07.09.2017

20 Minuten

Experten-Statements landen direkt im Redaktionssystem

Mit der App «Tamedia-Video» können nicht nur Journalisten, sondern auch Politiker, Wissenschaftler oder andere Experten eigene Smartphone-Videos direkt ins «20 Minuten»-Redaktionssystem einspeisen. Nun soll diese App unternehmensweit eingeführt werden.
20 Minuten: Experten-Statements landen direkt im Redaktionssystem
Der Newsroom von «20 Minuten». (Bild: 20 Minuten)
von Tim Frei

Das Mikrophon hat Jörg Buckmann an seinem schwarzen Kittel angeknöpft, sein Smartphone ist auf ihn gerichtet, die rote Aufnahmetaste blinkt. Konzentriert setzt der Buchautor und Personalexperte zu einem Videostatement an: «Die Situation rund um die Arbeitszeugnisse ist komplett ausser Rand und Band. Sie gehören abgeschafft». Der Beitrag ist Teil eines Artikels auf 20min.ch. Gefilmt wurde dieser nicht von einem Journalisten. Buckmann selber hat ein Selfievideo gedreht und dieses direkt ins «20 Minuten»-Redaktionssystem hochgeladen. «Wir haben eine App entwickelt, mit der Experten und unsere Journalisten Handyvideos direkt ins Redaktionssystem einspeisen können», erklärt Gaudenz Looser, stellvertretender Chefredaktor von «20 Minuten», auf Anfrage von persoenlich.com. Die App mit dem Projektnamen «Horus» hatte Public-Eye-Sprecher Oliver Classen bereits am vergangenen Samstag in der «Neuen Zürcher Zeitung» erwähnt.

Bildschirmfoto 2017-09-07 um 16.49.30


«Die App läuft jetzt unter dem Namen Tamedia-Video», erklärt Looser. «20 Minuten» hat sie initiiert, finanziert wurde sie durch den Innovationsfond von Tamedia. «Nun wird sie schrittweise bei den Newsportalen von ‹BZ Berner Zeitung›, ‹Der Bund›, ‹Tages-Anzeiger›, ‹24 heures›, ‹Le Matin› und ‹Tribune de Genève› eingeführt», erklärt eine Sprecherin auf Anfrage von persoenlich.com.

Classen kritisierte in seinem NZZ-Artikel das «20 Minuten»-Produkt: «Innovationen wie diese App, die Experten zu inoffiziellen und ungefilterten Ambassadoren macht, sind eher Teil des Problems als der Lösung, wenn es um den Glaubwürdigkeitsverlust der vierten Gewalt geht». Eine Kritik, die Looser nicht verstehen kann: «Die Expertenvideos werden vor der Veröffentlichung journalistisch aufbereitet – zum Beispiel geschnitten, mit Gegenpositionen kombiniert, mit Nachfragen ergänzt oder es würden Kürzungen vorgenommen.» Deshalb sei Classens Vorwurf völlig unbegründet.

*Auch wenn das Material aufbereitet wird: Kritisch könnte ein anderer Punkt sein, nämlich; wer überhaupt Zugang erhält zur App. «Für die Verwendung der App braucht es einen Zugangscode. Angefragte Experten erhalten diesen bei Interesse für einen eigenen Videobeitrag», erklärt Looser. Wieviele Expertenvideos bereits an «20 Minuten» übermittelt wurden, kann er auf Anfrage von persoenlich.com nicht sagen.

Als Experten seien vor allem Wissenschaftler, Politiker und Interessensvertreter vorgesehen. «Grundsätzlich kommt aber jeder mögliche Ansprechpartner in Frage, mit dem die Journalisten in regelmässigem Austausch stehen», sagt Looser weiter. Die «Tamedia-Video»-App biete innerhalb der normalen redaktionellen Tätigkeiten lediglich eine alternative elektronische Kommunikationsform zu den herkömmlichen Kommunikationsmitteln, wie Telefon und E-Mail.  

