25.02.2024

SRG Dialog

Händisch moderiert statt algorithmisch generiert

6500 registrierte User, 29 Debatten mit über 3000 Kommentaren: Seit einem halben Jahr experimentiert die SRG mit einer eigenen Dialogplattform. Projektleiter Marco Morell mit einer Zwischenbilanz zum «digitalen Debattierzimmer» der SRG.
SRG Dialog: Händisch moderiert statt algorithmisch generiert
Das Team um Projektleiter Marco Morell geht bei der Moderation grosszügig vor und macht damit gute Erfahrungen. (Bilder: zVg)

Bis Ende 2023 sagte «Club»-Moderatorin Barbara Lüthi jeweils zum Schluss ihrer Sendung: «Wenn Sie weiterdiskutieren wollen, dann machen Sie das auf den sozialen Medien.» Seit 2024 klingt die Aufforderung zur Debatte etwas anders. Inzwischen sagt Lüthi: «Wenn Sie weiterdiskutierten wollen, dann machen Sie das auf der SRG-Plattform Dialog.» Um das neue Angebot bekannt zu machen, erklärt Lüthi dann noch, wie man dorthin findet, und zitiert publizierte Diskussionsbeiträge.

Auch wenn hier die neue SRG-Plattform anstelle von Twitter & Co. angepriesen wird, sehen die Verantwortlichen das neue Diskussionsforum nicht als Konkurrenz zu den gängigen Social-Media-Diensten, sondern als Ergänzung oder Alternative.

Anonymität möglich

Grundsätzlich verfolgt Schweizer Radio und Fernsehen SRF die Strategie, sich auf eigene Plattformen zu konzentrieren und Angebote wie Instagram oder Tiktok einzusetzen, «wo wir unser Publikum nicht mehr erreichen», wie es auf Anfrage heisst. Drittplattformen sollen zudem helfen, das Publikum zu den eigenen Plattformen zu führen.

So gesehen folgt das laufende Pilotprojekt dem strategischen Ziel. Wobei Eigenplattform nicht zwingend heissen muss, dass man sie auch selbst entwickelt hat. Die technische Infrastruktur für das neue User-Forum stellt die französische Firma Logora bereit, die das System bereits bei Dutzenden anderer Medien erprobt hat. Neben zahlreichen französischen Medien setzt auch der Spiegel auf diese Plattformlösung.

Ein halbes Jahr nach der Lancierung von «SRG Dialog» zieht Projektleiter Marco Morell ein positives Zwischenfazit. «Die Debattenbeiträge der Nutzerinnen und Nutzer bewegen sich auf einem erstaunlich hohen Niveau», sagt Morell im Gespräch mit persoenlich.com. Es mache Spass, die Kommentare zu lesen.

Das gut zehnköpfige Team des Dialog-Projekts liest jeden Beitrag vor der Veröffentlichung. Diese Kontrolle macht es auch möglich, dass die Userinnen und User anonym bleiben können. Die SRG kennt lediglich ihre E-Mail-Adresse.

Jede Wortmeldung in fünf Sprachen

Die Prüfung der einzelnen Beiträge vor der Publikation erfolgt auch deshalb, weil die einzelnen Wortmeldungen automatisch übersetzt werden, damit sie in den vier Landessprachen plus Englisch zur Verfügung stehen. «Die KI leistet da zwar schon erstaunlich gute Arbeit, aber es gibt zum Teil Sätze, die in der anderen Sprache nicht funktionieren und die wir noch anpassen müssen, damit sie Sinn ergeben», sagt Morell.

Die händische Moderation und die Mehrsprachigkeit verlangsamen den Publikationsprozess. «Am Anfang machte ich mir Sorgen, dass das schlecht ankommen könnte bei den Nutzerinnen und Nutzern. Aber bisher hat sich bei uns niemand darüber beschwert», sagt Morell. Das mag auch daran liegen, dass die Community, die sich im neuen Diskussionsforum austauscht, noch einigermassen überschaubar ist.

Seit der Lancierung der Dialog-Plattform haben sich nach Angaben der SRG rund 6500 Userinnen und User registriert. Bisher wurden 29 Debatten mit insgesamt rund 3000 Kommentaren geführt. Allein über 650 Beiträge davon gab es bisher zur Diskussion um eine 13. AHV-Rente, über die am 3. März abgestimmt wird.

Nur etwas mehr als drei Prozent der Kommentare hat die Redaktion zurückgewiesen, weil sie gegen die Spielregeln verstiessen. «Unser Ansatz ist es, möglichst grosszügig zu sein und lieber selber einen Kommentar zu verfassen, der zur Mässigung mahnt, als gleich zu löschen, wenn der Ton mal etwas harscher wird», erklärt Projektleiter Morell die Moderationspolitik.

Teil einer grösseren Übungsanlage

Das mehrsprachige Diskussionsforum der SRG ist Teil einer grösseren Übungsanlage, die auf den Kern des Service public zielt: Den Austausch zwischen den Sprachregionen, wie dies die Konzession verlangt.

Zwei weitere Teilprojekte versuchen, diesen Anspruch ebenfalls zu erfüllen. Zum einen bietet die Dialog-Plattform – quasi als Input und Einladung zur Debatte – ausgewählte Beiträge aus sämtlichen Sprachregionen der Schweiz in übersetzter Form an. So kann man beispielsweise auf Deutsch einen Artikel von RTS lesen und erfährt die Perspektive aus der Romandie auf Thema X oder Y. Zum anderen führt das Forschungsinstitut Gfs.Bern im Auftrag der SRG in mehreren Wellen die Umfrage «Wie geht's, Schweiz?» durch, welche die Befindlichkeit der Bevölkerung misst.

Was dereinst aus dem Ganzen werden soll, lasse sich heute noch nicht sagen. «Wir haben erst angefangen», gibt Projektleiter Marco Morell zu bedenken. Nur so viel: «Mein Wunschszenario wäre es, dass wir etwas schaffen, das später einzelne oder mehrere Unternehmenseinheiten weiterführen können – wenn nicht das ganze Projekt, dann halt Teile davon.» Im Kern geht es darum, dass sich das mehrsprachige Schweizer Publikum in einem «digitalen Debattierzimmer» austauschen kann, das nach einer Service-public-Logik funktioniert und nicht nach kommerziellen Kriterien.


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