28.10.2002

"Heute ist der Manager oder CEO ein Selbstdarsteller"

Die Bilanz ist eine Institution. Seit 25 Jahren beleuchtet sie die Schweizer Wirtschaftsführer und ihre Exponenten. Doch auch ihre Verleger – von Rey bis Tettamanti – gehörten und gehören zu den schillerndsten Figuren des einheimischen Establishments. Medard Meier, selbst ein hervorragender Networker, leitet seit 12 Jahren die Redaktion. Im Gespräch mit "persönlich" analysiert er die Flops und Treffer des letzten Vierteljahrhunderts. "persoenlich.com" bringt einen Ausschnitt:
"Heute ist der Manager oder CEO ein Selbstdarsteller"

Medard Meier, seit 12 Jahren sind Sie Chefredaktor der Bilanz, Wirtschaftsjournalist seit den siebziger Jahren. Wie hat sich in dieser Zeit die Zielgruppe Ihrer Publikation, die Manager und Führungskräfte, verändert?

Erheblich. Früher musste man die Manager fast schon an die Öffentlichkeit zwingen, Pressekonferenzen beschränkten sich auf die grössten Konzerne. Die ersten Meetings mit uns Journalisten fanden bei einem Morgen- oder Mittagessen statt; gesprochen hat dabei oft nur einer – der Bigboss. Das hat sich vollkommen geändert: Heute ist der Manager oder CEO ein Selbstdarsteller, der die Erwartungen seiner PR-Leute und der Medien erfüllen muss. Aber dies sind angenommene Rollen. Neben dem Showbiz und der Politik wurde so eine ganz neue Kategorie von öffentlichen Personen geschaffen.

Lauern in dem heutigen Rollenspiel der Führungskräfte nicht erhebliche Gefahren? Der Manager weiss gar nicht mehr, wer er eigentlich ist und für was er steht.

Sobald einer in den letzten Jahren CEO einer grossen Unternehmung geworden ist, wird er von einer gigantischen Öffentlichkeitsmaschinerie begleitet. Man muss ihn positionieren, beschreiben, bekannt machen, filmen lassen. Für viele Manager ist dies eine vollkommen neue Welt. Denken wir an Mario Corti, bei Nestlé kannte ihn keiner; nun musste er sich plötzlich im Blick zu seinem Doktortitel oder seiner Frisur äussern. An diesem Tag kommt das grosse "Wow" – vergleichbar mit der Wahl in den Bundesrat. Viele verlieren dabei die Bodenhaftung, weil sie dem Bild der Medien glauben. Nochmals das Beispiel Mario Corti: Einmal war er der "Super-Mario", wenige Monate später der "Abzocker der Nation". Welches Bild stimmt? Selbstverständlich keines! Kein Wunder, wandert er jetzt nach Boston aus.

Hat der Druck von den Verantwortlichen für Kommunikation zugenommen?

Ohne Zweifel. Die Kommunikationschefs alleine oder im Verbund mit PR-Agenturen versuchen alle ihre Schlüsselpersonen zu positionieren, zu verkaufen. So wurde uns vor einigen Wochen von einem Kommunikationsbüro ein Interview mit dem CEO von Ikea-Schweiz angeboten. Wir haben dies abgelehnt, weil wir eigentlich mit dem Gründer von Ikea, Ingvar Kamprad, sprechen wollten. Die PR-Karawane zog weiter; es dauerte nicht lange, wurde der Schweizer Ikea-Chef von der SonntagsZeitung interviewt. Aber auch die Aufgaben des Managers hat sich seit Mitte der neunziger Jahre geändert. Das muss man in Rechung stellen. Mit der ganzen Shareholder-Value-Arie entstanden ganze neue Zielsetzungen. Die Manager wurden zu Werteschaffern – und müssten sich von der Finanzöffentlichkeit, zu der auch die Wirtschaftsjournalisten gehören, daran messen lassen. Auch deswegen wurde der Manager ein Star. Einer, der an Generalversammlungen oder an Pressekonferenzen die Schaffung von Milliarden von neuen Shareholder-Value präsentieren konnte, war er ein gemachter Mann. Jeder konnte mit eigenen Augen verfolgen, wie der Reichtum wuchs. Die Messlatte wurde von der Finanzwelt mit den Analysten vorneweg immer höher gesetzt, bis die ganze Herrlichkeit dann geplatzt ist.

Wie gut sind die Schweizer Manager im Vergleich zu ihren ausländischen Kollegen?

Unsere Manager sind nicht besser und nicht schlechter als der weltweite Durchschnitt. In absoluten Zahlen haben wir entsprechend der Kleinheit unseres Landes sicher weniger Spitzenmanager als Länder wie Deutschland oder England. In der Wirtschaft ist das nicht anders als im Sport. Da haben wir uns längst daran gewöhnt, dass grossartige Leistungen im internationalen Rahmen eher selten sind. Umso mehr dürfen wir uns dann jeweils über Siege freuen, wie jüngst in Irland durch die Fussballer oder in Kloten durch die Tennisspielerin Patty Schnyder.

Dann ist das Bashing, das die Schweizer Manager im Moment erleben, nicht gerechtfertigt?

Das "Bashing-Potenzial" für Manager ist in der Schweiz enorm gross, weil es absolut gesehen nur wenige gibt, die überhaupt mediale Aufmerksamkeit verdienen. Pro Kopf der Bevölkerung haben wir zwar viele überdurchschnittlich grosse, internationale Konzerne, absolut gesehen sind es nur etwas über ein Dutzend. Und diese wenigen werden ständig von einer Heerschar von Journalisten beobachtet. Wir Medien verfolgen immer die gleichen vielleicht zwanzig Manager, welche es sogar im Blick auf die Titelseite bringen können. In Deutschland, Frankreich oder Amerika wäre das undenkbar, weil ganz einfach die Auswahl an Persönlichkeiten sehr viel grösser ist.


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