Die Videoapp wird gemäss Looser primär von den eigenen Journalisten eingesetzt. «Sowohl Livestreams als auch Videos der Redaktoren können mit dem Handy direkt in das Redaktionssystem von ‹20 Minuten› eingespeist werden», erläutert er. Wie im Fall der Expertenvideos würden jene der Redaktoren nicht direkt auf der Website publiziert, sondern zuvor von der Redaktion zuerst journalistisch aufbereitet. «Beim Livestream kommt hinzu, dass der zuständige Videoblattmacher dem Journalisten Regieanweisungen geben kann – wie beispielsweise mitteilen, wann dieser live ist», so Looser.

Die Livestreaming-Funktion sei für Experten eigentlich nicht vorgesehen. «Wir könnten es aber fallweise zulassen – zum Beispiel in der Rolle eines Gastkommentators», sagt Looser.

«App erleichtert und beschleunigt Arbeit enorm»

Bei der Videoübermittlung könnten die Journalisten zudem Titel, Lead, Überschrift und Bildlegende ins CMS einfügen sowie Bilder hochladen. «Bisher erfolgte die Videoübermittlung über E-Mail, die ‹20 Minuten›-App oder WeTransfer – das war mit viel Aufwand verbunden, teils unzuverlässig und langwierig», sagt Looser.

Insofern erleichtere und beschleunige die Video-App die Arbeit enorm. Das Hochladen der Videos sei kein Problem mehr: «Die App passt die Bildqualität entsprechend der verfügbaren Verbindung an».

«Tamedia-Video» im Rahmen der «Video-Offensive»

Hintergrund der App ist die vor einem Jahr lancierte «Video-Offensive» bei Tamedia. «Insbesondere im Mobile-Bereich nehmen Bewegtbilder eine immer grössere Rolle ein», unterstreicht Looser. Seit der Lancierung der App seien Videos ein fixer Bestandteil ihrer journalistischen Arbeit – alle Redaktoren seien seither fähig, Videos zu filmen und in die Artikel zu integrieren.

Das kommt offenbar an: «Die meisten finden die Arbeit eine Bereicherung, da das Spektrum der Darstellungsformen erweitert wird», sagt Looser gegenüber persoenlich.com. Zudem seien sich die Journalisten bewusst, dass Video heute schlicht zu den zeitgemäss erforderlichen Skills gehöre, um die Generation «Youtube» ansprechen zu können.

 

***
Anmerkung der Redaktion: *Diese Texstelle hat die Redaktion nachträglich geändert, auf Wunsch von Gaudenz Looser. Looser hatte eingewendet, dass er mit den in der ersten Version angeführten Fragen nicht konfrontiert worden war («Wer hat überhaupt Zugang zur App? Mediensprecher? Sind es alle, oder nur ausgewählte Parlamentarier? Alle Wirtschaftsführer oder nur die lautesten?»).

In der ursprünglichen Version hiess es: «Auch wenn das Material aufbereitet wird: Kritisch ist auch ein anderer Punkt, nämlich wer überhaupt Zugang erhält zur App. Mediensprecher? Sind es alle, oder nur ausgewählte Parlamentarier? Alle Wirtschaftsführer oder nur die lautesten?»

Edith Hollenstein, Redaktionsleiterin persoenlich.com
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Kommentare

  • Katharina Burckhardt, 21.09.2017 15:57 Uhr
    Das ist empörend! Diese Idee ist von einer Firma gestohlen die mit Tamedia eine Partnerschaft für dieses Tool eingehen wollte. Der Grossverlag hat das Video-Tool praktisch 1:1 umgesetzt, sogar die hier zitierten Anwendungsgebiete entstammen unverändert der damaligen Präsentation. Das Mindeste wäre, dass der Erfinder des Tools für seinen Aufwand und die Idee entschädigt würde. Aber er wurde nicht mal informiert. Ob das nun juristisch gesehen Diebstal von geistigem Eigentum ist oder nicht, es ist eine unglaubliche Unverfrorenheit. Innovative, kreative Menschen sollten sich vor Tamedia in Acht nehmen.
  • Dieter Widmer, 08.09.2017 05:12 Uhr
    Es verwundert mich, dass sich die 20.Min.-Redaktion diese App hat aufschwatzen lassen. Es lädt ja gerade zu ein, über die App seine eigene Botschaft zu aktuellen Fragen zu platzieren. Wie sollen dann Gegenpositionen in ein Video integriert werden, wenn der erste Videobeitrag gar nicht auf die eigentlichen Fragen der Redaktion antwortet?
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