Das Kantonsgericht Zug hat entschieden, dass Ringier der ehemaligen Zuger Kantonsrätin Jolanda Spiess-Hegglin wegen vier persönlichkeitsverletzender Artikel 309'531 Franken plus Zinsen in der Höhe von fünf Prozent zahlen muss (persoenlich.com berichtete). «Dieses Urteil gefährdet die Medienfreiheit in unserem Land: Journalistinnen und Journalisten werden unter diesen Vorzeichen das ‹Risiko› einer personenbezogenen Berichterstattung kaum mehr eingehen wollen», schrieb Ladina Heimgartner, CEO Ringier Medien Schweiz, in einer Stellungnahme vom Montag. Ringier kündigte an, das Urteil beim Obergericht des Kantons Zug anzufechten.
«Beim aktuellen Urteil im Fall Ringier und Jolanda Spiess-Hegglin geht es nicht um die Persönlichkeitsverletzung, sondern um eine mögliche Gewinnherausgabe», hält der Verlegerverband Schweizer Medien (VSM) gegenüber persoenlich.com fest. Ringier habe sich mehrfach entschuldigt und sich von der damaligen Art der Berichterstattung distanziert, ziehe dieses Urteil aber weiter ans Obergericht. Der VSM begrüsst dieses Vorgehen. «Die festgelegte Summe von über 300'000 Franken ist aus Sicht des VSM schlecht begründet und widerspricht allen ökonomischen Grundlagen im Verlags- und Medienwesen», heisst es in einer Stellungnahme. Mit einzelnen Artikeln sei es unmöglich, einen derartigen Gewinn zu erzielen. «Das Urteil ist auch brandgefährlich für die Medienfreiheit, weil es künftig leichter würde, Verlage mit der Androhung von Klagen einzuschüchtern und von Recherchen abzuhalten. Vor allem für kleinere Verlage mit weniger finanziellen Ressourcen dürfte diese Gefahr erheblich werden.» Das Urteil erhöhe den Druck auf die Schweizer Medien und auf die Arbeit der Journalistinnen und Journalisten.
«Pauschale Diskreditierung» bedenklich
Der Entscheid sei in seiner Grundausrichtung keine Überraschung, sondern bewege sich im Rahmen bisher bekannter Präjudizien, so Urs Saxer, Medienrechtler der Universität Zürich, auf Anfrage. «Auffällig ist indes, wie intensiv sich das Gericht, auf der Basis des von Frau Spiess-Hegglin in Auftrag gegebenen Gutachtens von Hansi Voigt, mit der Berechnung des abschöpfbaren Gewinns auseinandersetzt. Inwieweit diese Berechnungen richtig oder falsch sind, bleibe dahingestellt», so Saxer zu persoenlich.com. Es zeige auf jeden Fall, dass solche Verfahren sehr aufwendig seien – für Betroffene als auch für Medien. «Bedenklich, aber auch nicht neu, sind die Beweiserleichterungen für Klagen gegen Medien mit Bezug auf die Kausalität zwischen der Berichterstattung und dem geltend gemachten Schaden sowie bei der Berechnung des Schadens. Dies wird es wohl schwierig machen, den Entscheid erfolgreich anzufechten», so Saxer, und ergänzt: «Bedenklich ist schliesslich die pauschale Diskreditierung dessen, was das Gericht unter Boulevardjournalismus versteht.»
Das – noch nicht rechtskräftige – Urteil des Zuger Kantonsgerichts zugunsten von Jolanda Spiess-Hegglin sei «bemerkenswert» und werde in der Schweiz «noch lange zu reden geben», so Reporter ohne Grenzen Schweiz. «Die Persönlichkeitsverletzung, die die ehemalige Zuger Kantonsrätin erfahren musste, war zweifelsohne gravierend und beispiellos. Ringier wurde dafür in der Vergangenheit bereits zurecht gerügt.» RSF Schweiz werde aber gleichzeitig genau beobachten, wie sich dieses erstinstanzliche Urteil auf die Schweizer Medienlandschaft und auf die Pressefreiheit auswirke. «Es darf nicht als Grundlage für zukünftige Klägerinnen und Kläger dienen, um wichtige, im öffentlichen Interesse stehende Recherchen – vor allem im Investigativjournalismus – zu beeinträchtigen oder gar zu verhindern», heisst es in der Antwort an persoenlich.com.
Dass über Rechtsanwälte und Gerichte Druck auf recherchierende Journalistinnen und Journalisten ausgeübt werde, sei eine Tatsache. «Oft handelt es sich dabei um ein fragwürdiges Powerplay, bei dem diejenigen im Vorteil sind, die die Kosten solcher Verfahren aufbringen können», hält Eva Hirschi, Geschäftsführerin von investigativ.ch, in ihrem Statement fest. Vor diesem Hintergrund berge das Urteil Spiess-Hegglin ein gewisses Missbrauchspotenzial. «Im konkreten Fall jedoch liegt die Situation anders: Hier wird ein klares und allgemein als unethisch anerkanntes Verhalten sanktioniert. Die grundlegende Argumentation des Urteils erscheint daher gerechtfertigt.» Dennoch bleibe die Frage offen, ob die Berechnung des entstandenen Gewinns im konkreten Fall zutreffend ist, so Hirschi. «Entscheidend wird sein, dass Gerichte künftig eine klare Abgrenzung schaffen: einerseits gegenüber Fällen, in denen mit unethischen Methoden Gewinne erzielt werden, und andererseits gegenüber ungerechtfertigten Angriffen auf Medien, die im öffentlichen Interesse recherchieren. Nur so lässt sich sicherstellen, dass investigativer Journalismus nicht gefährdet wird.»
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03.02.2025 16:25 Uhr