03.11.2020

Serie zum Coronavirus

«In unseren Büros haben wir CO2-Messgeräte»

In Folge 133 unserer Serie: Maurice Thiriet, Chefredaktor von Watson, über die angespannte Situation und die Auswirkungen auf den Journalismus. Zudem wagt er eine Prognose zur US-Präsidentenwahl.
Serie zum Coronavirus: «In unseren Büros haben wir CO2-Messgeräte»
Maurice Thiriet ist seit Juli 2016 Chefredaktor von Watson. (Bild: zVg.)
von Matthias Ackeret

Herr Thiriet, die Situation ist angespannter als noch vor einigen Wochen. Arbeiten Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer noch in der Redaktion oder machen Sie wieder Homeoffice?
Wir haben Split-Office, das heisst immer die Hälfte der Teams ist im Büro, die andere Hälfte zu Hause. Jede Woche wird gewechselt. Eine Ausnahme ist die Berichterstattung zu den US-Wahlen, da waren im Vorfeld alle Beteiligten in Vor-Quarantäne und kommen nun alle ins Büro. Wir arbeiten alle mit Maske, um auch das Restrisiko einer Übertragung noch zu eliminieren. Im Büro haben wir zudem CO2-Messgeräte, die Alarm schlagen, wenn gelüftet werden muss. Praktikantin Cécile Kienzi, die im Januar eine Karriere in der Schweizer Armee startet, ist darüber hinaus für den stündlichen Standard-Lüft-Befehl zuständig.

Haben Sie noch Kurzarbeit?
Wir waren nie in Kurzarbeit. Wir sind eine sehr kleine und sehr effiziente Redaktion, wir können es uns nicht leisten, in Krisenzeiten beim redaktionellen Leistungsauftrag Abstriche zu machen. Das war auch aus wirtschaftlicher Sicht die richtige Entscheidung. Die konstante Top-Leistung der Watson-Redaktion über die Corona-Monate im Frühling und im Herbst hat sich nachhaltig in gesteigerten Traffic- und damit Umsatzwerten niedergeschlagen.

Wie schätzen Sie momentan die Situation ein? Hat sich die Regierung okay verhalten oder hätte sie alles runterfahren müssen?
Die Frage ist, welche Regierung. Der Bundesrat hat sich richtig verhalten, als er im Frühling mit der ausserordentlichen Lage die Kontrolle übernommen und den Hammer ausgepackt hat. Die Kantonsregierungen haben dann rumgemosert, sie wollten wieder selber bestimmen können und weitgehende Öffnungszugeständnisse vom Bundesrat verlangt und auch gekriegt. Dann haben sie den Sommer über die Containment-Infrastruktur ungenügend ausgebaut und schlecht bis gar nicht kommuniziert, was zur jetzigen Situation geführt hat. Wenn der Bundesrat nun sagt, die Kantone sollen diese Suppe gefälligst selber auslöffeln, dann ist das zumindest ein wenig nachvollziehbar. Es geht ja immer auch darum, wer für die unmittelbaren wirtschaftlichen Schäden von Eindämmungsmassnahmen zahlen muss. Was man dem Bundesrat aber vorwerfen kann, ist, dass er mit der Wiedererlaubnis der Grossveranstaltungen das falsche Signal gesendet hat. Da hätte er wohl hart bleiben müssen.

«Wir haben in Sachen Datenverarbeitung und -analyse einen grossen Sprung gemacht»

Welche Auswirkungen hat Corona auf das redaktionelle Angebot?
Ich denke, wir haben in Sachen Datenverarbeitung und -analyse einen grossen Sprung gemacht. Und auch realisiert, dass man sich als Redaktion immer selber schlau machen und daraus eine Haltung gegenüber behördlichen Massnahmen, Politiker- und Expertenmeinungen ableiten muss. Das nimmt einem niemand ab. Epidemiologen haben natürlich eine ganz andere Perspektive als Ökonomen, die entscheidenden politischen Akteure wieder eine andere. In dieser Kakofonie muss man als Medium der Userschaft nach bestem Wissen und Gewissen Orientierung bieten und darf sich nicht für fremde Agenden einspannen lassen.

Welche Geschichten werden momentan besonders gut gelesen?
Natürlich die Breaking News, wenn Bund oder Kantone neue Massnahmen verkünden. Und die Service-Storys, die Orientierung schaffen im nationalen und internationalen behördlichen Kommunikations- und Anweisungswirrwarr. Also: In welchem Kanton welche Massnahmen gelten, in welches Land man einreisen kann und in welches nicht (mit oder ohne anschliessende Quarantäne), in welchem Fall man in Quarantäne muss und in welchem nicht. Solche Sachen.

Wie verläuft der Aufbau von Watson in der Romandie?
Nach Plan. Sandra Jean stellt aktuell ihr Team zusammen und kann aus weit über 100 Bewerberinnen und Bewerbern aussuchen. Im März 2021 gehts los, dann kann man auf Watson ganz einfach landesteilübergreifende Kampagnen buchen und ein junges, urbanes Publikum erreichen.

«Experten haben nie recht, die zeigen immer nur eine Perspektive auf»

Was wird sich im Journalismus nach der ganzen Krise grundlegend ändern?
Von der Arbeitsweise her sicher die Ortsgebundenheit, die wird abnehmen. Vom Output her wird die Orientierungsdienstleistung sicher vermehrt berücksichtigt werden. Dass es halt eben nicht reicht, nur Experten zu interviewen. Die haben nie recht, die zeigen immer nur eine Perspektive auf. Die Realität, die dann eintritt, ist immer eine andere. Das wird in dieser Pandemie sehr deutlich. Und der Datenjournalismus wird wichtiger werden. Redaktionen, die kein Datenjournalismus-Know-how haben, sind in der Berichterstattung zur Corona-Krise massiv eingeschränkt.

Was war für Sie das prägendste Erlebnis der letzten Wochen?
Wegen Corona sind viele Lieferketten unterbrochen, und mein zwölfjähriger Sohn brauchte ein Cross-Rennrad für seine Radquer-Rennen. Fast unmöglich, das zu besorgen auf dem Weissmarkt. Nun konnten wir das Rad kaufen, das Schweizermeisterin Zina Barhoumi letzte Saison gefahren ist. Das sind ja immer prägende Momente, wenn man ein neues Velo in den Händen hält, in dieser Saison ganz besonders. Dass die Rennen jetzt alle abgesagt sind, ist einfach ein bisschen blöd.

Wer wird amerikanischer Präsident?
Joe Biden. 



Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com regelmässig eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier.





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