05.02.2001

"Ich bin der geborene Kurzstreckenläufer"

Rund tausendmal hat Jürg Ramspeck seine Kolumne "Einblick" für den Blick geschrieben. Der 64-Jährige ist seit 45 Jahren Journalist und gilt als einer der brillantesten Schreiber der Schweiz. Als der ehemalige Chefredaktor der Weltwoche 1997 zum Blick wechselte, nannte Facts dies "ein journalistischer Wechsel von Cartier zur Swatch". Ein Interview zum "Jubiläum".
"Ich bin der geborene Kurzstreckenläufer"

Sie haben mir einmal gesagt, dass Ihr Job der schönste Journalistenjob der Schweiz sei: Warum?

Weil in ihm die grösstmögliche individuelle Redefreiheit mit der Annehmlichkeit der festen Anstellung verbunden ist.

Seit 1997 schreiben Sie täglich Ihre vielbeachtete Kolumne im Blick – von Montag bis Samstag. Das sind bisher gut und gerne 1000 Kolumnen. Wie finden Sie dafür jeden Tag ein Thema?

Ich habe viele gute Kollegen auf der Redaktion, die mir Stoffe und Themen stecken. Notfalls denke ich selber.

Ist es schon passiert, dass Sie einmal kein Thema gefunden haben?

Ja, in den zehn Tagen, in denen ich wegen Beinbruchs darniederlag, und man mich freundlicherweise vom Dienst dispensierte.

Wie lange schreiben Sie an einer Kolumne?

Eine Stunde. Aber der Anlauf dauert deutlich länger.

Was macht eine gute Kolumne aus?

Wenn der Leser die Mühe nicht merkt, die der Verfasser mit ihr gehabt hat.

Sie schreiben mit einem trockenen Humor, manchmal auch leicht zynisch. Ephraim Kishon hat einmal gesagt, Humor ist harte Knochenarbeit. Können Sie das bestätigen?

Sie machen mich unruhig: Wäre ich vielleicht so lustig wie Kishon, wenn ich beim Schreiben so leiden würde wie er?

Was ist Humor für Sie: wann ist etwas lustig?

Wenn die Wahrheit durch die Hintertüre hereinkommt.

Wie reagieren die Blick-Leser auf Ihre Glossen?

Das netteste Kompliment: "Ich musste jeden Ihrer Sätze zweimal lesen – aber es hat sich gelohnt."

Erhalten Sie auch böse Briefe oder Telefonate?

Manchmal. Meistens von Leuten, die das glatt überhört haben, was ich für meine entscheidenden Zwischentöne halte.

Wie läuft Ihr Tag ab?

Im Idealfall: 7 Uhr aufstehen. 9.15 Uhr Redaktionssitzung. 10 Uhr Zeitunglesen. Ab 10.30 Uhr suchendes Umherstreunen. Über Mittag Kolumne schreiben. An Tagen mit Ladehemmung: späteste Ablieferung um 4 Uhr nachmittags.

Für Inside-Besucher (Cafeteria im Ringier-Pressehaus an der Dufourstrasse 23 – Anm. der Redaktion) ist es ein vertrautes Bild: Jürg Ramspeck kritzelt an einem Tischchen in ein Notizbüchlein – schreiben Sie alle Texte von Hand?

Ja, weil ich dort, wo der PC steht, nicht rauchen darf. Hingegen beim Eintippen bin ich suchtfrei.

Ein zweiter Schnappschuss: Jürg Ramspeck, mit einer Gauloise im Mund, bei der täglichen Runde im Seefeld. Ist dieser Spaziergang lediglich eine Rauchpause?

Das auch. Vor allem aber ein Vorwand, bezahlte Denkarbeit als ein Minimum an sportlicher Betätigung zu leisten.

Die Gauloise zwischen Ihren Lippen ist fast schon ein Markenzeichen: Wie viel rauchen Sie pro Tag?

Die Dame im Ringier-Kiosk weiss es: 40 Stück. Oft weiss der Automat noch 20 dazu.

Sie haben auch schon Ihr zwiespältiges Verhältnis zur modernen Technik zum Thema gemacht: Ist der Computer ein Arbeitsinstrument für Sie?

Ich bin mit ihm eine knappe halbe Stunde am Tag beschäftigt. Da bleibt die Beziehung halt schon etwas oberflächlich.

Ihr Kolumne beim Blick fasst knapp 60 Zeilen – früher waren Sie Chefredaktor der Weltwoche, haben über Theater, Konzerte und Kunst geschrieben. Haben Sie den Schritt zum Boulevard nie bereut?

Auf der Weltwoche habe ich zum Missvergnügen mancher Kollegen stets behauptet: Wir sind auch eine Boulevard-Zeitung – nur sind bei uns die Artikel länger als im Blick. So gesehen kann ich einen Schritt nicht bereuen, den ich gar nicht getan habe.

Haben Sie keine Lust, wieder einmal eine grosse Geschichte zu schreiben?

Im Vertrauen: Ich bin der geborene Kurzstreckenläufer.

Sie zählen zu den "Grand Old Men" im Schweizer Journalismus. Wie weit können Sie Ihre Erfahrung beim Blick einbringen?

"Grand Old Man" haben Sie gesagt, aber "Old" ist sicher nicht falsch: Ich meine, dass schon manchmal etwas Brauchbares aus meinen fast 45 Dienstjahren für meine Kollegen abfällt.

Sie sind jetzt 64: Wie lange dürfen wir uns noch über Ihre tägliche Kolumne freuen?

Ich bin schon im Ruhestand. Ich unterbreche ihn nur täglich. Mutmasslich höre ich auf, wenn man mich absetzt. Ich hoffe, mein Chefredaktor erkennt eine bei mir einsetzende Altersgeschwätzigkeit unerbittlich – und noch vor mir.



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