG den Privatradios gibt, ist zum Beispiel eine Lehre von diesem Norwegenbesuch. Zudem haben wir zweimal pro Jahr die Entwicklung der Hörerzahlen analysiert und interpretiert, haben auch die Marketingmassnahmen justiert und darauf ausgerichtet. Die Entwicklung hat unseren Plan bestätigt.
Könnte es in Bälde zu einem Kompromiss kommen?
Es gibt Szenarien. Die Radiobranche realisiert den UKW-Abschaltplan wie vorgesehen. Oder sie einigt sich auf ein Ende am 31. Dezember 2024 für alle Radios. Dann sind die Gestaltungsmöglichkeiten der Radiobranche ausgeschöpft. Ab 2025 gibt es in der Schweiz keine UKW-Konzessionen mehr. Das hat der Bundesrat vor vielen Jahren entschieden und ist schon lange bekannt. Die Politik müsste die Verwaltung beauftragen, neue UKW-Konzessionen zu erteilen. Und auch sagen, wer das bezahlen soll. Sollten SRG und Privatradios zu Kosten gezwungen werden, die aufgrund des analogen Radiokonsums kaum mehr vertretbar sind, hielte ich das auch staatspolitisch für bedenklich und wenig durchdacht. Der VSP steht zum Plan 2022/2023.
Sind Sie im Austausch mit Roger Schawinski und dem BAKOM?
Ja, ich höre beide regelmässig. Roger Schawinski weiss, dass ich seine Aktion nicht gut finde. Sie führt zu Kosten, die nicht geplant sind und von den Radios getragen werden müssen, auch von seinem. Der Radiomarkt fragmentiert sich. Die Werbeumsätze für die klassischen Radios gehen eher zurück und verlagern sich auf neue Audioangebote. In dieser Situation ist es unternehmerisch wenig weitsichtig, neue Kosten zu produzieren für einen schwindenden Teil der Hörerschaft. Die Vertreterinnen und Vertreter von BAKOM und UVEK haben den Prozess immer unterstützt. In meiner Wahrnehmung sehe ich bei der gegebenen Faktenlage keinen Grund, jetzt davon abzuweichen. Und für die Hörerinnen und Hörer ist der Nutzen von Roger Schawinskis Aktion überschaubar, denn die allermeisten haben sich schon jetzt an eine digitale Empfangstechnologie gewöhnt.
«KS/CS will die zunehmende Werbefeindlichkeit bekämpfen»
Themenwechsel: In dieser Session will der Ständerat noch über die Verschärfung des Tabakgesetzes diskutieren. Was würde dies für die Werbebranche bedeuten?
Es wäre vor allem ein Tabubruch. Ein Produkt, das legal hergestellt und gekauft werden kann, dürfte nicht mehr beworben werden. Das kann nicht sein. Die verfassungsmässigen Rechte der Werbebranche würden damit schlicht ignoriert. Das wäre ein unzulässiger Eingriff in die Volkswirtschaft. Dagegen setzt sich KS/CS engagiert ein.
Der Ständerat will dabei weitergehen als der Nationalrat. Warum ist dies der Fall?
Das ist schwer nachzuvollziehen. Sachlich begründen lässt es sich aus unserer Sicht nicht. Es ist eines der Ziele von KS/CS, die zunehmende Werbefeindlichkeit zu bekämpfen, auch wenn diese vielleicht gerade den Zeitgeist widerspiegelt.
Wie gross ist das Verständnis der Parlamentarierinnen und Parlamentarier gegenüber dem Anliegen der Werbebranche, vor allem nach der Pandemie?
Jetzt, da Einschränkungen wegen Covid zurückgehen und der Bundesrat der Schweiz wieder ermöglicht, in Fahrt zu kommen, stehen wir hoffentlich vor einem Aufschwung. Dieser Aufschwung darf nicht durch Werbe- und andere Verbote behindert werden. Wir hoffen darum auch bei diesem Thema auf ein Einlenken des Ständerates auf die Linie des Nationalrates.
«Jetzt ist Tabak im Visier, Fleischwerbung könnte das nächste Thema sein»
Wie gross ist die Gefahr, dass es noch zu weiteren Einschränkungen neben der Zigarettenwerbung kommt?
Die Gefahr ist tatsächlich nicht zu unterschätzen. Das zeigt auch ein Blick in die Nachbarländer und auf Aktionen in Brüssel. Ein Werbeverbot auszusprechen ist einfach, auch wenn es keine Lösung ist. Jetzt ist Tabak im Visier, Fleischwerbung könnte das nächste Thema sein. Auch Werbeverbote für Flugreisen wurden jüngst gefordert. Ich finde, das ist kein guter Weg. Die Werbebranche hat eine lange Tradition im Bereich der Selbstregulierung, da lässt sie mit sich reden. Aber ein Grundsatz scheint mir in einer funktionierenden Demokratie und Volkswirtschaft indiskutabel: Für legal erhältliche Produkte und Dienstleistungen darf auch geworben werden.
Welches Thema beschäftigt Sie als vielbeschäftigter Verbandspräsident momentan am meisten?
Bei den Privatradios sind es die strategischen Themen: Mit welchen Rahmenbedingungen stellen wir schon heute sicher, dass es auch in 20, 30 Jahren Schweizer Privatradios gibt, die im fragmentierten Angebot auf allen Geräten gefunden werden und damit genügend Reichweite generieren, um am Werbemarkt refinanziert zu werden? Das erfordert vertiefte Auseinandersetzung mit Fragen der rechtlichen Grundlagen, der Nutzungsforschung, der sich verändernden Hörgewohnheiten und der Technologie. Bei KS/CS ist es die Frage, wie wir vermeiden, dass die Politik gesellschaftliche Probleme, die sie lösen möchte, aber offenbar nicht kann, zur Gewissensberuhigung einfach mit Werbeverboten belegt. Und ja, die UKW-Abschaltdiskussion beschäftigt mich ebenfalls. Auch wenn ich sie persönlich nicht entscheidend finde für die erfolgreiche Zukunft des Mediums Radio. Da sind andere Themen massgeblich.
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08.06.2021 13:11 Uhr